Müller, Brauer – Mühlenbier

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Neues Brauprojekt

Die Idee, ein Mühlenbier zu brauen, hat auch in heutigen Zeiten etwas Bestechendes, so wie für die feudalen Grundherren im Mittelalter, die einerseits das Mühlenregal (Recht auf Mühlenbau) für sich als steuerliche Einnahmequelle nutzten und andererseits das Brauregal (Braurecht) zu einem weiterem Eigennutz vergaben, dann den Zehnten (Steuern) kassierten – und anschließend von dem Bier gern tranken!
Für den Burgwedeler Bereich bedeutete das z.B. damals, dass die Wettmarer Wellmühle (Wassermühle im Hasbruch gelegen) bis ins 17. Jahrhundert hinein eine einzige Aufgabe hatte, nämlich die Braugerste für den Amtsvogt in Burgwedel dann zu mahlen, wenn seine Windmühlen es wegen Windmangels nicht schafften.
An diese Stelle tritt nun die heutige Bockwindmühle Wettmar – allerdings ohne Amtsvogt – in Kooperation mit der neuen „Brauerei Burgdorf“ (http://brauerei-burgdorf.de/brauerei/) , die nach über einhundert Jahren Brauerei-Stillstand in Burgdorf die dortige historische Brautradition wieder aufgreift, denn im 15. Jahrhundert gab es erstaunlicherweise etwa dreißig Brauhäuser!
Vor ein paar Jahren war beim Deutschen Mühlentag an der Bockwindmühle Wettmar bereits als eintägige Attraktion ein Mühlenbier im Ausschank, das eine kleine Privatbrauerei aus Wienhausen mit dem hier geschroteten Malz gebraut hatte – es kam gut an, war aber eine Bier-Eintagsfliege.
Seit der letzten Woche eröffnen sich also in Wettmar längerfristige Mühlenbier-Perspektiven: Denn am diesjährigen Mühlentag entstand ein Kontakt zwischen der neuen kleinen Burgdorfer Brauerei und einem Müller des Heimatvereins Wettmar mit der Projektidee: Hier wird an der Windmühle Malz geschrotet, dort wird ein Mühlenbier gebraut.
Das Ziel der beiden Kooperationspartner, Müllergruppe des Heimatvereins Wettmar und Brauerei Burgdorf, besteht darin, in gemeinsamer Anstrengung eine eigenständige, charakteristische regionale Biermarke für besondere lokale Anlässe zu entwickeln - nicht aber internationalen Braukonzernen eine heimische Konkurrenz zu machen.
Für die Müller ist die Idee von besonderem Reiz, weil ihre Mahlkompetenzen nicht wie bisher nur für eine Art Schaumahlen gefordert werden, bei dem „nur“ das begehrte Windmühlen-Mehl für Besucher gemahlen wird, sondern zukünftig werden sie wieder in einen ernsthaften Produktionsprozess im Kleinen eingebunden, wie er früher an dieser Mühle beim Getreidemahlen alltäglich war: Sie müssen ein kontinuierliches Mahl-Engagement und ihre Mahlkompetenzen entwickeln und auf diesen Punkt des Braugerste-Schrotens hin professionalisieren. - Und auch für die Brauer ergeben sich neue Herausforderungen, denn für beide Partner ist es notwendig, im Jahre 2016 einen historischen Produktionsprozess nachzuvollziehen und sich neu anzueignen.
Für die Müller heißt es, dass sie sich im Jahre 2016 mit ihrer Mühle den Mahlvorgang aneignen, der der Mühlentechnik ihrer eigenen Mühle um 1850 entspricht. Daher könnten sie realistischerweise auf die Lektüre des Buches von Matthias Bachmann zurückgreifen: „Der praktische Müller … Ein Buch zum Selbststudium im Mühlfache“, München 1857, denn der Autor schreibt im zwölften Kapitel: „Ueber das Brechen des Malzes, welchen Vor- und Nachtheilen dasselbe beim Brechen und während des ganzen Malzungsprozesses unterliegt und wovon dieses abhängt; wie die Mängel erkannt, beseitigt und die Vortheile, welche dem Malze zuträglich sind, in Anwendung gebracht werden können.“
Manches ist natürlich überholt, aber es gilt Bachmanns Warnung: „Wenn dann ein Bierbrauer zum Müller mit der Beschwerde kömmt, daß das Malz schlecht gebrochen wurde und daß das erhaltene Bier in keinem Verhältnis zu der Güte des auf die Mühle gegebenen und verarbeiteten Malzes stehe, …, so kommt man nach und nach auf verschiedene Umstände, welche auf die Qualität des gebrochenen Malzes und des daraus bereiteten Bieres den größten Einfluß ausüben.“ (S. 82).
Die heutige Braugerste (Malz) allerdings hat von der Reinigung des Getreides, über Benetzung bis zur Darre (Röstung) alles bereits hinter sich und muss „nur noch“ gemahlen werden. (Warnung s.o). Dabei müssen die Körner durch das Schroten angeschnitten sein, sie dürfen aber nicht so grob sein, dass viele heile Körner im Endprodukt enthalten sind. Außerdem muss der Spelz als späterer „Filter“ im Brauprozess erhalten bleiben und der Mehlanteil des Schrots muss gering sein, weil er beim Brauen sonst die Anlage verstopfen könnte.
Diese vielfältigen Bedingungen haben die Müller nun zu erfüllen, bei ungleichmäßigem Wind mit wechselnden Drehzahlen und Mahlsteinen, die nur mit Erfahrung, Feingefühl und einem scharfen Gehör genau zu justieren sind.
Aber so, wie sich der Mühlenarbeiterverband und der Brauereiarbeiterverband 1910 in München zu einer Gewerkschaft zusammenschlossen, so ging man diese Aufgabe in Wettmar solidarisch an:
Die Brauer hatten einen Sack Malz mitgebracht und zur Anschauung und zum Vergleich geschrotete Braugerste. Dem ungleichmäßigen Südwestwind musste mit Windbrettern in den Segelgatterflügeln eine stärkere Kraft anerzogen werden, dann wurde aufgeschüttet und das zum Mehlboden ablaufende Gerstenschrot immer wieder per Hand aufgefangen und mit der „Vorlage“ der Brauer verglichen. Als schließlich das Schrot über den Sechskantsichter geführt wurde, um die Mehlanteile herauszusieben, konnten alle Beteiligten zum Endprodukt feststellen: „Perfektes“ Malz für das zukünftige Mühlenbier!

700 Jahre Windmühlen-Technik
Über 450 Jahre Windkraft-Nutzung in Wettmar

Bürgerreporter:in:

Reinhard Tegtmeier-Blanck aus Wedemark

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