Jakobsweg - vor einem Jahr: 20 Tage unterwegs
Dienstag, 13.05.2008
Terradillos de los Templarios – Bercianos del Real Camino 22,4 km
Ab Sahagún bin ich wieder allein. Walter wartet am Anfang der Kleinstadt auf mich, nachdem er die bisherige Strecke zügig voraus gegangen ist, und erklärt, er kenne sein Ziel für heute. Er gehe zum Bahnhof und wolle den Zug nach León nehmen, weil er unerträgliche Schmerzen im Unterschenkel habe. Wir werden uns übermorgen irgendwo am Camino in León treffen.
Ich selber habe seit gestern auch das Gefühl, dass ich mit meinem rechten Fußgelenk ein Problem kriegen könnte. Nach einer kleinen Kaffeepause gehe ich deshalb in eine Apotheke, um mich prophylaktisch mit Voltaren-Salbe und Ibuprofen-Tabletten zu versorgen. Gel und die 50-er Packung Tabletten kosten nicht einmal 6 €. Ich denke an die unzähligen „goldenen“ Apotheken in Deutschland.
Vor Calzada del Coto teilt sich der Camino. Ich wähle die südliche Variante, weil dort eine Herberge mehr zur Verfügung steht. In Bercianos del Real Camino stelle ich nach 22 km meinen Rucksack, in der Herberge ab. Ich bin der erste heute hier am Ziel. Ausnahmsweise darf ich meinen Rucksack schon in den Eingangsraum bringen, obwohl die Herberge erst in zwei Stunden öffnet. Dazu hat mir der Zufall verholfen, denn ich traf gerade ein, als der Herbergsvater die Tür zur Entsorgung des Mülls vom Vortag öffnete. Es wäre auch zu blöd, den Rucksack bei dem einsetzenden leichten Regen vor dem Haus stehen zu lassen.
In der einzigen Bar des Dorfes mit 200 Einwohnern stärke ich mich. Die Toilette im Hinterhof ist hier auch mit gelben Pfeilen auf dem Fußboden ausgeschildert – damit sich kein Pilger verläuft.
Heute ist zum zweiten Mal ein gemeinsames Abendessen angesagt. Zum Salat waschen und zerteilen ist es mir in der Küche um ein Waschbecken in der Ecke bald zu eng. Ich beteilige mich stattdessen nun an der Vorbereitung des Obstsalates.
Um 20.00 Uhr wünscht die Herbergsmutter aus Ungarn uns allen einen guten Appetit. Der Kartoffelauflauf hätte ein wenig mehr Chorizo-Wurst verdient. Darauf, dass nicht zu viel abzuwaschen ist, wird besonders geachtet. So werden Salat und Hauptgang von einem Teller gegessen, und der Obstsalat wird aus der großen Schüssel in die Getränkegläser gefüllt. Diejenigen, die noch Rotwein im Glas haben, sollen es in diesem Zustand anreichen. So werde eine Sangria daraus. Nicht schlecht.
Nach dem Essen stellen sich alle mit Namen und Herkunftsland vor. Das ist die Einleitung zum Vorsingen von Liedern aus der jeweiligen Heimat. Als „Alemania“ aufgerufen wird, steht der schon in einem früheren Beitrag erwähnte schwäbische „Erfinder des Jakobsweges“ auf und singt ein völlig unbekanntes Lied in schwäbischem Dialekt. Dass er von den vielen anwesenden Deutschen völlig allein singt, fällt natürlich auf, und so bittet die Herbergsmutter am Ende der Runde die Deutschen noch einmal auf, ein Lied zu singen, bei dem mehr als einer mittut. „Nun Brüder, eine gute Nacht“ wird angestimmt.
Vom Singen geht es mehr oder weniger verzugslos zu einer „Laien“-Andacht in einen kleinen Raum. Vor einem vielsprachigen Vater-Unser geht eine brennende Kerze durch die Reihen der Versammel-ten, die vernehmlich oder stumm ihre persönlichen Wünsche für ihre Pilgerschaft äußern sollen.
Bürgerreporter:in:Heinz Schumann aus Burgdorf |
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