Der Teufel steckt im Detail:
Raketen gegen russisches Staatsgebiet?
Himmel... ich hatte gar nicht vor, diese Meldung zu kommentieren, aber da sich noch am Sonntagabend sämtliche Premiummedien einschließlich Tagesschau, Tagesthemen und Axel Springer- Blätter gegenseitig hochschaukelten, hier nur kurz ein paar Worte zur angeblichen Reichweitenaufhebung US- amerikanischer Raketen.
Egal, was am Sonntagabend und auch heute in den Medien gemeldet wird, geht auf eine einzige Meldung der Agentur Reuters zurück, die folgenden Textinhalt hatte:
New York, 17. Nov (Reuters) - US-Präsident Joe Biden hat einer Zeitung zufolge der Ukraine den ersten Einsatz von US-Waffen längerer Reichweite gegen Ziele innerhalb Russlands genehmigt. Sie dürften zunächst gegen russische und nordkoreanische Soldaten in der Oblast Kursk eingesetzt werden, berichtete die "New York Times" am Sonntag unter Berufung auf US-Regierungskreise. (Bericht von Reuters Geschrieben von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)
Das war alles. Daraus machte die Tagesschau folgendes:
"Die Ukraine bittet schon lange um die Genehmigung, nun hat US-Präsident Biden sie offenbar erteilt. Medien berichten, dass die Ukraine US-Waffen mit großer Reichweite gegen Ziele tief im russischen Gebiet einsetzen darf. Der scheidende US-Präsident Joe Biden hat laut übereinstimmenden Medienberichten der Ukraine den Einsatz von US-Waffen mit längerer Reichweite gegen Ziele im russischen Staatsgebiet erlaubt. Die entsprechenden Beschränkungen seien aufgehoben worden."
Sind sie eben nicht. Aber noch apokalyptischer Axel Springers "DIE WELT":
"US-Präsident Joe Biden hat die Beschränkungen für den Einsatz von US-Langstreckenwaffen aufgehoben. Die Ukraine kann sie nun gegen Ziele tief im russischen Staatsgebiet verwenden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und viele seiner westlichen Unterstützer hatten das seit Monaten gefordert".
Erstaunlich. Joe Biden erlaubt laut DIE WELT also der Ukraine, Russland mit Langstreckenraketen zu beschießen, obwohl die Ukraine gar keine Langstreckenraketen besitzt und sie auch nie bekommen wird. Wie ist das möglich?
Das ist nur möglich, weil die Sau, die man selbst durchs Mediendorf treiben will, größer sein muss, als die der Konkurrenz. Kurze Erklärung:
Die Ukraine besitzt US- amerikanische Kurzstreckenraketen des Typs ATACMS mit einer Reichweite zwischen 170 und 300 km maximal. ATACMS hat nichts mit "attack" (Angriff) zu tun, sondern steht als Akronym für "Army TACtical Missile System". Eine Langstreckenrakete hingegen ist etwas völlig anderes:
Interkontinentalraketen (englisch intercontinental ballistic missile, ICBM oder auch Langstreckenraketen sind ballistische Raketen hoher Reichweite. Interkontinentalraketen sind das wichtigste Trägermittel für Kernwaffen. Nach Lesart der SALT-II-Verträge sind ICBM alle ballistischen Raketen, deren Reichweite 5.500 km überschreitet. Unter der Abkürzung ICBM werden üblicherweise landgestützte Systeme verstanden. Seegestützte Interkontinentalraketen bezeichnet man als Submarine-launched ballistic missiles (SLBM). Nach dem raketengetriebenen Start erreicht das Projektil den erdnahen Weltraum, der weitgehend antriebslos auf einer ballistischen Bahn bis zum Ziel durchflogen wird; die typische Reichweite beträgt 5.500 bis 15.000 km.
Die Meldung der WELT ist also komplett daneben. Und auch die anderen Medienberichte überlesen in der Originalmeldung einen wesentlichen Punkt: Die Beschränkung der US- Erlaubnis auf das Gebiet des Oblastes Kursk! Man darf das durchaus als US- Strafaktion gegen Putin bewerten, weil er nordkoreanische Truppen gegen die Ukraine aufmarschieren lässt. US- Außenminister Blinken hatte das vor einigen Tagen bereits angedeutet ("Der Einsatz nordkoreanischer Truppen wird nicht ohne Antwort bleiben").
Und hier wird es dann auch schlüssig. Der entfernteste Punkt im Oblast Kursk ist ca. 300 km von der ukrainisch- russischen Grenze entfernt. Das ist genau die maximale Reichweite der amerikanischen ATACMS- Raketen. Um aber nordkoreanische Truppen zu treffen, braucht die Ukraine diese Kurzstreckenraketen nicht. Sie besitzt die deutsche Panzerhaubitze 2000, eine selbstfahrende Kanonenhaubitze enormer Durchschlagskraft mit einer Reichweite von (Achtung!) 420 km! Damit reicht sie weiter als die ATACMS. Aber selbst diese Reichweite wird in Kursk nicht benötigt, da die nordkoreanischen Truppen gar nicht 300 km entfernt sind, sondern an der nur etwa 60- 80 km entfernten Front kämpfen. Dafür eine sauteure ATACMS zu nutzen wäre mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
Fazit: Headlines, wie "Eskaliert jetzt der Ukrainekrieg?" oder "Diese Ziele sind nun in Reichweite" (t-online mit Reichweitenkarte in alle Gebiete Russlands) haben alle eines gemeinsam: Sie machen aus einer Maus einen Elefanten. Und zwar so lange, bis die US- Administration auch tatsächlich grünes Licht für alle Gebiete und nicht nur für die Oblast Kursk erteilt.
Und das ist bislang noch nicht geschehen. Aber es ist so oder so schon dumm genug, die Reichweitenaufhebung überhaupt zu veröffentlichen. Das ermöglicht der anderen Seite, sich noch schnell aus gefährdeten Gebieten zurückzuziehen. Und wenn es nicht dumm war, dann war es offensichtlich wirklich nur als freundlicher amerikanischer Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Moskau gedacht, die überbordenden Angriffe auf ukrainische zivile Einrichtungen und Infrastruktur endlich einzustellen.
Bürgerreporter:in:Peter Gross aus Bochum |
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