Blumenpflücken während der Fahrt verboten
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen in vielen Gebieten Nebenbahnen ihren Dienst auf. Im Jahr 1908 gab es im Deutschen Reich 7.638 km Schmalspurstrecken für den öffentlichen Verkehr, von denen aber nur 52 km die Spurweite 900 mm hatten.
Erinnern möchte ich heute an das "Bieberbähnchen", das zu den wenigen Nebenbahnen mit der Spurweite 900 mm zählte. Ernst-Ludwig Hofmann und Friedrich Zundel berichten in ihrem Buch "Die Spessart-Bahn", erschienen im Verlag Orbensien, über die Geschichte dieser Nebenbahn. Aus diesem Buch möchte ich hier über die Spessartbahn berichten.
Die Geschichte der Spessartbahn geht zurück bis in das Jahr 1882. In der Gemeinde Biebergemünd-Bieber wurde seit dem Jahr 1702 Eisenerz abgebaut. Der Abtransport war nur mit Pferde- und Ochsengespannen möglich und gestaltete sich recht schwierig. Um die Erzfördermenge zu erhöhen, wurde es notwendig, den Abtransport schneller vorzunehmen. Aus diesem Grunde begannen im Jahre 1882 die Planungen zum Bau einer "Erzabfuhrbahn" von Bieber bis nach Gelnhausen. So wurde Mitte August 1884 mit dem Bau einer Schmalspurbahn von 900 mm Spurbreite begonnen. Die Streckenlänge betrug 23 Kilometer und war eingleisig. Das Büro der Bauleitung befand sich in Biebergemünd-Lanzingen und der aufsichtsführende Ingenieur hieß Meurer. Bereits nach gut 10 Monaten Bauzeit wurde die Strecke am 12. Juni 1885 amtlich abgenommen, so dass am 04.08.1885 der erste Erzzug fahren konnte.
Für die sogenannte "Bieberer Grubenbahn" begannen bereits im Jahre 1893 die Planungen zur Umwandlung vom reinen Frachtverkehr zum Personen- und allgemeinen Frachtverkehr. Nachdem das Gelände für Bahnhöfe und Haltestellen von den Gemeinden angekauft war, begann der Bau der erforderlichen Hochbauten und Gleisanlagen in den Jahren 1894/95. Die amtliche Abnahme der Strecke erfolgte am 10. Dezember 1895. Von nun an rollten die Züge der "Spessartbahn" von Bieber über Roßbach, Lanzingen, Kassel, Wirtheim und Höchst nach Gelnhausen und zurück. Bis Mitte/Ende des Jahres 1929 wurden auch zwei kombinierte Gepäck-/Post-Wagen mitgeführt.
Im Frühjahr des Jahres 1925 wurde der Erzabbau in Bieber eingestellt und somit verlor die Spessartbahn ihren Hauptkunden. Die Stilllegung konnte nur durch die Übernahme der Bahn durch den Kreis Gelnhausen und die Einrichtung von Holzverladestellen verhindert werden. Der Kreis veranlasste auch den Einbau neuer Schienen, so dass die Streckenhöchstgeschwindigkeit durchweg 30 km/h betrug. Da die Zahl der Personenbeförderungen Ende der 40-iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts rückläufig war, begannen die Planungen zur Umstellung des Bahnbetriebes auf den Kraftwagenbetrieb. Anhand der Erhebungen aus dem Jahre 1950 beschloss man den Verkehr auf der Strecke von Gelnhausen nach Bieber mit Bussen auf die Straße zu verlagern.
So kam es, wie es kommen mußte - die letzte Fahrt der Spessartbahn begann am 23.07.1951 um 09.55 Uhr im Bahnhof von Bieber. Der liebevoll geschmückte Zug verlies unter Läuten und Pfeiffen den Bahnhof und erreichte nach längeren Abschiedsaufenthalten in den Stationen gegen Mittag den Bahnhof Gelnhausen.
Nach dem Abbau der Gleisanlage war die Spessartbahn im Januar 1952 endgültig Geschichte. Der Zugverkehr war nun zwar vorbei aber das "Bieberbähnchen" ist bis heute im Biebergrund noch nicht vergessen.
Die älteren Einwohner in den Gemeinden des Biebergrundes erinnern sich noch gerne an die Fahrten mit dem Bähnchen. In den Erinnerungen aus Kindheitstagen spricht man immer wieder davon, dass die Lokomotiven an den Steigungen riefen: "Ich pack` es nett" bzw. "Ei, helft merr doch". Waren diese Anstiege bezwungen, so riefen die Lokomotiven erleichtert: "Ich hos gepackt, ich hos gepackt !" Besonders beliebt waren in den Sommermonaten die sogenannten Sommerwagen (Wagen ohne Seitenwände). Auch das Schild "Blumenpflücken während der Fahrt verboten" wird immer wieder in den Gesprächen erwähnt.
Bürgerreporter:in:Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain |
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