150 Jahre Männer- und Frauenchor Egestorf: Die Vorsitzende im Interview
So alt muss man erstmal werden: Der Männer- und Frauenchor Egestorf hat mit einem großen Konzert sein 150-jähriges Bestehen gefeiert (siehe Bericht von Heidi Meier). Für das Magazin Barsinghausen kompakt hat Annika Kamißek mit der Vorsitzenden Angelika Richter über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Chors gesprochen. Hier könnt Ihr das ungekürzte Interview lesen:
Frau Richter, Sie sind die Vorsitzende des Männer- und Frauenchors Egestorf. Seit wann üben Sie dieses Ehrenamt aus?
Ich bin 2007 dem Verein beigetreten, 2008 wurde ich kommissarisch für ein Jahr gewählt. Marion Behre, unsere langjährige Vorsitzende, gab das Amt aus beruflichen Gründen ab.
Was zeichnet den Chor Egestorf aus? Und wo zwickt es?
Zahlenmäßig ist der Chor sehr groß, wir haben ca. 60 aktive Sängerinnen und Sänger. Da viele von ihnen schon lange Jahre im Chor singen, hat der Chor einen guten Chorklang. Neue werden gleich integriert, wir setzen sie zwischen erfahrene Mitglieder. Wir versuchen weitgehend a capella zu singen, das bedeutet, dass alle Stimmen sauber singen müssen, keine darf absacken. Durch die Einbeziehung von Hannahs Singers bei Konzerten wollen wir eine musikalischen Brücke zwischen Alt und Jung bauen und das Interesse am Chorgesang steigern. Wo es zwickt? Wir geraten langsam in eine Schieflage. Das Stimmenverhältnis von Männer- und Frauenstimmen ist nicht mehr ausgewogen. Jeder junge Mann, der bei uns mitsingen will, ist deshalb herzlich willkommen!
Wenn Sie an die Geschichte des Gesangvereins denken: Wie und warum kam es zur Gründung und was waren wichtige Meilensteine in der Entwicklung?
Die Gründung der Männergesangvereine im 19. Jahrhundert fällt mit dem Erstarken des Bürgertums zusammen. Die Vormachtstellung des Adels bröckelte, bürgerliche und proletarische Bewegungen entstanden. Mit dem ersten großen Sängerfest in Nürnberg, 1861, sprang wahrscheinlich der Funke über: Jetzt gründeten sich nicht nur in großen Städten Männergesangvereine, sondern auch auf dem Land. Höhepunkte für unseren Verein waren sicher die Jubiläen mit ihren beliebten Zeltfesten. Das erste Vereinsfoto wurde zum 25-jährigen Jubiläum aufgenommen, zum 50. Jubiläum stifteten die Frauen der Sänger eine neue Fahne, zum 100-jährigen wird dem Verein die Zelter-Plakette verliehen. Zu Gunsten der Deutschen Krebshilfe wurde 1977 eine Schallplatte herausgebracht, später folgte die CD „Aus Freude am Singen“. Aber all das kann man viel ausführlicher nachlesen in unserer Festschrift, die pünktlich zum Festakt am 5. Mai herauskommt und nach allem, was ich bislang davon gesehen habe, richtig gut wird.
Zunächst durften nur Männer beim Gesangverein von 1862 mitsingen. Wie und warum kam es dazu, dass auch Frauen mitsingen durften?
Frauen gehörten in der damaligen Gesellschaft ins Haus. Sich abends in einem öffentlichen Raum, der nicht Kirche war, zu treffen und eigenen Interessen nachzugehen, schien unmöglich. Erstaunlich in unserem Verein war aber, dass die (Ehe-)Frauen mit einbezogen wurden, insbesondere nach den Weltkriegen war es den Vereinsmitgliedern ein Anliegen, sich um die Witwen zu kümmern. Bei Feiern, Tanzvergnügungen usw. waren sie sowieso dabei. Nach dem 2. Weltkrieg erlebte der Egestorfer Männergesangverein einen Boom, der bis weit in die 60er Jahre anhielt. Dann aber gab es einen Einbruch: Nachwuchs fehlte, die Mitgliederzahlen gingen zurück. In dieser Situation wurde der Entschluss gefasst - durchaus gegen Widerstand einiger Männer -, einen Frauenchor zu gründen, um den Verein überlebensfähig zu machen. Ein bewährtes Verfahren, wir können es auch hier im Stadtgebiet beobachten. Anfänglich sangen beide Chöre getrennt, es gab auch einen eigenen Vorstand für die Frauen, eine eigene Kasse, als sich aber zeigte, dass die Männer keinen mehr fanden, der bereit war, den Vorsitz zu übernehmen, wählten sie - ich vermute zähneknirschend- eine Frau zur 1. Vorsitzenden, und so wuchs der Verein sowohl im Chor als auch organisatorisch zusammen.
Zusammen mit dem Männergesangverein Concordia treten Sie unter dem Namen „Singgemeinschaft“ Egestorf auf. Wie kam es dazu?
Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Egestorf zwei Männergesangvereine, nach ihren Vereinslokalen als „oberer“ und „unterer“ bezeichnet. Der „obere“ Männergesangverein, „Concordia“, litt unter Nachwuchssorgen und konnte in den 90er Jahren keine Konzerte mehr bestreiten. Da der Männer- und Frauenchor und die Concorden den gleichen Chorleiter hatten, Herrn Wolfgang Knappe, der übrigens unseren Chor 24 Jahre lang geleitet hat, lag es nahe, beide Chöre als Konzertchor zusammenzuführen.
Welche Bedeutung hat das Vereinslokal Reinecke für den Chor?
Das Gasthaus Reinecke hat in Egestorf eine lange Tradition. Der Männergesangverein war der erste Egestorfer Verein, der sich in unserem Ort gründete, eben bei Reinecke. Es folgte noch der Turnverein, der übrigens in dem Saal seine Übungsstunden abhielt, es gab ja die Fritz-Ahrberg-Halle noch nicht. Interessant war für mich auch nachzulesen, dass der vor 100 Jahren gegründete Fußballverein „Germania“ auf einer Wiese gespielt hat, die der Familie gehörte. Heute ist dieses Land bebaut. Wenn Sie nach der Bedeutung des Lokals für unseren Chor fragen: Seit 150 Jahren finden dort die Chorproben statt, anschließend wird gemütlich beisammen gesessen, wir haben dort mehrere Schränke, in denen Noten, Instrumente, Fahnen und viele andere Dinge lagern, die sich so im Laufe der Zeit angesammelt haben. Das Lokal ist so etwas wie unsere Heimat.
Ihre Chorleiterin ist Zdenka Gottschalk. Was zeichnet Frau Gottschalk aus?
Für mich ist sie die beste Chorleiterin, die ich kenne! Sie hat eine Engelsgeduld, erträgt unsere menschlichen Schwächen, hat ein absolutes Gehör und eine sichere Hand bei der Auswahl der Chorliteratur. Sie geht auf unsere Wünsche ein und gibt uns immer wieder neue Anregungen. Ich weiß, dass sie nächtelang auf der Suche nach neuen Liedern ist, und wenn sie von einem Werk überzeugt ist, überzeugt sie uns und schreibt ggf. die Noten so um, dass wir den Chorsatz meistern können.
Gewähren Sie uns einen Einblick in Ihr Repertoire: Welche Lieder singt der Chor denn besonders gern? Haben Sie davon auch welche bei Ihrem Jubiläumskonzert gesungen?
Da muss ich überlegen. Es gibt so vieles, was wir gerne singen: Von Elvis z.B. „Wise men say“, von Grönemeyer den „Mambo“, Händels „Welcome“, den „Can Can“ von Offenbach, „ La Mer“ von Charles Trenet. Wir haben ein sehr breites Repertoire: Lieder aus der Klassik, der Romantik, der Wanderbewegung, Pop und Beat sind dabei. Die Vorlieben wechseln, manches gerät wieder in Vergessenheit, zum Beispiel Gospels oder Weihnachtslieder. Da wir alle zwei Jahre ein großes Konzert im Schulzentrum Am Spalterhals geben, finden sich in allen Konzerten „Lieblingslieder“.
Viele Vereine beklagen das mangelnde Engagement des Nachwuchses. Wie sieht das bei Ihrem Verein aus?
Auch wir hätten gerne Unterstützung von jüngeren Sängerinnen und Sängern! Unsere Jüngste ist 20 Jahre - und wir sind richtig glücklich, dass sie jetzt sogar im Vorstand mitarbeitet. Die Altersgruppe von 20 bis 40 ist nur ganz wenig vertreten. Aber das ist die Kunst unserer Chorleiterin: Sie arbeitet mit den Sängerinnen und Sängern, die da sind, und das - wie ich finde - macht sie ganz hervorragend.
Seit 150 Jahren, also seit 1862, gibt es Chorgesang in Egestorf. Sie feiern in diesem Jahr Jubiläum. Auf welche Feierlichkeiten und Auftritte dürfen sich die Egestorfer und Barsinghäuser noch freuen?
Das Jubiläumskonzert ist ja nun vorbei, es war erfolgreich, und wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten. Jetzt kommen nur noch kleinere Auftritte. Wir singen auf der Seniorenmesse am 15. Juli, auf dem Stadtfest im Klostergarten, zum Herbstmarkt in Egestorf, in der Kirche zum Erntedankfest und am Ehrenmal am Volkstrauertag. Es gibt noch einen Festakt zum Vereinsjubiläum am 5. Mai, da singen wir natürlich auch. Und vereinsintern feiern wir am gleichen Abend in unserem Vereinslokal. Ein Zeltfest auszurichten erschien uns nicht möglich, aber an diesem „Bunten Abend“ soll es hoch hergehen. Musik, Essen, Beiträge einzelner Chormitglieder, mehr will ich gar nicht verraten. Wer den Abend versäumt, ist selber schuld!
Wo sehen Sie den Chor Egestorf in zehn Jahren?
Das ist schwer zu sagen. Wenn wir jetzt nicht die Weichen stellen, den Chor zu verjüngen, wenn es uns jetzt nicht gelingt - durch welche Maßnahme auch immer, das müssen wir im Verein diskutieren - Nachwuchs in allen Männer- und Frauenstimmen zu finden, dann sind wir 2022 nicht mehr singfähig.
Mal abgesehen vom Gesangverein: Was macht Egestorf lebenswert? Und was kann besser werden?
Ich persönlich lebe gern in Egestorf. Wir haben eine herausragende Infrastruktur (Nahversorger, Kindergärten, Schule, Ärzte, Apotheken, einen guten Anschluss an den ÖPNV) und ein reges Vereinsleben. Der Deister liegt vor der Haustür. Was besser werden könnte? Vielleicht die Offenheit und Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber…
Bürgerreporter:in:Robin Jantos aus Hannover-Mitte |
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.