Warum auf wundersame Weise aus unserer Hündin Tobsy ein Kaninchen wurde
Es war im August 1974, als wir mit unserem VW Bulli die spanische Grenzstation in der Nähe von San Sebastian anfuhren. Sorgenvolle Gedanken bevölkerten mein Gehirn. Würde der deutsche Hundepass mit dem zwei Jahre alten Eintrag der Impfung für unsere Hündin Tobsy noch Gültigkeit haben? Nach spanischen Bestimmungen durfte er nicht älter als ein halbes Jahr sein. Das hatten mir deutsche Camper auf unserer Durchreise in Frankreich erzählt. Seid 1936 war unser Ferienziel ein totalitärer Staat unter Führung des Diktators Franco. Wir hatten gerüchteweise von schrecklichen Grenzkontrollen, von demütigenden Augenblicken und von dem Ausgesetzt sein in einer sich mit Willkür präsentierenden Staatsmacht gehört. Vor unserem Auto bildete sich ein riesiger Stau. Die endlos erscheinende Karawane stillstehender Pkws kündete zweifelsfrei die Nähe der Grenze an. Nach einer halben Stunde Wartezeit waren nur noch 5 Wagen vor uns. Da tauchte aus dem Nichts ein Grenzbeamter auf, der gebieterisch den Arm hob. Er winkte unseren Bus heraus zur Einzelkontrolle. Ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Das Gesicht des Beamten schien aus Stein gemeißelt zu sein. Lächeln war für ihn unbekannt und gehörte nicht zu seinem Arbeitsauftrag. Langsam kurbelte ich das Fahrerfenster hinunter, grüßte freundlich und reichte unaufgefordert die Fahrzeugpapiere hinaus, die der Beamte ohne Gefühlsregung in Empfang nahm. Er verschwand mit ihnen in einer kleinen Blechhütte mit großem Fenster, in dem sich ein zweiter Zöllner befand. Dieser übernahm die Dokumente und durchforstete in einem dicken Buch viele Seiten. Nach circa 10 Minuten erhob er sich und ging mit seinem Kollegen zielsicher auf unser Fahrzeug zu. Sein strenger Blick und das steinerne Gesicht offenbarten die Wichtigkeit seiner Arbeit. Mit einer barschen Handbewegung wies er mich an, das Fahrzeug zu öffnen. Auf dem unteren Bett saßen wie Orgelpfeifen aneinandergereiht unsere kleinen Kinder Naschi und Oliver. Außerdem hatten wir die 9-jährige Tochter Judith meines Onkels Artur an Bord, die Ihre Ferien mit uns verlebte. Tobsy, eine Pudel- Schnauzer- Mischlingshündin hatte sich auf dem Schoß von Elfe verkrochen, als wäre ihr bewusst, dass sich gerade aus ihrer Anwesenheit Schwierigkeiten entwickeln könnten. Die Zöllner jedoch nahmen keine Notiz von ihr, vielmehr interessierten sie Türen, Nischen, Schränke und nicht einsehbare Leerräume des Wagens. Der verschlossene Kühlschrank erweckte Neugierde. Sie durchforsteten das Innere, ohne etwas Bemerkenswertes zu finden. Nachdem sie den Kleiderschrank und mehrere Hohlräume im Inneren ausgiebig geprüft hatten, studierten sie nochmals die Kinderpässe, warfen dann strenge Blicke auf sie, die sich ängstlich auf dem Bett aneinander kuschelten. Dann verließen sie wie gemeißelte Skulpturen wortlos den Bus in Richtung der Zöllner Baracke. Aber plötzlich drehte sich der eine Beamte nochmals um, als habe er Wichtiges vergessen, und rief seinem Kollegen etwas zu. Auch er stoppte seine Marschrichtung. Die Blicke Beider ruhten auf Tobsy, die sich ängstlich auf dem Schoß von Elfi verkrochen hatte. Der erste wies mit einer barschen Handbewegung Elfe an, das Fenster zu öffnen. Dann huschte erstmals der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht. Dabei entblößte er marode Zähne, die bei jedem Zahnarzt innere Freude aufkommen gelassen hätten, da auffallend 2 in der Vorderreihe fehlten. Staksig bewegte er sich auf den Beifahrersitz zu, drehte sich dann zu seinem Kollegen um, als ob er sich vergewissern wollte, dass er ihm auch wirklich folge. Zufriedenheit umrahmte sein Gesicht, als er nur das eine aber für ihn wichtige deutsche Wort mit sichtbarem Stolz zum Ausdruck brachte, während er auf unsere eingeschüchterte Hündin zeigte: „Kaninchen“! Stille überlagerte das Geschehen, während ich mich lachend am Lenkrad festkrallte, um nicht um zu fallen. Tobsy dagegen schnappte hörbar nach Luft und schaute hilfesuchend an sich hinunter, bevor sie einen Blick in den Außenspiegel warf. Erleichtert wirkte sie, als sie an ihrem Kopf keine verlängerten Ohren entdeckte. Der andere Zöllner war von den guten Deutschkenntnisse seines Kollegen überwältigt und klopfte ihm anerkennend auf seine Schultern. Er wünschte sich innerlich, so ausgefeilte Fremdsprachen- Kenntnisse auch selbst einmal zu besitzen. Beide entfernten sich zufrieden und selbstbewusst zu ihrem Arbeitsraum, während Tobsy immer noch ihr Maul weit aufstehen ließ. Sie vermied es sogar zu bellen, und gelobte feierlich, nie mehr gekochte Möhren, die eigentlich für unsere Kinder bestimmt waren, zu fressen.
Copyright: Werner Jung Bad Ems. Buchprojekt: Die Eroberung von Spanien. Veröffentlichungen- auch in Auszügen. bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers.
Bürgerreporter:in:Werner Jung aus Bad Ems |
9 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.