Männer sind Paschas, die aber erstaunliche Lernfähigkeiten besitzen
Wir standen 1974 auf dem Kirchplatz eines baskischen Bergdorfes und frühstückten ausgiebig. In der Nacht hatten wir hier wunderbar und sicher geschlafen. Am Morgen schlurften Einheimische mehrmals an unserem Bully vorbei und warfen neugierige Blicke auf uns, da wir ihnen fremd waren. Sie taxierten uns mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit und grüßten zurückhaltend. Ihre Kinder hatten diese Fremdgefühle nicht. So ließen sie ihren Ball absichtlich auf unser Terrain rollen und freuten sich, wenn ihn unsere Sonnenscheine zurückwarfen. Schon bald blieben sie neugierig neben unserem Bus stehen und plauderten freundlich auf uns ein. Die Gebärdensprache erlaubte eine sichere und verständliche Kommunikation. Ein Tosen und Tollen begann. Unser kleiner Sohn Oli bemächtigte sich eines Bobby Cars, der ihm freundlich von einem spanischen Jungen anvertraut wurde. Natascha unsere 4 Jahre alte Tochter hätte gern auch diesen Blechkarren bewegt, aber nun saß ihr kleiner Bruder wie ein Feldherr in diesem Gefährt und zeigte kein Ansinnen, dieses auch nur für Minuten seiner Schwester zu überlassen. Tränen rollten über ihre Wangen und offenbarten einen Wasserfall voller Gefühle. Eine baskische Frau näherte sich mit dem beschützenden Instinkt einer Mutter. Sie hob das weinende Kind auf ihre Arme und wiegte es zart wie einen Säugling. Ein spanisches Kinderlied, das sie leise vor sich her summte, zauberte ein Lächeln auf die Wangen der kleinen Lady, die alle Zuwendungen sichtbar genoss und den Kummer mit dem eigensinnigen Bruder dabei vergaß. Judith- unser Ferienkind zog ohne Ermüdungserscheinungen an einem Seil den kleinen Pascha Oli mit dem Blechauto über den Dorfplatz. Dabei drückten 2 spanische Jungs aus Leibeskräften von hinten, um das rappelnde Gefährt in Fahrt zu bringen. Unser Sohn war Feldherr und Triumphator zugleich. Die älteren Bergbauern, die am Rande des Platzes auf klapprigen Stühlen Platz genommen hatten, damit ihnen nicht Wichtiges entgehen konnte, schauten bewundernd auf diesen kleinen Prinzen mit seinem goldgelockten Haar. Die männliche Rolle wurde von diesem Kleinen so gekonnt zelebriert, dass es eine Ehre war, ein Mann zu sein. Elfe hatte andere Aufgaben für mich bestimmt. Sie deutete mit einem Kopfnicken auf einen Eimer mit eingeweichter Wäsche, der am Dorfbrunnen mitten auf dem Platze von mir ausgewaschen werden sollte. Während des Waschvorgangs wollte sie selbst Ordnung im Inneren des Fahrzeuges schaffen. Ich nahm nicht ohne Murren den Eimer in die Hand und bewegte mich langsam auf den Brunnen zu. Das Päckchen mit dem Wundermittel „Weißer Riese“ ließ ich in meiner linken Hand kreisen, um meinem Tun eine spielerische Note zu verleihen. Als ich das Ziel schließlich erreicht hatte, stellte ich den Eimer mit männlichem Schwung auf den Absatz des Wassertroges und schüttete Waschpulver über den Inhalt. Dann ließ ich Wasser hineinlaufen und drückte mit meinen Händen in den sich entwickelnden Schaumberg. Die Wäsche drehte und knetete ich mit männlicher Kraft. Dabei genoss ich die bewundernden Blicke der weiblichen Dorfbewohner. Ich glaubte zu bemerken, dass in ihren Köpfen revolutionäre Gedanken quollen. Es machte sie stark, eine männliche Trutzburg in dieser Zurschaustellung wanken zu sehen. Ganz anders war die Reaktion der alten Männer, die ihrer Sehkraft nicht mehr trauten, und die sich theatralisch die Augen rieben. Krampfhaft suchten sie nach Ideen, diesem für die männliche Welt entwürdigenden Treiben ein rasches Ende zu bereiten. Ihre hypnotischen Gedanken rollten wie Wasser an mir vorbei, so konzentriert war ich mit meinem Tun. Als ich zum Bus zurückschaute, winkte mir Elfe wie eine verführerische Venus zu und Kräfte ungeahnten Ausmaßes beseelten meine Hände und Arme. Glücksgefühle überströmten mich und verliehen meinem Tun Flügel. Ich bemerkte nicht den älteren Herrn, der energisch 2 Stühle hinter mir aufbockte. Ein anderer Mann mit einer fehlerhaften Lücke in der vorderen Zahnreihe trug wie ein Priester eine Flasche Rotwein und 2 Gläser in der Hand. Er stellte sie demonstrativ in den Sand neben den aufgebauten Sitzgelegenheiten. Grimmig näherte sich der Senior meiner Schulter, tippte recht energisch mit seinen Fingern auf sie, bevor er gebieterisch auf einen der Stühle deutete. In seinem Blick wurde der Befehl eines militärischen Würdeträgers sichtbar, der mir unmissverständlich klarmachte, dass ich endlich aufhören soll mit dieser lasterhaften Aufführung, um das männliche Symbol der Herrschaft nicht zu verunglimpfen. Meine mit Seifenschaum bedeckten Hände versagten auf magische Weise ihren Dienst, und ich versuchte sie heimlich, an meiner Hose ab zu trocknen. Der Alte reichte mir gebieterisch seine von Schwielen überzogene Hand und geleitete mich zu den 2 Stühlen. Er nahm Platz und deutete auf den 2. Sitz, wo ich mich langsam niederließ. Der andere reichte jedem von uns ein Glas mit Rotwein mit der Absicht, dass ich nur so die angekratzte Männlichkeit zurück erobern kann. Dann prostete er mir zu und blickte mich durchdringend und überzeugend an, als wollte er sagen. Deine Pascha- Stellung als Mann ist hier! Nutze sie! Deine erbärmliche Aktion auf dem Dorfplatz ist ein unverzeihlicher Ausrutscher, die Männlichkeit auf so lächerliche Weise preiszugeben. Zugleich winkte er energisch einer Dame zu, die sich sofort und ohne Widerrede zu meinem verlassenen und aufgegebenen Arbeitsplatz bewegte. Sie tauchte mechanisch ihre Hände in den von einer Schaumkrone gezierten Eimer. Sie drückte und presste die Wäsche, als gelte es mir und allen Anwesenden zu zeigen, dass nur eine Frau diese Arbeit fachmännisch zu verrichten in der Lage sei. Sie genoss die glücklichen und anerkennenden Blicke des Alten, der ihr Vater war, was wir erst später erfuhren. Die Gläser wurden mehrmals auf wundersame Weise gefüllt. Die Wäsche flatterte inzwischen auf einer improvisierten Leine. Ich hatte, das war mir inzwischen bewusst, meine Männlichkeit zurück erhalten wie ein kostbares Gut, das es von nun an für mich zu hüten galt. Ich fühlte mich als Pascha, der die Blicke anwesender Frauen genussvoll einsaugte und vergaß, dass diese Rolle nur wenige Zeit andauern sollte. Elfe beobachtete das Geschehen mit großer Schadenfreude, lächelte verschmitzt, als wollte sie sagen: Männer sind leicht zu führende Wesen, denen man nur die Illusion eines Herrschaftsanspruchs vorgaukeln braucht, um sich dann wieder bedingungslos der weiblichen Logik zu unterwerfen.
Copyright: Werner Jung in Bad Ems- Romanprojekt -1974- Die Jung Familie erobert Spanien
Veröffentlichungen, auch in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Urhebers
Bürgerreporter:in:Werner Jung aus Bad Ems |
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