In Nacht- und Nebelaktionen wurde der giftige Bohrschlamm in Konvois in schwach besiedelte Gebiete transportiert

Die Erdölfirma BEB an der Elwerathstraße in Nienhagen heute.
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DAS ERDREICH IST VOLL VON ÜBERRASCHUNGEN

Das Verklappen von Giftmüll und sonstigen Chemikalien beschäftigt seit Jahren die niedersächsische Politik. Das jüngste Thema ist durch Recherchen des NDR im Jahr 2014 auf den Tisch gekommen. Es geht um die zahlreichen Gruben in Niedersachsen, in die seit den frühen 1960er Jahren die Ölfirmen den giftigen Bohr- und Ölschlamm eingefüllt haben. Häufig handelt es sich um Gruben aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, und es lässt sich noch lange nicht genau absehen, in welchen Dimensionen hier ein Frevel an der Umwelt begangen worden ist.

Die Behörden sind gerade dabei, eine Bestandsaufnahme zu erarbeiten. Umweltminister Stefan Wenzel hatte angekündigt, dass 400 solcher Gruben untersucht werden, in denen der giftige Bohrschlamm vermutet wird, der Schwermetalle, radioaktive Stoffe und Mineralölkohlenwasserstoffe enthalten kann. Letztere können beim Menschen Krebs auslösen oder das Erbmaterial schädigen. Die Gruben, in denen auch normaler Hausmüll gelagert wurde, unterliegen der Aufsicht des Zweckverbands Abfallwirtschaft Celle, die anderen dem Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Niedersachsen.
Direkt beauftragt ist mit dieser zeitaufwändigen Aufgabe eine Arbeitsgruppe des Wirtschafts- und Umweltministeriums und des Landesbergbauamts. Jetzt ist bereits davon auszugehen, dass Zehntausende Tonnen des belasteten Materials gerade in ländlichen Bereichen verklappt worden sind.
Zunächst ist allein von 32 solcher Deponien im Landkreis Heidekreis und 37 im Landkreis Celle die Rede. Der Zweckverband Abfallwirtschaft Celle hat in einem Zwischenbericht eine Karte veröffentlicht, in der die Gruben mit orangefarbenen Punkten markiert sind. Zu sehen ist eine starke Konzentration in den südlichen Bereichen des Landkreises Celle, insbesondere in den Gemeinden Wietze, Hambühren, Nienhagen und Bröckel.
Der Landkreis Celle ist in besonderer Weise durch das Erdöl geprägt. In Wietze brachte der Geodät und Hochschullehrer Konrad Hunäus (1802-1882) eine der weltweit ersten ölfündigen Bohrungen nieder. Wenige Jahrzehnte später setzte der Ölboom ein. Nach und nach, mit Schwerpunkten in den Jahren der Weltkriege, wurden nach Angaben des Landkreises Celle insgesamt acht Erdölfelder erschlossen, und zwar zunächst Wietze, Nienhagen, Bannetze, Rixförde, Eicklingen und Thören und nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) noch Hohne und Wiedenrode. Insgesamt wurden über 4000 Bohrungen nach Erdöl niedergebracht, ungefähr die Hälfte davon allein im Feld Wietze.
Nach Informationen des Deutschen Erdölmuseums Wietze sei Wietze zwischen 1900 und 1920 das produktivste Erdölfeld in Deutschland mit einem Anteil von knapp 80 Prozent an der deutschen Förderung gewesen. „Das gesamte Dorf wurde auf die Erdölindustrie ausgerichtet mit einem Bahnhof, einem Hafen, einer Raffinerie, zahlreichen Betriebs- und Verwaltungsgebäuden, Direktorenvillen, Arbeitersiedlungen, Öltanks und vielem mehr“, heißt es auf der Museums-Homepage.
Dass die Gesamtzahl der Bohr- und Ölschlammgruben noch nach lange nicht erfasst ist, zeigt das Beispiel Samtgemeinde Wathlingen, zu der die Gemeinden Adelheidsdorf, Nienhagen und Wathlingen zählen. Hier wurden bereits neun Standorte von Bohrschlammgruben ermittelt, die Namen, wie „Nienhagen Fröhlich 34“, „Nienhagen E119“ und „Nienhagen E3“ tragen. Ein Zeitzeuge berichtet, er habe als Junge beobachtet, wie vor Jahrzehnten in einer frühen Abenddämmerung ein LKW-Konvoi der Erdölfirma BEB Erdöl und Erdgas GmbH in einer, wie es ihm schien, Nacht- und Nebelaktion von der Hannoverschen Straße in die Hauptstraße nach Großmoor abbogen und dann in entfernter Sichtweite an der Nordseite der Straße die Schlämme in vorhandene Kuhlen abgeladen haben. Heute ist es so, dass sich niemand an dieses Vorkommnis mehr erinnern kann, ebenso an die Kuhlen. Eine Zufallsbeobachtung also, die dadurch belegt wird, dass in dem Bereich ein Grundstückseigentümer bei Grundstückskauf einen „Borgward Kübelwagen“ unter der Grasnabe versenkt vorfand (wo er auch belassen worden sei).
Es scheint also, allein an diesem Beispiel aufgezeigt, noch viel Anstrengung erforderlich zu sein, um wirklich alle Bohr- und Ölschlammdeponien ausfindig zu machen. Und für die erschienen ja gerade die weitgehend unbesiedelten Gebiete, wie die flächenmäßig bedeutende Gemeinde Adelheidsdorf, in der in der Vergangenheit auch so manche noch unbekannte Deponie mit chemischen Abfällen zutage getreten ist, prädestiniert.

Bürgerreporter:in:

Matthias Blazek aus Adelheidsdorf

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