Unfaire Tarife beim RMV
Jedes Jahr zum Fahrplanwechsel steigen die Preise im öffentlichen Nahverkehr. Ob sie zu hoch sind oder nicht, mag Ansichtssache sein. Mängel im Tarifsystem können jedoch für Ungerechtigkeiten sorgen, etwa wenn man für gleiche Strecken sehr unterschiedliche Preise zahlt. Das Tarifsystem vom RMV weist einige Mängel auf.
Merkmale eines gerechten Tarifs
Die Frage, was ein gerechter Tarif ist, ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Wenn zum Fahrplanwechsel alle Preise verzehnfacht würden, wären sie zwar viel zu hoch, aber nicht ungerechter als vorher, da es jeden Nutzer in gleichem Maße treffen würde. Würde aber die Fahrt von Bürgeln nach Cölbe drei Euro kosten, während für die Strecke von Anzefahr nach Cölbe (über Bürgeln) nur ein Euro verlangt würde, dann wäre das ungerecht. Schließlich sollte die kürzere Strecke nicht mehr kosten als die längere.
Eine Bedingung für einen gerechten Tarif ist also:
Der Preis für eine Strecke A nach B oder B nach C darf nicht höher sein als für die Strecke von A über B nach C.
Eine andere Bedingung ist:
Die Fahrt von A nach B kostet genauso viel die Fahrt von B nach A. Nur in Sonderfällen sind Ausnahmen gerechtfertigt: Etwa beim Transport auf Berge kostet die aufwärts führende Fahrt mehr Energie und ist of stärker nachgefragt als die Gegenrichtung.
Der RMV-Tarif erfüllt diese Bedingung leider nicht immer. Mehrere Beispiele zeigen, wo man beim RMV unangemessene Preise zahlen muss.
Anschlusstarif
Wenn man eine Zeitkarte hat, aber über das Gültigkeitsgebiet hinaus fahren möchte, dann braucht man für das nicht abgedeckte Stück noch eine Fahrkarte. Da man beim RMV immer nur Karten ab dem Ort, wo man losfährt, kaufen kann, wird für diesen Zweck der RMV-Anschlusstarif angeboten. Der berechnet sich aus dem Preis für die zu fahrende Strecke und der Preisstufe der eigenen Fahrkarte. Es wird aber nicht berücksichtigt, wie viel von der zu fahrenden Strecke schon von der Zeitkarte abgedeckt ist und wie viel nicht.
Beispiel 1: Diana hat eine Zeitkarte von Stadtallendorf nach Gießen (Stufe 4) und möchte zur Licher Brauerei. Von ihrer Karte ist die Strecke Garbenteich - Lich nicht abgedeckt, die einzeln 1,95€ kostet. Mit dem in Stadtallendorf gelösten Anschlusstarif kostet die Fahrt 3,45€. Wenn Diana den Anschlusstarif erst beim Umsteigen in Gießen löst, kostet es 1,45€. Die Rückfahrt wird noch billiger: Diana kauft nur den Anschlusstarif bis Garbenteich für 1,40€. Damit hält sie sich zwar nicht an die vorgesehene Tarifnutzung, aber der RMV kann ihr nicht verbieten, die Fahrt in dieser Weise aufzuteilen (falls doch, müsste sie in Garbenteich einfach mal kurz vor die Tür gehen).
Solche Merkwürdigkeiten ergeben sich, wenn man bei der Tarifdefinition einfache Grundregeln ignoriert.
Beispiel 2:
Simone hat eine Zeitkarte von Butzbach nach Frankfurt (Stufe 6) und möchte von Butzbach nach Neu-Isenburg. Die fehlende Restrecke (zwei Minuten Fahrt mit der S-Bahn) kostet einzeln 1,50€, mit dem Anschlusstarif ab Butzbach aber 3,80€, also über zwei Euro mehr. Statt als Stammkunde Rabatt auf die Fahrt zu bekommen, müsste sie also einen saftigen Aufschlag zahlen.
Beispiel 3:
Martin hat eine Zeitkarte von Friedberg nach Stadtallendorf und möchte von Stadtallendorf durch den Odenwald bis Eberbach am Neckar fahren. Mit dem RMV-Anschlusstarif bekommt er eine Fahrkarte für nur 3,80€.
Beim Umsteigen in Frankfurt will er noch etwas besorgen und verpasst dadurch den nächsten Anschlusszug. Er braucht nun eine neue Fahrkarte, weil Einzelfahrkarten immer nur für die nächstmögliche Verbindung gelten. Nun kommt die böse Überraschung: Weil Martin nicht mehr im Gültigkeitsbereich seiner Zeitkarte ist, kann er den Anschlusstarif nicht mehr nutzen und muss eine normale Einzelfahrt zum Preis von 13€ für die Reststrecke bezahlen.
Übergangstarif
Abenteuerlich wird es, wenn man eine Zeitkarte bis zur Verbundgrenze hat, aber damit ein Stück durchs RMV-Gebiet und ein Stück in einen Nachbarverbund fahren möchte. Für das fehlende Reststück bekommt man in der Regel keine Fahrkarte!
Man bekommt keine Fahrkarte zum DB-Tarif, weil es vom RMV einen Übergangstarif gilt. Den kann man aber wie alle RMV-Fahrkarten immer nur ab Abfahrtsort kaufen (wenn man keinen Automaten im Zug hat), und einen Anschlusstarif gibt es für diesen Fall nicht. Wer etwa von Frankfurt nach Treysa möchte und schon eine Zeitkarte bis Neustadt hat, kommt an keine Fahrkarte. Die einfachste Lösung wäre, die Fahrkarte beim Schaffner zu kaufen (wenn denn noch einer da ist). Der wird jedoch darauf verweisen, dass der RMV den Verkauf von Einzelfahrkarten durchs Personal verboten hat, und vielleicht noch eine mehr als doppelt so teure Tageskarte anbieten. Das ist natürlich sehr albern, denn auf einigen Linien gibts Automaten in den Zügen, und da darf man sich dann unterwegs den fehlenden Fahrschein kaufen.
Das Verbundloch
Laut der Streckenkarte Hessen, welche man auch in manchen Zügen an der Wand findet, teilt sich Hessen lückenlos auf die Verkehrsverbünde NVV, RMV und VRN auf. Dann könnte man etwa mit der Kombination aus NVV- und RMV-Netzkarte von Kassel nach Frankfurt fahren. Wer das probiert, wird jedoch darüber aufgeklärt, dass das nicht geht, weil der Streckenabschnitt an der Verbundgrenze (z.B. Neustadt - Wiera) zu keinem der Verbünde gehört und man dafür noch einmal zusätzlich eine Fahrkarte braucht. Eine Ausnahme gibt es nur in Eberbach, wo RMV und VRN lückenlos ineinander übergehen.
Grobe Preisstufen
Große Sprünge zwischen den Preisstufen sorgen dafür, dass eine Fahrt durch Aufteilen billiger werden kann. Die Fahrt von Butzbach nach Seulberg kostet 10€, während Butzbach - Friedrichsdorf 6,95€ und Friedrichsdorf - Seulberg 1,50€ kostet, also 1,55€ weniger.
Bei einem Stufentarif ist es nichts Besonderes, wenn sich der Preis nach Verkürzung oder Verlängerung der Strecke nicht ändert. Beim RMV können jedoch sehr unterschiedliche Strecken mit dem selben Preis belegt sein: Für 3,70€ gibt es Stadtallendorf - Cölbe (21km) und Neustadt - Langgöns (72km). Letzte Strecke ist mehr als drei mal so lang wie die erstere.
Im Bereich Frankfurt gilt eine spezielle Tarifregelung, die Einzelfahrkarten für kurze Strecken relativ teuer werden lassen kann.
Handy-Ticket
Viele der genannten Ungerechtigkeiten hängen damit zusammen, dass man am Automaten nicht den Abfahrtsort auswählen kann. Sie würden sich durch eine entsprechende Auswahlmöglichkeit beheben lassen. Während das in den Anfangszeiten des RMV einige der damaligen Automaten überfordert hätte, sollte es inzwischen kein technisches Problem mehr darstellen. Leider fehlt beim RMV die Einsicht für solche Anpassungen.
Seit 2008 gibt es immerhin eine Möglichkeit, das Problem zu umgehen: Beim RMV-HandyTicket gibt es diese Beschränkung nicht. Dafür muss der Kunde allerdings die passende Hardware bereithalten. Wer die nicht hat oder überhaupt nicht mobil telefoniert, muss manchmal zu hohe Preise zahlen.
Abschlussbemerkung
Wie bereits gezeigt wurde, entspricht die Preisgestaltung beim RMV nicht immer dem, was man mit etwas gesundem Menschenverstand erwartet. Das heißt nicht, dass der RMV-Tarif generell schlecht ist. Es gibt viele sehr kundenfreundliche Regelungen wie die kostenlose Mitnahme von Fahrrad und Hund, übertragbare Zeitkarten ohne Aufpreis oder die Netzwirkung von Zeitkarten der Stufe 7. Kleine Korrekturen zur Behebung der genannten Probleme wären jedoch sinnvoll.
Spartipps
Den Anschlusstarif möglichst nahe beim Ziel kaufen (z.B. beim Umsteigen).
Vor dem Kauf einer Zeitkarte prüfen, ob es nicht zum selben Preis auch noch ein Tarifgebiet mehr gibt. So sind beispielsweise Stadtallendorf - Marburg und Stadtallendorf - Gießen zum selben Preis zu haben.
Vor dem Kauf eine Zeitkarte gegebenenfalls prüfen, ob man durch Aufteilen der Strecke nicht günstiger kommt.
Wenn ein kurzes Stück am Ende der Strecke den Preis stark erhöht oder zu Problemen beim Kartenkauf führt, kann man auch ein Fahrrad mitnehmen und das letzte Stück radeln. Wer etwa von Frankfurt nach Wiera möchte, kauft für 13€ eine RMV-Karte nach Neustadt und radelt die letzten Kilometer (ca. 15 Minuten). Die DB-Fahrkarte Frankfurt-Wiera würde 22,70€ kosten.
Links
Vom Marktplatz Offenbach zur Konstablerwache ist es teurer als zu den weiter entfernten Zielen Hanau, Rodgau oder Dietzenbach: FR: Teure Tickets nach Frankfurt
Bürgerreporter:in:Sören-Helge Zaschke aus Stadtallendorf |
3 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.