Und wieder klingelt's
Es klingelt zweimal kräftig, so als ob Verwandte oder gute Bekannte vor der Tür stehen würden. Wer könnte das zu dieser Zeit sein? Ich öffne gespannt. Vor der Haustür steht eine junge Dame, vielleicht Anfang zwanzig und nicht unattraktiv. In einem Deutsch mit leichtem Akzent berichtet sie, sie käme aus Moldawien und überreicht gleichzeitig in einer Plastikhülle einen handschriftlichen Zettel, auf dem steht, dass ein Hochwasser das Haus ihrer Familie weggeschwemmt hätte und sie alle obdachlos geworden wären. "Den Zettel kenne ich," sage ich zu ihr. "Da war vor zwei, drei Wochen schon jemand hier, hat ihn mir vorgezeigt und um eine Spende gebeten." Woher sie denn genau käme? "Aus Rumänien," sagt sie, "Moldawien." "Moldawien," antworte ich, "ist nicht Rumänien! Moldawien ist ein unabhängiger Staat. Aber in Rumänien gibt es ein Landschaft, die Moldava heißt oder zu Deutsch, die Moldau." Ob sie denn Rumänisch spreche, frage ich, da ihr recht gutes, wenngleich nicht akzentfreies Deutsch nicht so klingt als würde es von einer Rumänin gesprochen. "Ein bisschen.", gibt sie Auskunft. "Ich spreche Ungarisch." Nun, typisch ungarisch ist der Akzent auch nicht. "Haben Sie denn einen Spendensammelausweis von der Stadt?", will ich wissen und weiß natürlich, dass sie den nicht wird vorweisen können. "Nein", antwortet sie, "den brauch' ich nicht!" "Doch", sage ich, "bei mir brauchen Sie den schon. Haben Sie denn wenigstens einen anderen Ausweis?" Sie zieht ein rotes Stofftäschchen aus dem Bund ihrer Jeans und nestelt einen Ausweis hervor. Es ist ein rumänischer Personalausweis und belegt, dass sie aus dem Judet Mures (leider lassen sich hier die diakritischen Zeichen unter dem 't' und dem 's' nicht darstellen), dem Landkreis Mieresch in Siebenbürgen kommt - also weder aus der Moldau, noch aus Moldawien. "Ach, Erszébet", sage ich, "Sie haben einen ungarischen Vornamen!" Sie gehört also wohl zu der recht großen ungarischen Minderheit in Siebenbürgen, die an der Zahl schon früher die dortige deutsche Minderheit der Siebenbürger Sachsen übertraf. "Vielleicht doch eine kleine Spende, mein Vater hat Krebs?" versucht sie es ein letztes Mal. "Tut mir wirklich leid, aber ohne Sammelausweis kann ich Ihnen keine Spende geben." Erszébet verabschiedet sich trotzdem sehr freundlich und wünscht alles Gute.
Sie gehört wahrscheinlich zu einer Gruppe von Menschen, die unter der Kontrolle der Rumänen-Mafia zum Spendensammeln herum geschickt werden und das Eingesammelte an ihre Chefs abliefern müssen. In der gleichen Lage sind auch die kniend-kauernden Bettler mit der Bittgeste auf den Geschäftsstraßen unserer Großstädte. Arme, ausgenutzte Bittsteller, denen man nicht hilft, wenn man sich zum Spenden erweichen lässt.
Deshalb, Tina, heißt es ja auch 'küssen und kosen'. mit anderen Worten, küssen ist nicht gleich kosen, ein Kosename ist kein Kussname und ein Kosewort ist kein Kusswort. Mit Verlaub, "Küss die Hand, gnä' Frau", wie der Österreicher sagt und der Pole und Rumäne auch heute noch ausführt. Nebenbei: In gewissen deutschen Dialekten bedeutet 'kosen' auch 'sprechen/sich unterhalten': De koost met sinem Broder önnerlich = er führt Selbstgespräche. Siehe da, man kann auch alleine kosen! - nicht nur als Narziss und Goldmund. ;-))