Armutseinwanderung: Deutschland erwägt nationale Lösung
F.A.Z. 05.12.2013 ·Von Nikolas Busse, Brüssel
Die EU-Mitgliedsstaaten streiten seit Monaten über die Armutswanderung in der Union. Ergebnislos. Nun hat Bundesinnenminister Friedrich seine Amtskollegen vor ihrem Treffen in Brüssel unter Druck gesetzt.
In der Diskussion über die sogenannte Armutseinwanderung ist die Bundesregierung so unzufrieden mit der Haltung der Europäischen Kommission, dass sie nun eine Lösung außerhalb der EU erwägt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kündigte am Donnerstag an, „notfalls“ Gespräche mit anderen betroffenen Ländern zu führen, um gegen das Erschleichen von Sozialhilfe durch EU-Bürger aus ärmeren Mitgliedstaaten vorzugehen. Friedrich schlug nationale Gesetze gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sozialhilfe vor, die die betroffenen Länder dann miteinander abstimmen sollten. Dazu zählen Großbritannien, Österreich, Dänemark und die Niederlande.
Friedrich äußerte sich vor Beginn einer Sitzung der EU-Innenminister, auf der deutliche Differenzen zwischen der Kommission und einigen Mitgliedstaaten über das Thema erwartet wurde, über das schon seit Monaten in der EU gestritten wird. Justizkommissarin Viviane Reding bekräftigte noch einmal, dass die Freizügigkeit ein Grundrecht der EU-Bürger sei, das nicht in Frage gestellt werden könne. Sie stellte allerdings nicht mehr kategorisch in Abrede, dass dieses Recht womöglich auch missbraucht wird, um sozialstaatliche Leistungen zu erhalten. Betrug müsse von den Mitgliedstaaten bekämpft werden, sagte sie, dafür seien diese zuständig. „Viele nationale Gesetze sind zu vage und zu positiv, sie laden geradezu zum Betrug ein.“ Sie fordere die Mitgliedstaaten auf, „ihre Hausaufgaben zu machen“.
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In einigen EU-Ländern klagen die öffentlichen Verwaltungen seit längerem über einen Zuzug von Bulgaren und Rumänen, oft Roma, die es offenbar nur auf Sozialhilfe abgesehen hätten. In Deutschland betrifft das etliche Städte und Gemeinden, darunter vor allem Duisburg.
Auch die britische Regierung beklagt sich über „Sozialstaatstourismus“ und fordert besonders nachdrücklich Gegenmaßnahmen. Innenministerin Theresa May schlug in Brüssel vor, den nationalen Regierungen solle erlaubt werden, Obergrenzen für den Zuzug von EU-Bürgern einzuführen. Außerdem solle beim Beitritt neuer EU-Länder volle Freizügigkeit erst gewährt werden, wenn diese ein „gewisses Einkommensniveau“ erreicht hätten. Solchen weitgehenden Forderungen, die eine Änderung des EU-Rechts erforderlich machen würden, hat sich die Bundesregierung bisher nicht angeschlossen.
Friedrich: „Mit diesem Bericht bin ich nicht zufrieden“
Die EU-Kommission legte zu dem Treffen einen Bericht über das Problem vor, den sie auf Bitten Deutschlands, Großbritanniens, der Niederlande und Österreichs verfasst hat. Darin zitiert sie Statistiken, wonach mobile EU-Bürger im Durchschnitt häufiger einer Beschäftigung nachgehen als Staatsbürger ihres Aufenthaltslandes. In den meisten Mitgliedstaaten zahlten sie mehr an Steuern und Sozialbeiträgen, als sie an staatlichen Leistungen erhielten. Die Kommission weist darauf hin, dass EU-Bürger in einem anderen Mitgliedstaat zwar Anspruch auf die gleichen Sozialleistungen haben wie die Einheimischen, es dazu in der Praxis aber selten komme, da sie nur länger als drei Monate bleiben dürften, wenn sie eine Arbeit oder ausreichende Finanzen nachweisen können. Die Kommission kündigte an, die Verwaltungen der Mitgliedstaaten mit Handbüchern und Schulungen bei der Anwendung des EU-Rechts zur Freizügigkeit zu unterstützen.
Friedrich sagte, das sei ihm nicht genug. „Mit diesem Bericht bin ich nicht zufrieden.“ Er verlangte eine genauere Klärung der Rechtslage und ein „klares Vorgehen“ gegen jene EU-Mitgliedstaaten, die die EU-Mittel zur Förderung ihrer Minderheiten nicht abrufen. Diese Bemerkung dürfte sich vor allem auf Bulgarien und Rumänien bezogen haben, die in der Vergangenheit offenbar wenig Gebrauch von der Möglichkeit gemacht haben, EU-Gelder für Sinti und Roma zu nutzen und diese Volksgruppen damit in ihrer Heimat zu halten. Zufrieden zeigte sich Friedrich damit, dass die Kommission in ihrem Bericht das Verhängen von Wiedereinreisesperren für zulässig erklärt, wenn jemand Sozialhilfebetrug begangen hat.