Das Äl-Ägelche aus dem Land der Marjellens
Bald nach Flucht und Vertreibung der Bevölkerung aus den Ostprovinzen Deutschlands wurde klar, dass die dort gesprochenen Dialekte aussterben würden. Also beschlossen Sprachforscher, den noch nicht aufgeschriebenen Wortschatz Pommerns, Schlesiens und Ostpreußens zu sammeln, um ihn der Nachwelt zu erhalten. Dazu ließ man durch gute Mundartsprecher viele Fragebögen ausfüllen, übertrug das so erhaltene Material auf Karteikarten und stellte daraus schließlich Wörterbücher zusammen.
Natürlich war das von den Sprechern Ausgefüllte nicht in jedem Fall eindeutig und so kam es zu mancher schriftlichen Nachfrage. Die Antworten konnten recht lustig sein, wie dieses Originalbeispiel zeigt:
(Anmerkung: Runde Klammern stammen vom Antwortenden. Notwendige Erklärungen habe ich in eckige Klammern gesetzt. Rechtschreibung des Originals.)
"Ihnen zur Mitteilung, daß Sie das Äl-Ägelche zwar richtig gelesen, jedoch nicht begriffen haben. Mir selbst ging es da nicht besser, hätte ich dieses kleine Holzfäßche nicht mit eigenen Augen gesehen. Ob es unter diesem Namen (lange vor 1914) hergestellt und von den Leuten als solches gekauft worden ist, weiß ich wirklich nicht. Auch unsere Eimer u. Eimerchen, Körbe u. Körbchen, Kannen u. Kännchen, Töpfe u. Töpfchen waren nicht gleich immer für einen besonderen Zweck ins Haus gekommen. Bis er zum Scheiß- und dann Mülleimer wurde, war er längst nicht mehr dicht, weil er bereits durch Haus und Stall gegangen und bereits von Vieh und Pferden zertreten u. zerbülzt [verbeult] worden.
Nun, dies Äl-Ägelche [Öl-Fässchen] war keineswegs getreten worden und mir träumt, die Bäuern [Bauern] hatten da ihre zehn Liter Leinöl abgefüllt, denn zur Älmöhl [Ölmühle] haben sie es kaum mit gehabt wenn sie ihren Scheffel Lein ausschlagen wollten. Waren doch die Männer in der Älmöhl so dreibastach [dreibastig = frech] die ganze Äl vorbei laufen zu lassen, anstatt dem Bauer sein Ägelche zu füllen durch das kleine Spundloch. Ein gutes Kaffeekannche stand oder hing in greifbarer Nähe, um so die vorbeilaufende Äl aufzufangen. Nun ja! Der Bauer konnte doch beim besten Willen nicht die Äl zurück verlangen. Und so hatten die Ausschlohasch [Ausschläger; Arbeiter in der Ölmühle] mehr Äl als mancher Bauer. Und ob es auch einen oder ein Ägel gegeben hat, weiß ich wirklich nicht. Dafür konnte man ja leicht Ägel sagen, wie man auch Kärdel [Kerl] und Kärdelche auf ein und denselben sagen kann! Ansonsten ist das am Ende fast immer eine verniedlichende Verkleinerungsform und auch fast immer mit dem sächlichen Geschlechtswort (das) zu benennen. Und ob das Ägelche überhaupt ein Name ist oder, wie so oft, dem Bürgerdorfer [Bürgerdorf Kreis Rößel] Jargon, Kauderwelsch, entsprungen ist und aufgeschnappt und schnell verbreitet worden ist, hat wohl niemand nachgesucht.
Die Mehrzahl v. Ägelche wird heißen die Ägelche oder auch, weil es keiner so genau nahm, konnten sie auch Ägels oder Ägelches heißen. Mir träumt da etwas, daß man auch Essig und Boennaboha Fusel [Brennabor = selbst gebrannter Schnaps] vielleicht auch Spiritus drin hatte. Doch dann konnte man es nicht wieder so schnell wechseln, weil der Geruch dabei nicht verschwindet. [...]
Bei der alten Mamache Mitsche gab es sowieso nur -chens am Ende. Sogar ihr Sohn Josoff [Josef] blieb bis zur Vertreibung mit seinen 58 Jahren der oder das Josoffche. Ja sogar bei drohenden Ankündigungen von Prügel und Anzeigen konnte man erst recht hören: 'Ei! Ei! Böngelche, Lorrbaßche? Du kriest ma de Kirw volljeplatzt, daß de da de Hose bäß unnere Gurda vollscheißt.' [Ei! Ei! Bengelchen, Jungchen? Du kriegst mir die Kerbe vollgehauen, dass du dir die Hose bis unter den Gürtel vollscheißt.]..."
Soweit der Auszug aus der Antwort eines ostpreußischen Mundartsprechers aus einem Gebiet, in dem man 'Breslausch' sprach, einen mitteldeutschen Dialekt, ähnlich dem in Schlesien. In einem irrt der Gewährsmann: Das kleine Hölzfässchen hieß in der Mundart 'Lägel'. So ist es auch im fertigen sechsbändigen "Preußischen Wörterbuch" der Mundarten Ost- und Wrestpreußens von Erhard Riemann verzeichnet.
Na, da ist wohl ein "Stein ins Rollen" gekommen? Dialekt sprechen ist wieder in! Moderne Boygroups machen bewusst wieder mehr davon Gebrauch. Wenn dann noch die Choreographie stimmt, ist das derzeit sehr erfolgreich.
Es freut mich übrigens sehr, wenn hier zu Sachthemen lebhaft diskutiert wird.
Danke Peter, für die schöne Geschichte. Keines der Wörter die du aufgeschrieben hast, habe ich jemals zuvor gehört, bis auf das "Marjellchen." Meine Vorfahren, speziell meine verstorbene Oma, stammte aus Hinterhornbach, das ist eine kleine Gemeinde am "Hochvogel" in Österreich. Von daher kenne ich einige Wörter und Begriffe, die mir meine Mutter schnell wieder abgewöhnt hat, weil sie das so schrecklich "unfein" fand.
Beispiel: "Nimm an Gazza, wenn'd Durschd hoschd." Dieser "Gazza" hing für uns alle im Frischwassereimer und wurde nicht extra gespült. Das wahren noch raue Sitten. Jeder Eimer frisches Wasser musste über den Hof, aus der Waschküche, geholt werden. In dieser Zeit, habe ich viele "unfeine" Wörter gelernt. Omas Familie wurde nach dem Krieg in einer Holzbaracke einquartiert. Auch andere Flüchtlingsfamilien kamen dort unter. Ein buntes Völkergemisch und schnell flogen die Schimpfwörter hin und her. Mittendrin ein Knäuel Kinder, die fast von allein groß wurden. Unser Spielplatz war ein kleines, lichtes Wäldchen, mit hohem Baumbestand. Diesen Platz nannte unsere Oma "Kag" oder "Kaag?" Wer von euch kennt dieses Wort? Bei Google habe ich nichts gefunden. Möglicherweise ist meine Schreibweise falsch. Ich erinnere mich aber noch deutlich an dieses merkwürdige Wort. Könnte es einen Zusammenhang zum Wort "Trichter" geben? Der Platz hatte eine Trichterform, rundherum die alten Laubbäume.