nochmals Glück gehabt...

Der Vater beanspruchte eines Tages den Fernseher ganz für sich alleine und der Hund schlief von da an nur noch im Bett von Tochter Sofie, auf gar keinen Fall aber mehr in seinem Körbchen.
Da weigerte sich auch der grünangestrichene Küchenstuhl, jeden X-Beliebigen auf sich sitzen zu lassen. Ich bin ein stabiler Stuhl von schöner Farbe, sinnierte er, und ich habe vier gerade Beine, auf denen ich noch jederzeit ohne fremde Hilfe stehen kann.
Warum also sollte ich mich weiterhin von jedermann benutzen lassen, wo doch der Hund des Nachts nicht einmal mehr in seinem Körbchen liegen muss?
Es ist zwar richtig, dass es unzählige Stühle auf dieser Welt gibt, deren Lack vielleicht auch noch nicht so abgestoßen ist, wie der meine, aber gibt es nicht auch noch viele andere Menschen, die liebenswerter sind, als mein Besitzer? So will ich nun endlich auch einmal mein Recht beanspruchen!
Kaum hat der Stuhl diesen Gedanken zu Ende gedacht, betrat der Vater die Küche, ging geradewegs auf den grünen Küchenstuhl zu und ließ sich auf ihn plumpsen.
„Runter da!“, schimpfte der Stuhl. Aber nichts geschah.
„Zwecklos“, flüsterte der Tisch, „der macht ja doch was er will.“
„Genau!“ meldete sich der Teppich „Auf mir trampeln sie auch dauernd herum. Und ständig diese Hundehaare, zum Kotzen!
Aber ich bin nun mal ein einfacher Teppich, eigens dafür geschaffen, dass man auf mir herumtrampelt. Wäre ich ein Perserteppich, ja dann würde sich jeder die Schuhe ausziehen und dem Hund verbieten, auf mir zu liegen. Was meinst du denn, eingebildeter Stuhl, was aus dir werden würde, wenn man nicht mehr auf dir sitzen könnte? Wegwerfen würden sie dich. Gestern haben sie die alte Eckbank auf den Sperrmüll gestellt, hast du das bereits vergessen? Anders wird es dir eines Tages auch nicht ergehen, also sei endlich still!“
„Aber ich stehe schon seit Jahrzehnten auf meinem Platz, mir ist noch niemals ein Bein weggebrochen und kein Mensch kam jemals auf den Gedanken, mich wegzuwerfen“, meinte der Stuhl.
„Na und“, rief der Tisch, „die Eckbank stand doch auch noch ganz gut auf ihren Beinen, und jetzt steht da hinten eine neue!“
„Du willst ja nur hetzen“, mischte sich die neue Eckbank in das Gespräch ein.
„Halt deinen Mund, du Grünschnabel“, rief der Teppich wütend, „glaubst wohl, du wärst unersetzlich!“
„Jedenfalls werde ich hier noch stehen, wenn es euch alle schon lange nicht mehr gibt.“
„Sicher“, erwidert der Tisch, „aber mein Nachfolger wird es sein, der sich grinsend von dir verabschieden wird, wenn sie dich schließlich hier wieder hinaustragen und auf den Sperrmüll werfen werden. Und in der Zwischenzeit werden vor allem die Kinder auf dir ab und zu mit den Schuhen herumtrampeln, wohingegen bei mir bisher keiner auf den Gedanken kam.“
Darauf wusste die Neue nichts zu erwidern.
Der Vater stand auf und verließ die Küche.

„Ich glaube, der wird auch von Tag zu Tag fetter“, stöhnte der Stuhl.
„Du hast Recht“, bestätigte der Kühlschrank, „alle fünf Minuten ist er hier und holt sich irgendwas.
„Oh ja“, fügte der Herd hinzu, „die Lebensmittel sind wesentlich schlimmer dran als wir hier. Jedes Mal dieses Geschrei, wenn sie ins kochende Wasser geworfen werden.
„Aber, weshalb machst du dann mit?“ empört sich der Stuhl.
„Was würde es denn schon nützen, wenn ich kalt bliebe“, entgegnete der Herd. „Wenn ich mal nicht mehr funktioniere, dann lande ich ja sofort auf dem Müll. Außerdem sind die Lebensmittel ja auch selbst Schuld. Was müssen sie auch so empfindlich sein.“

Eine zeitlang sprach keiner von ihnen auch nur ein Wort.
Der Stuhl war in Gedanken darüber versunken, was er denn sein könnte, wenn er kein Stuhl wäre. Kurz träumte er, er wäre ein Mensch und dann aber wäre es sein gutes Recht...
Weiter kam er nicht in seinen Gedanken, denn plötzlich rief die Gardine: „Kinder, ihr glaubt ja nicht, was ich da unten sehe. Da unten steht ein Möbelwagen und zwei Männer schleppen gerade etwas in unser Haus!“
Wenig später klingelte es an der Wohnungstür. Stimmen im Flur. Gelächter und freudige Rufe werden laut. Plötzlich geht die Küchentür auf und der Vater trug zusammen mit dem Sohn einen neuen Tisch herein, dessen Beine noch mit Papier umwickelt waren.

Ein wenig scheu noch blickte sich der Neue um sich, während die Mutter erklärte: „Den alten Tisch können wir vorerst in den Keller stellen!“
„Nein!“ rief der grüne Stuhl empört, denn er wollte dem alten Weggefährten helfen. Aber niemand hörte auf ihn. Stattdessen fuhr die Frau fort: „Den alten grünen Stuhl kann ich auch schon lange nicht mehr sehen. Er passt überhaupt nicht mehr zu der neuen Einrichtung. Hoffentlich kommen die neuen Stühle bald.“

Da verschlug es dem grünen Stuhl die Sprache. Er begriff nicht, wie die Menschen so hart und rücksichtslos sein konnten. Jetzt hoffte er nur noch, dass er auch in den Keller kommen würde, um wenigstens seinem alten Gefährten, dem Tisch, nahe zu sein.
Der alte Tisch wurde hinausgetragen, ohne ihm überhaupt noch Zeit zu geben, sich von seinen alten Freunden zu verabschieden.

„Hallo, neuer Tisch“, rief die neue Eckbank, „endlich bin ich nicht mehr so alleine unter all den alten, undankbaren Möbeln hier. Hoffentlich kommen bald die neuen Stühle, dann können wir uns wirklich sehen lassen, wir werden bestimmt prima miteinander auskommen.“

Der niedergetrampelte Teppich ärgerte sich über so viel Dummheit, hörte jedoch auch das Stöhnen und Seufzen jener, die jahrelang auch seine Gefährten waren. Sie taten ihm richtig Leid.
Ein paar Tage später war es dann soweit. Die neuen Stühle wurden geliefert und als der alte grüne Stuhl sie so betrachtete, kamen sogar ihm Zweifel, ein schöner und stabiler Stuhl zu sein. Die Neuen sahen nämlich verdammt gut aus und er wurde fast ein bisschen neidisch.

Dann stand er draußen vorm Haus zwischen zahllosen kleinen und großen Gegenständen, und alle hatten Angst, was denn nun mit ihnen ge-schehen würde. Nur der Stuhl hatte keine Angst. Es war ihm völlig egal, was sie mit ihm machen würden. Voller Trotz dachte er: „So hässlich und unbrauchbar wie ihr denkt, bin ich nicht. Habt ihr meinen Wert und meine Qualitäten nicht erkannt, so bleibe ich wenigstens vor mir selbst bestehen. Ich werde meinen neuen Platz in der Welt schon finden, verlasst euch darauf.“
So stand er mit all den anderen Gegenständen da, bis der Müllwagen um die Ecke bog, vor ihnen hielt und die Arbeiter bereits anfingen, einige der Gegenstände hinten in den großen Schlund zu werfen. Das laute Knacken und Bersten tat allen in den Ohren weh.
„Halt!“, rief da eine junge Frau, die gerade vorüber kam, „bitte nicht den Stuhl, der ist noch so schön, den kann ich gut für meinen Wintergarten gebrauchen.“
Und sie nahm ihn mit nachhause, strich ihn mit neuer grüner Farbe an, malte bunte Blümchen auf seine Lehne und überzog alles noch mal mit einem glänzenden Lack.
Als er trocken war suchte sie einen schönen Platz für ihren neuen Stuhl und so stand er fortan zwischen all den schönen Pflanzen des wohltem-perierten Wintergartens.

Er konnte sein Glück einfach nicht fassen.

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.