Märchen (VI)

Dornröschen

Wow! Das muss ein aufgetakelter Kapitalistenschuppen gewesen sein. Die haben dort vielleicht eine Taufe rutergefetet, diese fidelen Bonzenschweine, dass der Marmor gewackelt hat. Zum Schluss hat dann das Hasch-Pfeifchen die Runde gemacht, Gras wurde geschmaucht und Koks geschnupft.
Stress gab es nur durch eine fast siebzigjährige Runzeltussi.
Sie habe schon wieder keine Nase voll Koks bekommen, schrie sie plötzlich, man habe sie beim Herumreichen der Grastee-Tasse absichtlich übersprungen, überhaupt lasse man sie links liegen, man wolle sie ihres Alters wegen gesellschaftlich ausgrenzen.
„Und deshalb soll, verdammt noch mal, irgendein Hammer auf diesen
scheiß Schuppen herabfallen... jawohl, genau das, Donner und Doria, jetzt hört mir nur zu, genau das wird geschehen!“
„Was, was, was denn“, verspottete man die Alte. „Wird vielleicht ein glühender Stern vom Himmel fallen und dir die Schnauze verbrennen?“
„Nein“, sagte die Alte, aber der frisch getaufte Balg dort soll verflucht sein, Basta! Er soll sich, sobald er fünfzehn ist, an einer spitzen Nadel derart verrückt pieksen, dass er entweder tot umfällt oder wenigstens in hundertjährige Absence abtrudelt...“

Fünfzehn Jahre später, als das Baby groß und chaotisch geworden war, eine pubertierende Luxusbiene, die sich den Frust mit Rauschgiftversuchen wegdrückte, entdeckte sie eines Tages im Cote d’ Azur-Schloss der Eltern eine Tür, die immer verrammelt zu sein schien und hinter der offensichtlich ständig eine CD mit Spinnradgeräuschen ablief.
Mama Mia, was für eine verblödete Romantik-Nummer, dachte sie, solchen Quatsch gab’s ja nicht mal im Fernsehen.
Scheiß Märchenschoß!
Aber es ließ ihr keine Ruhe.
Als die Eltern mit der Jacht auf dem Meer draußen waren und die Dienerschaft frei hatte, schlug sie die verschlossene Tür mit Gewalt ein, ließ die Täfelung knistern und stellte die CD mit dem Spinnrad-Geräusch ab. Da sie von der Nadel-Prophezeiung nichts wusste, stach sie sich die auf einer Kommode bereitgelegte Nadel in den Arm. Auf dem Zettel war ihr hundertprozentiges Heroin versprochen. Selig lächelnd kippte sie aus allen Latschen und fiel in die paradiesische Poofe.
Als die Eltern kamen und das selig lächelnde Kind sahen, wollten sie dieselbe Seligkeit und hauten sich die Nadel ebenfalls in den Arm.
Als die Dienerschaft kam und die selig lächelnde Familie sah, wollte sie dieselbe Seligkeit und stachen sich die Nadel ebenfalls in den Arm. Und auch die Hunde und Katzen spritzten sich das Paradies ein. Die Absence dauerte so lange, dass hinterher alle den Eindruck hatten, sie seien gute hundert Jahre überm Jordan gewesen.

Der junge Kripo-Beamte, der von der Runzel-Tussi auf das Idyll angesetzt worden war, soll auch noch einen Schuss abbekommen haben. Jedenfalls hat er im Delirium etwas von Dornenhecke, Dornröschen und Königssohn gefaselt. Er hat eine ungeheuer beknackte Story rausgelassen, da doch das Schloss auf einem kahlen Felsen hoch über dem Meer gestanden hat, wo’s keine einzige Dornenranke gab.
Und überhaupt - an Königen gab’s auch nur den ewig besoffenen, halb-schizophrenen Fertigsuppen-König-Junior, der mit Sippschaft auf dem Nachbarfelsen residierte.

Gegen den jungen Kripo-Beamten läuft inzwischen ein Ermittlungsverfahren.

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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