Großstadtschelmerei 3.)

Ein Mann betritt eine Konditorei und Konfiserie.
Höflich bittet er die Verkäuferin, den Konditor persönlich sprechen zu dürfen, der auch einige Augenblicke später im Laden erscheint.
„Ich hätte einen speziellen Auftrag in Marzipan und Schokolade“, trägt der Kunde diesem vor, „nehmen Sie derlei Aufträge auch an?“
„Aber selbstverständlich, der Herr“, meinte der Konditor, „was darf es denn sein?“
„Nun, ich brauche dringend sechs ‚W’ aus Schokolade und vier ‚L’ aus Marzipan, sechseinhalb Zentimeter hoch und höchstens vier Zentimeter breit. Das Marzipan vielleicht noch mit einer Spur Rosenwasser. Außerdem zwei ‚Fünfer’ und drei ‚Neuner’ ebenfalls aus Marzipan, diese jedoch mit feinen Schokoladen-Streifen obendrauf.“
Der Konditor nimmt einen Zettel und schreibt auf: sechs W – Schokolade, vier L – Marzipan, sechs mal vier Zentimeter, zweimal 5 und dreimal 9 – Marzipan, mit Schokostreifen.
„Die Fünfer und Neuner aber bitte nicht höher als fünf Zentimeter!“ ergänzt der Kunde noch schnell und auch dies notiert sich der Konditor.
„Können sie mir das heute noch anfertigen?“, fragt der Kunde.
„Na klar“, meint der Konditor, „überhaupt kein Problem. Kommen Sie um vierzehn Uhr vorbei, dann ist alles fertig!“

Pünktlich um vierzehn Uhr erscheint der Kunde erneut im Laden und wird von der Verkäuferin freundlich begrüßt. Sie holt ein Backblech hervor und zeigt dem Kunden lächelnd die bestellten Buchstaben und Ziffern.
„Recht so?“, fragt sie ihn.
Der Kunde prüft genau, holt ein Bandmaß aus der Tasche und misst nach. Dann schüttelt er den Kopf und meint ganz erbost zu der Verkäuferin:
„Das habe ich alles so nicht bestellt!
Sehen Sie nur, die W’s und L’s sind vier Zentimeter hoch und sechs Zentimeter breit. Ich hingegen habe diese aber genau umgekehrt bestellt. Sechs Zentimeter hoch und vier Zentimeter breit. Das sind doch keine Buchstaben, das ist eine Katastrophe!
Dann diese Schnörkel und Verzierungen! Ich will ganz glatte, gewöhnliche lateinische Buchstaben und kein barockes Etwas. Außerdem wollte ich auf den zwei Fünfern und drei Neunern ganz schmale Schokostreifen und keine so dicken Balken obenauf, wie sieht das denn aus, sehen Sie doch selbst!“
Die Verkäuferin bittet den Kunden einen Moment zu warten und holt den Konditor.
Erbost trägt er auch diesem seine Unzufriedenheit über die angefertigten Stücke vor und sie gehen gemeinsam nochmals alle Merkmale des Auftrages durch. Erneut notiert sich der Konditor alles auf seinem Zettel und verspricht, das schnellstmöglich in Ordnung zu bringen.
„Kein Problem“, meinte dieser, „kommen Sie um sechzehn Uhr noch einmal vorbei und Sie werden sehen, dann wird alles zu Ihrer Zufriedenheit sein!“

Um kurz vor sechzehn Uhr betritt der Kunde die Konditorei erneut. Lächelnd meint die Verkäuferin: „Einen kleinen Augenblick noch, der Herr, Ihre Sachen sind jeden Moment fertig.“
Nervös und ungeduldig tritt der Kunde im Laden von einem Bein aufs andere. Dann erscheint der Konditor mit dem Blech vor seinem Bauch und stellt es grinsend an der Theke ab. Stolz verkündet er: „Wie ich Ihnen versprochen habe. Jetzt müsste alles so sein, wie Sie es bestellt haben, nicht wahr?“
Eingehend prüft der Kunde erneut die bestellten Leckereien, misst sie ab und in der Tat, diesmal ist alles zu seiner vollsten Zufriedenheit geraten.
„Wie soll ich Ihnen die Sachen denn einpacken?“, fragt die Verkäuferin.
„Nun...“, meint der Kunde darauf, „Nur alles zusammen in eine Tüte - ich esse die Sachen sowieso gleich auf dem Weg zur U-Bahn!“

Wolfgang Kreiner© 2001
aus: „kein Grund lauthals zu singen“
Gryphon Verlag München
ISBN 978-3-935192-25-5

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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