Die Rückkehr - eine kleine Geschichte
Die Rückkehr
Sorgfältig wusch und rasierte er sich, rieb die Backen mit Rasierwasser ein und betrachtete sich aufmerksam im Spiegel. Sein Gesichtsausdruck war ernst, ja beinahe etwas streng. Der dunkle Anzug, den der schon seit Monaten nicht mehr getragen hatte, passte ihm noch, das weiße Hemd, die Krawatte, alles war so, wie es sich gehörte. Sie soll ruhig sehen, dass er nicht der letzte Depp ist.
Dann blickte er sich im Zimmer um.
Der Blumenstrauß auf dem Tisch beunruhigte ihn. Er sah viel zu demonstrativ für diesen Anlass aus.
Er trug ihn hinaus in die Küche.
Sonst meint sie noch, ich hätte ihn eigens für sie gekauft, nur um ihr zu gefallen.
Lieber nicht.
Diese Rolle werde ich fehlerlos spielen, dachte er, und ich werde weder Verwunderung, noch Freude zeigen!
„Du willst zurückkehren zu mir?“ werde ich sagen.
Hast du dir das auch gut überlegt? Oder ist das nur wieder eine deiner Launen?
Ich habe das einmal ertragen können, dass du mich wegen ihm verlässt, aber ein zweites Mal möchte ich das nicht mehr erleben.
Denke daran, er sieht viel besser aus als ich, und vielleicht ist er sogar besser als ich? – Nein, das werde ich auf keinen Fall sagen. Wieso eigentlich besser? Soll sie das doch selbst entscheiden.
Es wird wichtig sein, eine gewisse Machohaftigkeit an den Tag zu legen. Das ist es doch, was Frauen an Männern so mögen.
Vielleicht ist er ja sogar ein Macho?
Vielleicht war es ja genau das, was ihr so an ihm gefallen hatte?
Überlege es dir genau, meine Liebe, werde ich sagen, tu nichts, was wir beide später vielleicht zu bereuen ha¬ben.
Genau das war’s.
Prächtig!
Genau das werde ich zu ihr sagen.
Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor drei.
Noch einmal trat er vor den Spiegel. Hart und entschlossen blickte er sich an. Er nahm ein Haar von seiner Schulter und zog die weiße Ecke des Einstecktuches etwas heraus. Wenn es auch wie ein Zeichen des Waffenstillstandes aussah, dann aber eher wie ein sehr diskretes.
Und selbstverständlich keine Vorwürfe, kein hervorzerren alter Sachen, keinerlei Vorhaltungen. Es wäre in dieser Situation völlig falsch und unwürdig.
Er werde sich ihr gegenüber benehmen wie ein Gentleman.
Ruhigen Schrittes ging er zur Tür, als sie pünktlich um 15 Uhr klingelte.
Der von den Nachbarn um 15,20 Uhr telefonisch herbeigerufene Notarzt versorgte sie an Ort und Stelle.
„Sollen wir Sie nachhause bringen?“ fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein danke“, murmelte sie mit ihren aufgeplatzten, geschwollenen Lippen durch die Mullbandagen, „ich bin doch hier zuhause!“
Wolfgang Kreiner © 2001/2007
aus: „Traumhändler“
Gryphon -Verlag München
ISBN: 978-3-935192-27-9
Bürgerreporter:in:Wolfgang Kreiner aus München |
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