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Der Schneemann

Auf den Kopf setzten sie mir einen alten Eimer.
Eigent­lich habe ich gar keinen richtigen Kopf. Es ist viel eher ein überdimensionierter Schneeball.
Als Nase drückten sie mir eine alte, verschrumpelte Ka­rotte mitten ins Gesicht und darüber als Augen zwei Steine aus dem Garten, an denen noch etwas Erde hing und die mir nun deshalb diese krank aussehenden Au­genringe verursachen.
Auch eine ungewöhnliche Jacke hat man mir gegeben, so eng zwar, dass sie sich vorne gar nicht schließen lässt, aber immerhin aus feinem Stoff. In ihren besseren Jahren muß sie das Eigentum eines reichen Mannes gewesen sein. Unterhalb meiner Jacke steckte man mir eine ganze Reihe Steine in den Bauch. Von weitem muß das aussehen, wie ein weißer Rock mit Knöpfen. Betrug! So täuschen sich die Menschen mit Illusionen über Tat­sachen hinweg.
Durch die Jackenärmel steckte man Äste hindurch, die man mir in den Leib rammte.
Sie haben mich im Vorgarten aufgestellt, direkt an der Straße, wo mich auch jeder im Vorübergehen betrach­ten kann. Man stellte mich einfach hin und ging fort.
Ein Mensch hätte sich an meiner Stelle jetzt eine Ziga­rette angezündet oder eine Tasse Kaffee gemacht.
Ich nicht.
Ich kann Wärme nicht ausstehen. Ein Mensch hätte „Juhu“ gerufen oder jeden im Vorübergehen mit „Hallo“ begrüßt, hätte versucht, Streiche auszuhecken oder sich Witze auszudenken und dabei unbarmherzig die Pointe verdorben. Ich schweige aber, ohne zu wis­sen, weshalb ich hier in diesem Vorgarten überhaupt herumstehe, mitten in dem verdorrten, mit Zweigen ab­gedeckten Blumenbeet, das ich in seiner angeblich blü­henden Pracht noch nie habe sehen dürfen. Die können mir ja auch viel erzählen!
Ab und zu erscheinen Vögel, setzen sich auf meine Ka­rottennase, picken daran herum und fliegen wieder weg. Das bedrohliche Flattern ihrer Flügel dicht vor meinem Gesicht erschreckt mich jedes Mal aufs Neue. Vor lauter Angst verspüre ich keinerlei Müdigkeit. Ich zittere und bebe und flattere mit den Ärmeln meiner Jacke.
Die Vögel sind weggeflogen und es kommen die Men­schen. Sie bleiben stehen und sagen ihren Kindern, ich sei ein sehr schöner Schneemann.
Eine ganze Schulklasse kam mal mit ihrer Lehrerin vorbei und alle Kinder betrachteten mich artig.
Auf dem Nachhauseweg von der Schule bewarfen sie mich dann allerdings mit Schneebällen.
Hunde kommen, schnüffeln an mir herum und heben ihr Bein. Sie bepissen mich und mein imaginärer Rock hat nun schon einen ganz gelben Saum.
Andere Vögel kommen und bescheißen mir meine edle Jacke, auf die ich doch vor kurzem noch so stolz war.
Des Nachts schleichen Marder, um mich herum und Mäuse werden vom Duft der Karotte angezogen. Für sie allerdings unerreichbar. Welch ein Glück!

Es wird nun schon jeden Tag ein bisschen wärmer und ich werde kleiner. Gestern Nacht fielen mir die Arme ab und meine Nase liegt nun auf dem Boden vor mir.
Nun haben die Mäuse in der Nacht leichtes Spiel. Zuletzt werden sie also doch noch siegen. Ich werde es Gott sei Dank nicht mit ansehen müssen, meine Augen sind mir heute Morgen ausgefallen.
Keiner beachtet mich mehr auch nur im Vorübergehen.
Werde mich jetzt ganz klein machen, meine Jacke able­gen und mich im Blumenbeet verstecken.
Aber auch dieses Jahr werde ich es vermutlich in seiner Blütenpracht nicht sehen dürfen.

Schade eigentlich!

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