Das Logbuch

Nach Matthäus 12.40, 16.4 geschah es, dass der Herr einen großen Fisch kommen ließ, um Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte.

Erster Tag: Irgendwas hat mich verschluckt. Aber von innen lässt sich einfach nicht feststellen was. Gott sei Dank habe ich mein Diktiergerät dabei und kann für die Nachwelt alles aufzeichnen, was ich erlebe. Ich hoffe nur, dass die Batterien so lange halten. Man kann leicht hinfallen und sich etwas brechen, denn es ist sauglatt hier. Mit äußerster Vorsicht bewege ich mich weiter und halte mich dabei an Gräten fest. Immer wieder kommen kleine Fische und anderes glitschiges Zeug hereingeströmt und fällt mir direkt vor die Füße. Ekelhaft zwar, aber wenigstens werde ich nicht verhungern. Mein nasses Sakko hab ich ausgezogen und oben an einen Wirbel zum trocknen aufgehängt. Wenn es schlingert wird mir jedes Mal schlecht und wenn es bremst, dann haut es mich jedes Mal nach vorne durch die Speiseröhre fast bis in den Schlund. Und im nächsten Moment zieht sich alles zusammen und ich rutsche wieder nach hinten. Und überall dieser Schleim.

Erste Nacht: Wie jedes Mal, wenn ich irgendwo fremd bin, habe ich wieder mal fast kein Auge zugemacht. Ich lag die halbe Nacht da und habe über meine Situation nachgedacht. Ich muss nach einer Möglichkeit suchen, das Tier, das mich da verschlungen hat, zu steuern. Aber es bleibt ja nie stehen und es scheint ja auch nie zu schlafen. Wenn es gähnt, kann ich durch die Zähne den Horizont sehen. Draußen dämmert es schon. Es ist Zeit, aufzustehen!

Zweiter Tag: Ich bin vom Herumsitzen ganz steif geworden, kann mich ja kaum hinstellen. Habe ein bisschen Gymnastik gemacht, Liegestütze, Kniebeugen und bin dann im Darm bisschen auf und ab gelaufen. Langsam kommt mein Kreislauf wieder in Schwung. Jetzt wär eine Tasse Kaffee recht. Das Riesentier hat zum Frühstück ein Brett verschluckt, welches ich ihm gleich zwischen zwei Rippen geklemmt habe. Nun habe ich wenigstens eine Sitzgelegenheit.
Mittags gab es eine Makrele, was mich vermuten lässt, dass der Riesenfisch nach Westen schwimmt. Makrelenschwärme halten sich meines Wissens nur im Westen auf. Ich muss aber nach Süden! Verdammter Mist! Ich habe herausgefunden, dass, wenn ich den Riesenfisch in die linke Seite boxe, dann dreht er sofort nach links ab und wenn ich ihn in die rechte Seite boxe, dann geht er nach rechts. Ich haue im mit aller Kraft meine beiden Fäuste in die linke Seite und jetzt stimmt die Richtung. Wir schwimmen nach Süden! Gott sei’s gelobt, getrommelt und gepfiffen! Jetzt fühle ich mich nicht mehr so ausgeliefert und auch psychisch etwas besser.
Gegen Abend frisst das Tier wieder anständig. Das Tier reißt seinen Schlund auf um wieder einen Schwarm Fische zu verschlingen und ich sehe dass es draußen bereits dunkelt. Langsam wird es eng hier, aber ich versuche trotzdem etwas zu schlafen.

Zweite Nacht: Die Nacht verlief ruhig. Ich habe sehr gut geschlafen. Ich glaube aber, der Riesenfisch hat ebenso geschlafen, anstatt zu schwimmen, denn wir dümpeln noch immer an der gleichen Stelle wie gestern Abend.

Dritter Tag: Aufgewacht bin ich vom Schluckauf des Riesenfisches. Es ging jedes Mal eine Erschütterung wie ein Erdbeben durch den gesamten Leib. Nach dem Aufstehen mache ich mich ans Aufräumen und putze mir die Zähne. Habe mir aus einem Stück rauer Haifischhaut und einem Stöckchen eine Zahnbürste gebastelt. Danach werde ich mich um die Navigation kümmern und den Fisch wahrscheinlich wieder in die Rippen boxen müssen. Mir tun die Knöchel noch von gestern weh.
Aber wir kommen gut voran. Das Tier schnauft zwar ein wenig, schwimmt aber fleißig weiter. Immer wieder muss ich das Tier bremsen um auszuruhen. Ich habe Bedenken, dass sich das Tier durch übermäßige Erwärmung des Organismus eine Erkältung zuzieht. Denn wenn es anfinge zu husten, könnte ich hinausgeschleudert werden.
Nach meiner Berechnung müssten wir morgen am frühen Vormittag so gegen sieben Uhr Land erreichen.
Die Einsamkeit und Langeweile ist das, was mir am meisten auf den Geist geht. Wie gut wäre es, wenn ich jetzt eine nette Frau hier hätte. Mein Handy hat auch keinen Empfang, bin hier scheinbar in einem Funkloch. Gegen Abend entdeckt der Fisch ein Weibchen und wir weichen vom Kurs ab. Mit einem Affenzahn flitzt er Richtung Westen, bis er das Weibchen erwischt hat. Dann ging es vielleicht rund. Jetzt ist er ganz schlapp und gähnt.

Dritte Nacht: Bin zwar früh schlafen gegangen, aber gegen Mitternacht wieder aufgewacht. Von da an habe ich kein Auge mehr zu gemacht. Plötzlich preschte der Fisch wieder dahin wie ein Wahnsinniger. In meiner Jacke, die nun auch wieder trocken ist, habe ich noch ein paar Zigaretten und ein Feuerzeug gefunden und ich zünde mir eine an. Obwohl ich sonst nie vor dem Frühstück rauche, bereitet sie mir Genuss.
Nicht aber dem Fisch, denn der fängt an zu würgen und ich rutsche immer weiter nach vorne. Wir schwimmen noch etwa eine halbe Stunde und ich sehe, dass es zu dämmern beginnt. Der Fisch muss in der Nacht ganz schön Meilen gut gemacht haben, denn ich kann schon Land erkennen.
Ich singe und tanze vor Freude.
Nun zünde ich eine Zigarette nach der anderen an und den Fisch würgt es immer mehr.
Gut so!
Das Land ist schon ganz nahe. Beim nächsten Hustenanfall steige ich aus!
Jetzt spüre ich ganz deutlich wie...

Juhu, ich bin da!

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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