Abschied vom Schnee – Schnee von gestern
Auch der Schnee wird hässlich, wenn er altert. Seine betagte Existenz wollen wir nicht mehr wahrnehmen. Und wenn er als ein Häuflein graues Elend doch unerwartet in unser Gesichtsfeld gerät, nehmen wir ihn zumindest nicht mehr ernst. Er berührt uns nicht mehr wirklich, er hatte seine Zeit, nun bringen wir gerade noch den Anflug eines Mitleidgefühls für sein Dahingehen auf, aber auch nur, wenn er sich damit nicht allzu lang Zeit lässt.
Unsere Euphorie über sein erstes Erscheinen und das Amüsement mit und durch ihn ist vergessen. Überglücklich waren wir, wenn er das pünktlich zum Weihnachtsfest geschafft und lautlos über Nacht seine dicke Decke malerisch über Wald und Feld und beleuchtete Vorgartensträucher ausgebreitet hat. Und wenn er dann rein, weiß und flockig in unseren Tagen herumschwebte.
Wir lieben ihn trocken und leicht und er soll knirschen, wenn wir uns auf ihm bewegen. Schnee, der weich und nass ist, mögen wir nicht. Er ist krank und er hängt wie ein Klotz an unseren Schuhen. Er behindert unsere Beweglichkeit. Wir wollen den Schnee genießen, nicht durch ihn gestört werden. Und wenn seine Zeit gekommen ist, dann sollte er verschwinden. Seinen sich verschlechternden Zustand und seine dahin schwindende Schönheit sind eine Abstufung, die wir nicht hinnehmen wollen. Am liebsten hätten wir es, er würde schnellstens und ohne Klammern in der Erde versickern, am besten über Nacht.
So läuft das Leben eben. Das sollte sich auch der Schnee hinter die Ohren schreiben.
Und gerade in diesem Jahr könnte er mal einsichtig sein und uns so seinen Dank für unser intensives und keinesfalls leichtes Zusammenleben erweisen.