20. Dezember Urte Langer Adventskalender 2008
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Timmis Wunschzettel an den Weihnachtsmann
© Urte Langer
Timmi lief immer öfter zu seinem Nachbarn, dem alten Huber, hinüber. Seine Eltern wussten nichts davon. Wenn Timmi nachmittags in den Garten mit dem alten Baumbestand zum Spielen ging, hielt er sich gern in der Nähe des Schuppens auf, wo es so vieles zu entdecken gab. Eines Tages kroch er hinter dem Schuppen herum, um nach seinem Ball zu suchen. Da bemerkte er ein bisher unentdecktes Loch im Lattenzaun. Durch dieses Loch konnte er zum alten Huber hinüber schauen. Seine Eltern hatten ihn ermahnt, er solle sich von diesem Einsiedler fernhalten. Er sei komisch, hatten sie gesagt. Wenn du ihm mal begegnest, sag `Guten Tag´ und geh einfach weiter. Nun aber konnte er einmal unbemerkt das Haus betrachten, in dem der alte Kauz wohnte. Die Terrasse fesselte Timmis Blick. Dort lag lauter Gerümpel herum. Gar nicht so ordentlich wie bei ihm daheim. Eher wie in seinem Zimmer, nach dem Freunde zum Spielen da waren. In der Ecke der Terrasse war Feuerholz bis unter den Balkon gestapelt, eine Laterne stand davor, eine Zinkwanne, ein Gartenzwerg mit einer Angel, und schwarze, große Gummistiefel standen unter dem breiten Wohnzimmerfenster. Sogar einen Schaukelstuhl konnte er entdecken. Plötzlich durchfuhr Timmi ein gewaltiger Schrecken. Auf dem Schaukelstuhl saß der alte Huber mit einer Pfeife im Mund, aus der gleichmäßige Wölkchen gen Himmel waberten. Freundlich zwinkerte er Timmi zu. Dieser vergaß seine Ballsuche und stürzte zum elterlichen Haus zurück.
Seine Mutter hatte den Staubsauger laufen. Dabei brauchte er sie nicht zu stören, das wusste er. Aber er wollte ihr doch unbedingt vom alten Huber erzählen und dass dieser eigentlich gar nicht böse ausschaute. Warum er denn so komisch sei, wollte er sie fragen. Aber dann würde sie ihm nur verbieten, sich dort weiter herumzutreiben. Die Leute reden nicht gut über ihn. Aber das kannte er ja schon alles. Er beschloss, es selbst herauszufinden.
Timmi kletterte auf den knorrigen Apfelbaum, der auf der Grenze zum Nachbargrundstück stand. Es war ein Leichtes, hier oben entdeckt zu werden, denn das Laub war längst zu Boden gefallen. Bald würde der erste Schnee kommen. Timmi schaute zur Terrasse des alten Hubers hinüber. Der Alte war verschwunden, der Schaukelstuhl leer. Zögernd betrachtete Timmi das Haus, mit seinen Fensterläden und einem Balkon, der um das gesamte obere Stockwerk führte. Timmis Haus war viel größer. Dort, wo sein Vater auf dem Balkon eine Satellitenschüssel montiert hatte, war beim Huber etwas ganz Merkwürdiges aufgestellt. Ein schmales, langes Rohr ragte über die Balustrade. Das Ding war direkt auf ihn gerichtet. Wieder waberten kleine Rauchwölkchen in die Luft. Sie schienen aus dem Rohr emporzusteigen. Ein einzelner Arm kam dahinter hervor und winkte Timmi zu. Timmi kniff die Augen ein wenig zusammen, um schärfer sehen zu können. Wie hypnotisiert winkte er zurück, so wie es üblich ist, wenn einer einem freundlich begegnet. Und da tauchte plötzlich der alte Huber hinter dem Rohr auf. Er stellte sich aufrecht hin, nahm seine Pfeife aus dem Mund, und sein Lachen schallte über den Gartenzaun hinweg, bis in die Krone des Apfelbaumes. Timmi aber schämte sich. Er war ein zweites Mal auf den Alten hereingefallen.
„Komm rüber, Junge. Schau es dir an!“, rief der alte Huber Timmi zu.
Timmi schaute zum elterlichen Haus hinüber, wo jetzt in jedem Zimmer Licht brannte. Die Mutter wischte mit einem Lappen den Staub von den Schränken und Regalen. Von dort oben war es gut zu erkennen, wie sie von einem Raum in den nächsten ging. Sie würde bald mit ihrer Arbeit fertig sein.
„Ich darf nicht!“, rief er zurück.
„Ist schon recht. Frag nur erst deine Eltern!“
Timmi zögerte. Er wusste, genau dieses brauchte er nicht zu versuchen. So entschied er sich, mal eben ganz kurz und unbemerkt zum Alten rüberzuhuschen.
„O.k., dann komm ich schnell durch das Loch im Zaun gekrochen. Aber bevor es dunkel ist, muss ich wieder zurücksein.“
So kam es, dass Timmi zum ersten Mal in seinem Leben durch ein Fernrohr den Himmel betrachtete. Es war wunderschön. Der alte Huber zeigte ihm den Platz, wo bei Nacht der große und der kleine Wagen stehen würden. Sogar einen Bären hatten die dort oben am Himmel. Wenn es ganz dunkel und wolkenlos wäre, so erzählte der Alte, dann könne man viele Sterne beobachten.
Mit roten Bäckchen lief Timmi wieder nach Hause. Er wäre noch so gern bis zur Dunkelheit geblieben, aber seine Eltern durften nichts von seinem Ausflug merken.
Von diesem Tage an waren für Timmi die Sterne nicht nur leuchtende Punkte am Abendhimmel, sondern sie hatten Namen und Geschichten zu erzählen. Sie fingen an, sich in Timmis Fantasie zu bewegen, zu wachsen. Er dachte sich selber Formen und Gestalten aus. Einen Fisch oder ein Haus, ein Boot oder einen Dinosaurier. Einer der Sterne funkelt ganz hell und klar. Ein ganz Besonderer war das, so hatte es ihm der alte Huber erzählt, der nur am Heiligen Abend zu sehen war. Und jeden Abend, bevor Timmi ins Bett ging, schaute er noch einmal zum Abendhimmel hinauf, ob sich der besondere Stern nicht schon vorher zeigen wollte.
So oft Timmi sich unbemerkt von zu Hause fortstehlen konnte, ging er zum Huber hinüber, den er überhaupt nicht seltsam fand. Er lernte eine Menge über die Sternenwelt. Sein größter Wunsch wuchs von Mal zu Mal, nun endlich durch das Fernrohr den hellsten Stern am Abendhimmel zu erblicken. Aber da hatte er ein Problem. Er besaß gar kein Fernrohr.
„Du kommst am Heiligen Abend zu mir rüber und schaust ihn dir von hier aus an“, schlug der alte Huber vor.
„Das darf ich nicht. Meine Eltern haben mir verboten herzukommen.“ Verschämt schaute Timmi zu Boden.
„Ach so, verstehe“, raunte der Alte. „Na, dann wünsch´ dir doch einfach so ein Fernrohr vom Weihnachtsmann?“
„Au, super Idee!“ Timmi klang begeistert. Dann kamen ihm Zweifel.
„Aber wie mache ich das?“ Ratlos sah er den alten Huber an.
„Hast du denn noch nie etwas vom Wunschzettel an den Weihnachtsmann gehört? Macht man das heute nicht mehr?“, der Alte schien empört.
„Doch wohl. Aber ich kann noch nicht schreiben.“ Wieder schaute Timmi verlegen zu Boden, wie es so seine Art war, wenn er sich für etwas schämte.
„Natürlich! Du kommst ja erst noch in die Schule!“, und der Alte überlegte.
„Weißt du was, Timm? Den schreibe ich für dich. Und du steckst ihn vorne bei der Straße in den Briefkasten ein, abgemacht?“, und Timmis Gesicht erhellte sich vor Freude.
„Aber Timmi, das bleibt unter uns, nicht wahr? Das ist unser Geheimnis. Du kannst doch ein Geheimnis bewahren, oder?“ Jetzt wurde Timmi etwas seltsam zu Mute. War es das, was die Leute so komisch an dem Alten fanden? Dass er Geheimnisse hatte? Aber schließlich hatte er ja auch ein Geheimnis vor seinen Eltern. Und war er deshalb komisch? Der Alte bemerkte die Zweifel in Timmis Gesicht.
„Hör zu, Timmi. Das mit dem Wünschen ist nun mal so. Man kann sich die Dinge nur einmal wünschen, verstehst du? Das ist das Geheimnis. Sonst gehen sie nicht in Erfüllung!“
Der Alte setzte sich an den Küchentisch, zog die Holzlade auf, entnahm ihr Papier und Füllfederhalter und schrieb mit kratzender Feder folgendes zu Papier:
An den Weihnachtsmann
In Himmelhausen
Rentiergasse 7
Lieber Weihnachtsmann,
Timmi von nebenan lässt dich herzlich grüßen. Er hat mich gebeten, dir seinen Weihnachtswunsch aufzuschreiben. Er wünscht sich nämlich so ein Fernrohr, wie ich es habe, um am Heiligen Abend den hellsten Stern am Himmel ganz nah zu sehen.
Viele Grüße von Timmi
aus dem Waldweg in Olchingen
„So!“, sagte er, als er fertig war, faltete das Papier zusammen und gab es Timmi in die Hand. „Trödel nicht damit, denn bald schon ist Weihnachten, und der Weihnachtsmann hat jetzt einen Haufen zu tun. Du weißt schon.“
„Und das klappt?“, wollte sich Timmi vergewissern.
„Glaub mir, Junge, das klappt!“ Timmi vertraute dem alten Huber. Also lief er gleich los und rannte, obwohl es in Strömen regnete, zur Straße vor, um den Brief einzuwerfen. Er nahm das gefaltete Papier sorgsam aus seiner Jackentasche und versuchte es schnell durch den Briefkastenschlitz einzuwerfen. Aber der Schlitz war zu hoch und so sehr er sich bemühte, dem Papier einen Schubs zu geben, es wollte nicht durchrutschen. Der Brief fiel zurück, Timmi konnte ihn nicht auffangen und der Wunschzettel fiel auf den regennassen Bürgersteig. Timmi bückte sich, hob ihn auf, aber es war schon zu spät. Die Tinte zerfloss bereits in bizarre, unleserliche Muster. Timmi hatte Mühe, seine Tränen der Enttäuschung zurückzuhalten. So würde der Weihnachtsmann das niemals lesen können. Er zerknüllte das Papier und schmiss es in die Gegend. Sein Wunsch vom eigenen Fernrohr würde der Weihnachtsmann nun nie erfahren. Und aus Scharm wegen seines Missgeschickes ging er nicht wieder durch das Loch im Lattenzaun zum alten Huber hinüber.
Der Heilige Abend war gekommen. Über Nacht war Schnee gefallen. In der Christmesse ging es sehr feierlich zu. Während die Kirchengemeinde andächtig betete, nutzte Timmi die Gelegenheit, Gott sein Geheimnis anzuvertrauen. Es schien ihm seine letzte Chance zu sein, doch noch an das Fernrohr zu kommen. Auch wenn er dem Huber versprochen hatte, niemandem von seinem Wunsch zu erzählen, damit er in Erfüllung ginge. Aber andererseits konnte der Weihnachtsmann ja noch gar nichts von seinem Wunsch wissen. So murmelte er leise in seine gefalteten Hände:
„Bitte, bitte lieber Gott. Ich weiß, es ist schon sehr spät, aber könntest du dem Weihnachtsmann ausrichten, er soll mir ein Fernrohr bringen? So eins, wie unser Nachbar, der Herr Huber, hat. Du weißt sicher, was für eins das ist. Mit dem Wunschzettel hat es nämlich leider nicht so geklappt. Und wenn ich ein eigenes Fernrohr habe, dann brauche ich nicht mehr meine Eltern anzuschwindeln und werde die nächste Zeit auch immer brav sein. Das verspreche ich. Amen.“ Aber so sehr Timmi auf ein Zeichen hoffte, vielleicht ein Zwinkern vom Jesus, der über dem Altar am Kreuze hing, Gott gab keine Antwort.
Dann war es so weit. Die Bescherung sollte beginnen. Zuvor wurde Timmi in sein Zimmer geschickt, dort sollte er auf das Klingeln des Glöckchens warte. Und da war es schon! Beim ersten Ton hastete Timmi bereits die Treppe zum Wohnzimmer hinunter. Für wenige Augenblicke war das Fernrohr vergessen, zu faszinierend wirkte die Weihnachtsmusik, roch es nach Bienenwachs, lockten die vielen, liebevoll verpackten Geschenke. Aber dann maß er in Windeseile die verschiedenen Größen jedes einzelnen Päckchens ab. Er suchte nach einem schmalen, großen Geschenk. Er fand keines.
„Ist das alles?“, rutschte es ihm heraus. Die Eltern schauten sich verdutzt an.
„Du hast ja noch nicht einmal eines ausgepackt!“, wunderten sie sich im Chor.
Timmi packte emsig ein Geschenk nach dem anderen aus. Anziehsachen von den Großeltern, ein Video, welches er bereits besaß. Das müsste wieder getauscht werden. Und dann war da noch sein Fahrrad. Das kannte er ja schon, weil er es mit ausgesucht hatte.
„Freust du dich nicht ein bisschen, Timmi?“, fragte seine Mutter besorgt.
„Doch, doch, schon“, mühte sich Timmi fröhlich zu klingen.
„Aber...?“, wollte nun auch der Vater wissen.
„Es gibt keinen Gott!“, platzte er hervor.
„Ach, Timmi, was erzählst du denn da! Und das an Heiligabend!“ Timmis Vater wurde langsam ungeduldig mit seinem Sohn.
Gerade wollte er seinen Unmut äußern, als es an der Haustüre klingelte. Timmi wollte losstürmen, aber sein Vater wies ihn verärgert an, im Wohnzimmer zu bleiben. Der Vater ging nachschauen und kam erst eine ganze Weile später mit einem sperrigen, großen, in Packpapier eingehüllten Monster ins Wohnzimmer zurück.
„Das war doch tatsächlich der Weihnachtsmann. Er lässt ausrichten, Timmi“, und jetzt schmunzelte der Vater, „dass er sich bei dir entschuldigt, dein Geschenk erst so spät gebracht zu haben.“
Aber das brauchte er ja gar nicht! Timmi wusste doch den Grund dafür, warum der Weihnachtsmann so spät dran war. Die Hauptsache war doch, dass er es überhaupt noch geschafft hatte! Timmi strahlte über das ganze Gesicht, riss das Papier herunter und hielt das Fernrohr in seinen Händen. Es sah genauso aus, wie das vom alten Huber!
„Auf ihn ist doch Verlass!“, platzte es aus Timmi heraus, und die Eltern schauten sich abermals verdutzt an.
„Und jetzt gehen wir auf den Balkon und suchen den hellsten Stern am Himmelszelt!“, schlug Timmi vor.
„Stopp, Stopp, junger Mann. Nicht so eilig. Jetzt wird erst einmal gegessen!“ Timmis Mutter nahm seine Hand und führte ihn in die Küche. „Und dann erzählst du uns einmal, woher der Weihnachtsmann von deinem offensichtlich sehnlichsten Wunsch Wind bekommen hat.“
Timmi rutschte das Herz in die Hose. Jetzt würde es doch noch Ärger geben. Im selben Moment stieß er einen lauten Freudenschrei aus, als er sah, wer dort am festlich gedeckten Tisch saß.
„Du darfst dich neben unseren Gast setzen, Timmi. Ich glaube, ihm haben wir das glücklichste Kind am heutigen Abend zu verdanken, nicht wahr, Herr Huber?“
ENDE
Von wem: 20081220 Urte Langer myheimat ist Olching
Betrifft: Adventskalender 2008
Titel Timmis Wunschzettel an den Weihnachtsmann
Copy © Urte Langer, Olching 2008-12-20
Foto © Brigitte Obermaier,
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FROHES WEIHNACHTSFEST
@ Urte
Das war schon immer so
und ich glaube kaum, dass der Verlag die Geschichte überhaupt gelesen hat.
zauberhaftes Dankeschön an deinen Timmi