Die Fahrprüfung
„Das ist also der Herr... Ünlütürkler“, sagte der Mann im Tirolerhut und nahm auf dem Rücksitz des dunkelblauen Ascona Platz. „Wo kommen Sie denn her“, fragte er weiter.
„Eigentlich aus Straubing“, antwortete ich artig.“
„Nein..., ich mein eher so geburtsmäßig?“
„Ach so“, ich verstand. „Aus Plattling“, sagte ich artig, „ich bin dort geboren.“
Der Fahrschulprüfer verstand nichts.
„Nein, ich meine, was Sie für ein Landsmann sind?“ ließ er nicht locker.
„Na, Ihr Landsmann natürlich!“ meinte ich, „Sie sind doch auch Bayer, oder täusche ich mich?“
Ich lachte.
„Gut – wie ist Ihre Adresse, Herr... Ünlütürkler?“ Er machte dabei seine Aktenmappe auf und holte einige Unterlagen heraus.
„Georgenstraße dreiundsechzig“, sagte ich.
„In München?“, fragte er nach.
„Ja“, sagte ich, „in München.“
„Und, wie lange wohnen Sie schon hier?“ fragte er weiter „gefällt’s Ihnen hier in München?“
Bevor ich mir aber überlegen konnte, womit ich ihm als einen offensichtlich waschechten Bayern eine Freude hätte machen können, fuhr er fort:
„Jeder kommt jetzt nach München. Es geht ihnen ja gut hier bei uns. Viel zu gut. Sie kommen alle wegen unserem Geld. Weil’s bei uns besser ist, als woanders, sage ich Ihnen!“
Er klopfte meinem Fahrlehrer, der mittlerweile auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, auf die Schulter und meinte: „Los jetzt, wir nehmen die Fraunhofer- und dann rüber in die Kapuzinerstraße, Sie wissen schon...“
Mein Fahrlehrer - auch ein echter Bayer - deutete wortlos mit dem Kopf in die Richtung und ich fuhr los.
Obwohl alle Seitenfenster des Ascona heruntergekurbelt waren, kam ich mir vor wie in einem Backofen.
Mittagszeit im Hochsommer, und als ob dem Prüfer die Hitze noch nicht ausreichte, zündete er sich eine Virginia an. Ich hüstelte, er beugte sich vor, blies mir noch eine Rauchfahne an meinem Gesicht vorbei, drehte sich zum Fahrlehrer und sagte: „Herr Meier, sagen Sie dem Prüfling, dass er an der nächsten Kreuzung rechts abbiegen soll.“
Mein Fahrlehrer deutete mit dem Zeigefinger der linken Hand in die gewünschte Richtung.
Der Prüfer schnalzte mit der Zunge. „Ein heißer Tag heute, Herr Meier, finden sie nicht auch? Haben Sie schon zu Mittag gegessen? Wollen wir ne Kleinigkeit essen gehen, dort vorn im Biergarten, was meinen Sie?“
„Gerne“, meinte mein Fahrlehrer sofort.
Oh Gott, essen ja nicht unbedingt, aber ein Limo trinken oder so, dachte ich.
Langsam begann ich den Prüfer sogar zu lieben.
„Halten sie da vorne rechts an!“ sagte der Fahrlehrer „und warten Sie, bis wir wieder zurück kommen. Hier ist nur eingeschränktes Halteverbot ab 18 Uhr, bleiben Sie solange im Wagen, Herr Ünlütürkler, wir sind gleich wieder da.“
Sie trotteten in Richtung Biergarten davon.
Ich hängte meine Zunge in den Schatten der Sonnenblende und wartete.
Nach etwa vierzig Minuten kamen sie wieder. Die Backen des Prüfers leuchteten voller Zufriedenheit. Laut furzend ließ er sich wieder auf den Rücksitz plumpsen und beide lachten über den Scherz.
Der Fahrlehrer nickte mir zu und ich startete das Auto.
Ich legte den ersten Gang ein, als der Prüfer meinte: „Aber... das Paulaner Bier hat mir noch nie geschmeckt. Ich weiß nicht, aber da kriege ich immer nach zwei oder drei Halben Kopfweh drauf.“
Mein Fahrlehrer deutete wieder mit dem Kinn geradeaus und ich fuhr los.
„Also, ich vertrage das Paulaner eigentlich ganz gut“, meinte mein Fahrlehrer, „außer auf dem Oktoberfest, da habe ich am nächsten Tag dann auch immer Kopfweh. Aber dann sind’s ja auch nie unter fünf Maß gewesen!“
Hahaha, lachten beide.
Da sprang vor mir die Ampel auf Gelb. Und ich habe sie nicht rechtzeitig im Blick gehabt.
Ich gab Gas, die einzige Möglichkeit, wenn ich eine Vollbremsung vermeiden wollte.
Mit einem fragenden Seitenblick auf meinen Fahrlehrer und einem Blick in den Rückspiegel bemerkte ich aber, dass die Beiden dieses riskante Manöver gar nicht mitbekommen hatten.
Beide hingen mit ihren Gesichtern an den Seitenscheiben, weil auf einem Balkon eine langhaarige Blonde im Bikini gerade Blumen goss.
Gott segne alle Blondinen, die zur rechten Zeit kommen, dachte ich in dem Moment.
Ich hatte ein Gefühl, dass ich die Prüfung bestehen würde. Gott hat sich meiner erbarmt und all meine Leiden würden belohnt. Ich wurde mutiger.
Es ging eine Weile geradeaus. Ich klemmte das Lenkrad mit dem linken Knie fest, holte meinen Tabakbeutel heraus und drehte mir freihändig eine Zigarette.
Die nächste Ampel wieder auf Rot. Ich hielt an.
Genüsslich blies ich den Rauch aus dem Seitenfenster.
Links neben mir hielt ein Taxi.
Erst jetzt bemerkte ich, dass in der Verlängerung meiner Spur über der Kreuzung Autos parkten.
Was sollte ich also tun?
Panik brach in mir aus. Was soll ich tun, wenn die Ampel grün würde?
„Heutzutage zapfen sie ja das Bier überall nur noch vom Container“, meinte der Prüfer.
„Und, kann einer sagen was er will“, entgegnete mein Fahrlehrer, „das schmeckt man auch.“
Ich war noch immer unschlüssig, was ich tun sollte. Ich warf meine Kippe aus dem Fenster und umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen.
Da leuchtete die Ampel grün auf.
Der Prüfer sagte: „Grüner wird’s nimmer!“ und lachte wieder.
Ich gab Gas und der Ascona schoss mit quietschenden Reifen in die Kreuzung. Das Taxi in der linken Spur, vermutlich ein Diesel, fiel etwas zurück. Ich trat das Gaspedal voll durch und machte hinter dem ersten geparkten Wagen kurz die Augen zu, warf noch einmal einen Blick in den Außenspiegel, haute den Blinker rein, riss dann das Lenkrad nach links und scherte vor dem Taxi ein.
Alles noch mal gut gegangen, dachte ich, denen hab ich jetzt mal gezeigt, wie man da fährt, wo meine Ahnen herkommen.
Während des gesamten Manövers kam von hinten kein Pieps. Mein Fahrlehrer schluckte nur ein paar Mal.
Dann waren wir wieder am Ziel und ich parkte direkt vor der Fahrschule ordentlich ein. Der Prüfer kritzelte wieder etwas in sein Notizbuch und machte dann das Heftchen zu.
„Herr... Ünlütürkler“, sagte er dann in ernstem Ton, „sich beim Fahren eine Zigarette zu drehen und das Lenkrad mit den Knien festzuhalten hab ich ja noch nie erlebt. Das ist an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten! Außerdem sind Sie hier in einem zivilisierten Land und da wird auch kein Abfall aus dem Autofenster einfach so auf die Straße geworfen. Zudem müssen Sie dem anderen schon auch mal eine Chance geben. So, wie Sie fahren, werden Sie die Fahrprüfung jedenfalls nie bestehen!“
Er schwenkte seinen Arsch aus dem Ascona.
„Na dann, bis zum nächsten Mal vielleicht, Herr... Ünlütürkler.“
Ich hatte den schweren Verdacht, dass er mir einfach nur den Landsmann nicht abgenommen hatte.
Mit der U-Bahn fuhr ich die zwei Stationen zurück, direkt zu dem Paulaner Biergarten, kaufte mir eine riesige Schweinshaxe und eine Maß Paulaner Bier.
Und dann noch eine, und dann noch eine, und dann...
Mit einem hatte der Prüfer allerdings Recht:
Am nächsten Tag bin ich tatsächlich mit Kopfschmerzen aufgewacht.
Bürgerreporter:in:Wolfgang Kreiner aus München |
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