"Die Trauer ist eine feine Dame mit Hut, die gesehen werden will." - Seminar Lacrima
Liebe Leser!
Ich sitze gerade zu Hause vor meinem Laptop und lasse diesen heutigen, aufregenden Tag Revue passieren:
Mein Tag begann heute schon verhältnismäßig früh um 6.45 Uhr als mich mein Radiowecker weckte. Denn heute musste ich bereits um 8.03 Uhr mit dem Zug von Herbertshofen-Hauptbahnhof nach München-Pasing fahren. Der Zug war (ausnahmsweise) pünktlich. Und als ich mir einen der heißbegehrten 2.-Klasse-Sitzplätze ergattert hatte schloss ich gleich wieder die Augen und versuchte ein wenig Schlaf (der letze Nacht viel zu kurz kam) nachzuholen. Dummerweise musste ich bei Augsburg-Hauptbahnhof umsteigen. In Pasing angekommen schnappte ich mir die S-Bahn Richtung Donnersbergerbrücke. Von dort aus dann nur noch einmal rechts, dann links und dann geradeaus. Eigentlich ganz einfach. Blöderweise lief ich am Fuß der Brücke links statt rechts. Eine halbe Stunde zu spät kam ich dann an in der Birkerstraße am Haus der Evangelischen Jugend München. Wurde schon vermisst.
Unser Referent des heutigen Seminars war Diakon Tobias Rillig, der Begründer von "Lacrima" (Lacrima = lat. Träne). Einer Einrichtung, die trauernde Kinder und Jugendliche und deren Familien betreut. Tobias kam die Idee zu "Lacrima" als er am Münchener Westfriedhof miterleben musste, die die Menschen im 20-Minuten-Takt beerdigt wurden und den Angehörigen gar kein Raum und keine Zeit zum Trauern gegeben wurde. Wenn ein Familienangehöriger stirbt werden die Kinder bei der Trauerbewältigung oft vernachlässigt. Oft möchte der zurückgebliebene Elternteil sein Kind auch schützen, indem er das es möglichst vermeidet vom Toten zu sprechen. Das ist jedoch genau der Fehler, so Tobias Rillig, denn "die Trauer ist eine feine Dame mit Hut die gesehen werden will" man darf sie nicht verstecken. Deshalb kümmert sich seine Einrichtung vor allem um die Kleinen, die mit ihrer Trauer umgehen müssen.
In der "Kneipe" der Evangelischen Jugend München saßen wir, ca. 20 Freiwillige, und Tobias in einem Stuhlkreis. In der Mitte: Eine brennende Kerze. Unsere erste Aufgabe war es, us zu überlegen,was für uns Lebensnotwendig ist. Neben materiellen Dingen wie Nahrung, Trinken und Geld nannten wir auch Begriffe wie Liebe, geborgenheit, Wärme, freunde, familie... Dann durfte jeder, der wollte benennen, was ihn traurig macht und jeder durfte für seine Trauer ein Teelicht entzünden. Viele der FSJler gaben viel von sich persönlich preis und auch einige Tränen flossen. Am Ende leuchteten in unserem Sitzkreis zehn Kerzen für verstorbene Familienmitglieder, Freunde, Freundinnen, oder Bekannte. Diakon Rillig bedankte sich am Ende bei uns für unseren Mut, unsere Offenheit und Lebendigkeit. Durch diese "Übung" wird "das ganze ritualisiert". So fällt es dann auch leichter trauernde Kinder besser zu verstehen. Am Anfang einer Gruppenstunde bei "Lacrima" zünden die Kinder ebenfalls jedes Mal eine Kerze für ihre Trauer an.
Im Anschluss daran wurden wir eingeladen. Auf eine Fantasiereise. Begeleitet von den Klängen seines Metallophons erzählte uns Tobias, wie wir auf unserem Lebensweg spazieren gehen. Irgendwann treffen wir eine Person, ganz weit weg. Plötzlich kommt sie näher. Sie ist uns vertraut. Die Person ist: Unsere Trauer. Wir unterhalten uns mit ihr und dann geht jeder wieder seinen Weg. Wir: nach oben. Unsere Trauer: nach unten. Auf diesem Weg kommen wir an fröhlichen und traurigen Momenten unseres Lebens vorbei. Die Erlebnisse dieser "Reise" sollten wir dann bis zum Mittagessen in einem Bild verarbeiten.
Das Mittagessen kam mir ganz gelegen, denn ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Und so verputzte ich die Reispfanne ín Null Komma nix.
Dann durften wir in der Gruppe unserem Sitznachbarn unser Traumreisenbild vorstellen. Und meine Sitznachbarin entwickelte sich in eine pfiffige Bilderinterpretatorin. Am Ende dieser Einheit stellten wir fest, dass alles zu unserem Leben gehört: Trauer und Freude, Leben und Tod, Lachen und Weinen...
Dann etwas trockene Theorie: Trauer hat verschiedene Phasen: Erst kommt der Schockzustand. Man weiß nicht mehr wo oben und unten, wo links und rechts ist. man ist völlig gelähmt. Dann muss man vieles erledigen: Die Beerdigung organisieren und vieles Bürokratisches Zeugs. In dieser Phase vergisst man seine Trauer oft. Irgendwann versucht man dann wieder mit der Realität klar zu kommen.
Kinder trauern, da kommt es natürlich auf das Alter an, etwas anders. Kinder "springen in die Trauer rein und oft auch genauso schnell wieder raus". Es kann sein, dass sie in dem einen Moment total aufgeweckt und fröhlich spielen und im anderen Moment total traurig sind und über den Verstorbenen sprechen möchten. Dann ist es wichtig die Kinder erzählen zu lassen. Die Kinder müssen selbst entscheiden, wann sie darüber sprechen möchten und wann nicht. Sie entscheiden selbst, was sie preisgeben möchten. Es ist auf jeden Fall wichtig über seine Trauer zu sprechen anstatt die Tränen runterzuschlucken. Oft reagieren Kinder in ihrer Trauer auch aggressiv oder zurückgezogen.
Gegen Ende des Seminartages wurden wir noch darüber informiert, wie bei Lacrima mit den Trauernden gearbeitet wird. Die Lacrima-Mitarbeiter schaffen den Kindern immer halbe Brücken, die die Kinder ermutigen sollen über Erlebtes zu sprechen.
Als ich dann am späten Nachmittag über die Donnersbergerbrücke Richtung S-Bahnhof, und somit Richtung Heimat, lief dachte ich noch über die Erlebnisse des heutigen Seminartages nach. Trotz des bedrückenden Themas war es ein wirklich spannendes Seminar und ich freue mich schon auf das Nächste.
Ihr/Euer Felix Henkelmann
Nähere Infos zu Lacrima finden Sie hier:
Lacrima München - Zentrum für trauernde Kinder
Die Johanniter
Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.
Regionalverband München
Schäftlarnstr. 9
81371 München
www.lacrima-muenchen.de
Finde diesen Bericht sehr interessant. Er trifft mich !! Trauer ist so ein schwieriges Thema, das habe ich selbst erlebt, als der Vater meiner beiden jüngsten Kinder verstorben ist. Jeder geht anders um mit Trauer - mein Sohn hat sich damals sehr verschlossen bzw. er hat wohl nur dann getrauert, wenn er alleine war. Es war eine schwierige Zeit. Gelöst hat sich das bei ihm erst sehr viel später, aber er hat viel durchgemacht. Für mich als diejenige, die den Sterbenden gepflegt hat, habe die Trauerarbeit praktisch schon mit der Pflege bewältigt.
Werde über diesen Bericht bestimmt noch viel nachdenken. Danke dafür !!