Weihnachten kann man nicht planen,

wie folgende Geschichte beweist

zunächst war alles wie immer, Anfang Dezember stellte man fest, das bald Weihnachten ist, und wie jedes Jahr entschied man sich doch wieder, echte Kerzen an den Baum zu stecken, das sei schöner, und überhaupt,

abgesehen davon hatte man auch gar keinen Platz mehr im Keller, um eine empfindliche Lichterkette 11 Monate im Jahr unterzubringen, denn da standen bereits mehrere Kartons vollgepackt mit Geranien, die man eigentlich im Herbst wegschmeißen wollte, was man aber nicht gemacht hätte, weil sie bis Oktober so schön geblüht hätten, und von sowas trennt man sich nicht,

darüber nachdenken könnte man ja, ob man sich wieder für einen Baum mit Wurzeln entscheidet, um ihn nach Weihnachten in den Garten zu pflanzen,

da standen zwar schon 7 Douglastannen, die sich prächtig entwickelt hatten und den Blumen, den Nachbarn und der Familie die Sonne wegnahm, aber der Tannenbaumhändler kam ihnen jedes Jahr schon mit offenen Armen entgegen, und hatte wieder eine neue Tanne "Extra für Sie" und außerdem sagte er jedes Mal zu Vater
"Ein Herr mit Hut, das ist gut", und genau das gefiel Papa, und somit auch der Familie, und so nahm man auch dieses Jahr eine Douglasie nebst Wurzeln mit nach Haus,

Weihnachten ist ja schließlich auch ein Fest der Traditionen, und so würde es auch dieses Jahr sein, so schien es jedenfalls, diesmal jedoch war Cousin Xaver zu Besuch, Xaver heißt eigentlich Wilfred, aber das interessierte keinen, er war einst der Liebe wegen nach Bayern gezogen, hatte es in diesem Jahr aus dem gleichen Grund wieder verlassen, und feierte nun mit der Familie Weihnachten, das sollte Folgen haben, denn die Gans war einschließlich Opa nur für 5 Personen gedacht, und musste nun um 3 Keulen ergänzt werden, das aber war nicht möglich,

es gab keine Gänsekeulen mehr,

kein Problem, sagte die Mutter, und hatte stattdessen einen Babyputer besorgt, der sollte im Ofen von Nachbarn gebraten werden, die die Festtage auf Mallorca verbrachten, und da Mutter deren Hausschlüssel hatte , um ab und zu nach dem Rechten zu sehen, und man sich gut kannte, wollte sie deren Backofen nebst Bräter benutzen,

die Aufsicht für den Puter übertrug sie ihrer Tochter, das ging auch zunächst gut, dann kam ihr Freund zu Besuch, und Nachbars Backofen samt Puter wurden etwas vernachlässigt, was ihnen nicht gut bekam, und erst als sie sich über Rauchsignale meldeten rannte Töchterchen in die Küche und verbrannte sich die Hände am Bräter, sie rief ihre Mutter zu Hilfe, die ihre Mühe hatte, den Puter aus dem Bräter zu holen, in dem er sich festgebrannt hatte, doch sie rettete, was zu retten war, und tröstete sich,

denn sie hatte ja noch Kartoffelsalat und Rollmöpse gemacht,

und mal so unter uns, die Nachbarn könnten auch mal wieder renovieren, also wirklich

egal, Heiligabend konnte kommen

und der verlief zunächst so, wie gewünscht, und das kennen wir alle, die Familie sitzt bei trautem Kerzenlicht beieinander, die Mutter streichelt ihren neuen Schnellkochtopf, schaut dankbar in die Runde und will grad mit feuchten Augen sagen,

"dass ihr daran gedacht habt",

derweil packt Vater die Krawatte mit Motiven aus dem Herrenmagazin aus, dass er beim Friseur immer so gern durchblättert,

Sohnemann ist stinksauer, weil seine Schwester die mit ihrem Verband nicht klar kam versehentlich auf die neue Kreuzungsweiche seiner Eisenbahn getreten hatte,

Schwesterchen fängt an zu heulen und erklärt kategorisch, dass sie so und mit ihrer neuen Zahnspange, die den alten Nussknacker überhaupt nicht ersetzen konnte, zumindest nicht bei Haselnüssen, auf keinen Fall "Oh du fnöniche oder nustig,nustig tranananana, zu Weihnachten singen wird,

und dann passiert es, mitten in der Besinnlichkeit ein furchtbarer Aufschrei, alles fährt hoch, Mutter lässt Nachbars Bräter fallen, genau neben den Schwanz von Bello, der vor Schreck in den Tannenbaum springt, und der daraufhin samt den echten brennenden Kerzen der Gardine und Töchterchens Pferdeschwanz gefährlich nahe kam, Xaver ringt die Hände, zeigt mit blutverschmiertem Mund auf seinen ebenfalls blutverschmierten Pullover und stammelt mit hängender Zunge,

"so ein ßeisfrass"

was war geschehen

Mutter hatte wie immer Kartoffelsalat mit gebratenem Fisch und Rollmops gemacht, den Bratfisch allerdings dieses Mal als Fischstäbchen serviert, die kannte Onkel Xaver, der inzwischen bayerische Hausmannskost gewohnt war noch nicht, aber alle hatten ihm versichert, dass sie sehr gut schmeckten, und nun suchte er sie neugierig und etwas voreilig auf der großen Weihnachtsabendfesttagsplatte

er fand die vermeintlichen Fischstäbchen in den zusammengerollten Heringen, die derart zubereitet Rollmops heißen und von denen er sich nun einen auf seinen Teller holte, und biss erst vorsichtig doch dann genüsslich in den Rollmops samt Holzstäbchen und rammte es sich prompt in die Zunge

sein von jeder Besinnlichkeit befreitem und entsetzten Umfeld stopfte ihm, nachdem der erste Schreck vorbei war, Unmengen von Wundkompressen in den Mund, was nur bedingt hilfreich war, weil Xaver ein zweites Problem hatte,

wohl bedingt durch den Höhenunterschied zwischen Oberammergau von wo er angereist war und Hannover, konnte er nicht richtig durch die Nase atmen, nur durch den Mund, jetzt ging auch das nicht mehr, doch der inzwischen alarmierte ärztliche Notdienst beruhigte die Gemüter, und meinte, wäre er aus Unterammergau angereist, wäre es auch nicht anders gewesen

Ursache für sein Handicap sei das vermeintliche Fischstäbchen, das gar keins war, sondern bloß ein kleines Holzstäbchen, das dem Hering die gewünschte Form gab, und der nun Rollmops heißt, doch das hatte Cousin Xaver nicht gewusst
das Problem war bekannt, und rief bereits Hausärzte und Ernährungsexperten auf den Plan, und sie empfahlen Menschen aus Deutschlands Südstaaten, die es nach Hannover oder Südschweden verschlagen hatte und die lediglich Forellen, Waller aus der Donau und Bodenseefelchen kennen, aber mit einem Rollmops völlig überfordert sind, vor allem, wenn man sich auf Babyputer eingestellt hatte, ein von der Norddeutschen Rollmopsselbsthilfegruppe entwickeltes Merkblatt durchzulesen, das bereits bei der Hannover-Messe großes Interesse fand,

Titel, "Rollmöpse für fremde Völker und Anfänger", in dem genau erklärt wird, wie man einen Rollmops ohne Gefahr für Leib und Leben genussvoll verzehren kann,

als inzwischen gestandener Bayer, und um schlimme Erinnerungen loszuwerden,
könne er den Absatz "Rollmops mit Stäbchen essen" natürlich weglassen,

stattdessen möge er das Rollmopsstäbchen fest in die Hand nehmen und ähnlich wie bei einer Weißwurst alles drum herum wegzutzeln, was wiederum die Norddeutschen und andere Preußen, sollten sie nach Bayern kommen, genau wie jodeln, ja auch nicht so ohne weiteres hinkriegten, wenn überhaupt

wie dem auch sei, in unserem Fall konnte durch rechtzeitiges Eingreifen des Notarztes schlimmeres verhindert werden,

der Tannenbaum und die Gardinen waren allerdings nicht mehr zu retten, weil zunächst niemand mit dem Feuerlöscher so recht klar kam, und man das Handbuch
"Wie lösche ich kleine Brände" auch erst gefunden hatte, nachdem Vater darüber gestolpert und lang hingefallen war,

und als klar wurde, das auch Opas Zigarren zusammen mit dem Vorhang verbrannt waren, beschloss man als man Zigarren und Vorhang in die Badewanne geworfen hatte, ohne Gegenstimme, nächste Weihnachten doch auf elektrische Kerzen umzusteigen, dann hätte auch die elektrische Eisenbahn samt Kreuzungsweiche überlebt, und so romantisch wäre künstlicher Schnee nun auch wieder nicht, wenn die Spraydose auf Grund der Hitzeentwicklung direkt neben dem Aquarium explodiert

Opa, der das Geschehen bislang als Zuschauer wahrnahm meldete sich jetzt auch zu Wort, knallte seine Gehhilfe auf den Tisch rief "Halleluja" und wiederholte das alle zwei Minuten

Mutter schaute in den Backofen, schüttelte den Kopf und fand, immer das positive sehend, dass jeden Weihnachten Gänsebraten oder Puter essen ohnehin langweilig und auch nicht so gesund sei, und der Pferdeschwanz von Töchterchen, die dem Tannenbaum während Bellos Baumattacke am nächsten stand würde auch wieder nachwachsen,

zumindest direkt über der Stirn

nur der Schnellkochtopf, der bei der Rettungsaktion etwas gelitten hatte, musste umgetauscht werden

aber das nahm man gern in Kauf, und man musste ja ohnehin in die Stadt um einen neuen Bräter für die Nachbarn zu besorgen, auch dem Hund geht es wieder besser, er wedelt zwar noch nicht wieder mit dem Schwanz, aber er beißt nicht mehr so schnell um sich
und Xaver?,
der hat seinen Humor wiedergefunden, bereits zu Silvester meinte er trotzig, Weihnachten in Bayern wäre irgendwie uriger,

doch da er Mitte Januar schon viel weniger Beruhigungstabletten brauchte fanden rückblickend alle, es wäre trotzdem eine schöne Weihmacht gewesen

und die wünsche ich an dieser Stelle uns allen,

vielleicht nicht ganz so, wie beschrieben

© Gerd Szallies

Bürgerreporter:in:

Gerd Szallies aus Laatzen

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