Informationen zum Frühstück
oder: wie sieht die ideale Zeitung aus
Die Tagesschau mit attraktiven Moderatorinnen und schrecklichen Meldungen war vorbei, außerdem hatte sein Verein ein Heimspiel verloren, jedenfalls war Bernd nölig und meinte "und das ganze steht morgen früh noch einmal in der Zeitung, furchtbar"
wir schauten ihn fragend an
"Er will die Zeitung abbestellen", erklärte Ines, "als wenn die was dazu könnte",
"das nicht", antwortete er, "aber wenn man den ganzen Horror, den man heut schon gesehen hat, morgen früh nochmal serviert kriegt, das nervt, und wenn man diese Artikel weglässt, was bleibt denn noch über von der Zeitung", und er zählte auf:
"das Wort zum Sonntag
(er meinte die Sonnabendbeilage der HAZ, den 7. Tag),
der Sportteil und Rabenau wobei der Sportteil auch nicht immer Freude macht",
und malte eine 96 in die Luft, mehr lese er kaum noch, und folglich brauche er diese Meldungen auch nicht, und die Bilder in der Zeitung würden auch immer größer, weil ihnen nichts mehr einfällt,
"also bitte, wozu braucht man eigentlich noch eine Zeitung"?
"ich lese auch die Todesanzeigen", sagte Ines, das hatte ich eher zufällig vor einiger Zeit auch gemacht, und da einen Namen gelesen, vom dem ich mir gewünscht hätte, nach langer Zeit wieder etwas zu hören, die Anzeige betraf nicht den Menschen, an den ich dabei dachte, es war nur der gleiche nicht allzu oft vorkommende Nachname, doch ich wollte ihn nicht auf dieser Seite der Zeitung lesen, ganz sicher nicht, aber die Zeitung bietet nun mal auch Informationen, die einem nicht gefallen.
Micha meinte dazu, "ein Bekannter schneidet sich interessante Artikel aus, er archiviert alles, was ihm wichtig ist, die Berichte über die Weltausstellung genauso wie über die Zeit vor 25 Jahren, als die Mauer fiel".
wir schwiegen, auf einmal war die Stimmung eine andere geworden, Micha kam aus der ehemaligen DDR, am 5. November 1989, an einem Sonntag, 4 Tage bevor in Berlin die Mauer fiel, war er über den bayerisch-tschechischen Grenzübergang Schirnding in die "BRD" gekommen.
"Wir hätten gern eine Zeitung gehabt, die über wichtige Ereignisse glaubwürdig berichtet hätte" sagte er, "doch Kritik an der Berichterstattung war undenkbar, die Presse im real existierenden Sozialismus erlaubte keine entsprechenden Leserbriefe, und es gab sie auch nicht".
Es gab zwar eine zahlenmäßig gewisse Vielfalt an Zeitungen, so gab es 8 überregionale Zeitungen, 5 davon wurden von den in der Volkskammer vertretenen Parteien herausgegeben, zusätzlich 3 Zeitungen, die als Sprachrohr der SED galten, die auch regional für 15 Bezirke eine Zeitung vertrieb, dazu kamen Zeitungen der Blockparteien, die meist für mehrere Bezirke eine Zeitung anboten, und 2 Abendzeitungen, sowie 1 Extrazeitung für die im Spreewald lebenden Sorben, eine Meinungsvielfalt gab es nicht,
die Wende hat keine dieser Zeitungen überlebt, statt dessen entstanden etwa 50 neue Zeitschriften, die ihr Erscheinen auch bald wieder einstellten, sie fanden keine Leser und die meisten Verlage wurden von der Treuhand an westdeutsche Verlage verkauft, und so wunderte es nicht, das Micha es immer noch als einen Gewinn bezeichnet, dass es unabhängige Zeitungen gibt, und davor warnt Verlage zusammen zu legen, damit kein Monopol entsteht, weil genau dies dazu führen kann, bestimmte Meinungen dem Leser zu suggerieren, man solle das nicht unterschätzen, denn Medien können durchaus eine Macht sein.
"Ich wünsche mir Zeitungen", sagte er "die mir nicht erklären, was ich zu denken habe, sie sollen eine neutrale Berichterstattung bieten, meine Meinung bilde ich mir selbst, und das Bernd sich über Meldungen ärgert, die er bereits durch andere Medien kennt, kann ich nicht so ganz nachvollziehen"
so ganz überzeugend wirkten Bernds Ansichten nun wirklich nicht, und so ernst waren sie auch nicht gemeint, doch wie die ideale Zeitung aussehen sollte, ist schon ein Thema,
sollte sie nur die Meldungen bringen, die individuell interessant sind, dann brauchte manche Familie morgens 5 Zeitungen, doch da könnte man dann der Einfachheit halber alle Themen in einer Zeitung zusammen fassen, und jeder liest, was ihn interessiert, womit wir wieder in der Realität angekommen sind,
soll es eine Zeitung sein, die es allen Recht macht, nicht schlecht, leider kann das niemand, und wie schon einmal erwähnt, ist in der Antike bereits der selige Paris daran gescheitert, und der war immerhin Halbgott,
eine Variante wäre, mit möglichst viel Themen möglichst viel Menschen zu erreichen,
theoretisch denkbar, es wäre allerdings eine ziemlich dicke Zeitung jeden Morgen, mehr kosten würde sie wahrscheinlich auch, und wenn ich nur 10 % davon lesen würde, wären wir wieder am Anfang dieses Artikels,
der Slogan "täglich fast alles" ist gar nicht so schlecht, wenn man mal davon ausgeht, dass es nur zwei Typen von Zeitungslesern gibt, die einen lesen wirklich fast alles, weil sie fast alles wissen wollen,
das wollen die anderen auch, aber so einiges eher in Kurzform, das wäre machbar, wenn nämlich die Überschriften der einzelnen Artikel als Information ausreichten, verbunden mit dem Hinweis, wo man näheres findet, wenn man denn will, ähnlich wie beim Teletext im Fernsehen, wie zum Beispiel:
" die Telefonüberwachung von Politikern wird eingestellt, abgehört werden nur noch diejenigen, mit denen sie grade telefonieren".
näheres auf Seite 7
(ist eine Beispielmeldung und frei erfunden)
das wäre für mich die ideale Form, Zeitung zu lesen und Nachrichten zu erhalten, und das möchte ich morgens nicht missen, und da ich gewohnt bin früh aufzustehen, das Ganze in aller Ruhe bei einer ersten Tasse Kaffee, so fängt für mich der Tag an.
Bernd wurde daraufhin ironisch in dem er sagte " Ja es gibt Leute, die haben eine ganz besondere Nähe zu Zeitungen, ich kenne einen, der hat sich als Lehrling immer eine überregionale Zeitung aus Frankfurt gekauft, und sie dann in der Straßenbahn so gehalten, das jeder wusste, dass hier ein kluger Kopf sitzt", und schaute mich dabei an",
wie gesagt, er wurde ironisch, aber nur ein bisschen, denn ich war eigentlich hier, um seinen neuen Fernseher ans Netzwerk anzuschließen.
"ist ja ok" meinte er, "doch wer entscheidet eigentlich, was in der Zeitung steht, aber er verwarf die Frage gleich wieder, und behauptete, sie würden ohnehin nur das schreiben, was wir lesen sollen, und das sind Schreckensmeldungen, ausschließlich gute Nachrichten würden sich nicht verkaufen, das war schon immer so, seit es Zeitungen gibt".
"und seit wann ist das", wollte Ines wissen, das wusste Micha: "Zeitungen, die unseren ähneln gibt es seit dem 14. Jahrhundert" sagte er,
Ines schaute mich an "Und seit wann habt ihr eine Zeitung" fragte sie,
"Nicht ganz so lange" meinte meine Frau, "seit 1970,
und damals war sie auch viel kleiner, das große Format kam erst später",
"seit 1970", sinnierte Ines, "und immer dieselbe"?
"Nein" sagte ich, "jeden Tag eine neue, immer die aktuelle Ausgabe"
und ich überlegte, diese Zeitung hatten schon unsere Eltern gelesen, und sie ist vermutlich seit 100 Jahren fester Bestandteil des täglichen Familienlebens, wobei die ältere Verwandtschaft sie Zeit ihres Lebens "Hannoverscher Anzeiger" nannte, so hieß nämlich das Vorgängerblatt.
"nicht die "Presse"?, meinte Ines, "nein nie, wer den Anzeiger liest, liest die Presse nicht, und umgekehrt auch nicht, niemals, das war auch immer so",
"was würde denn dein Nachbar dazu sagen", fragte Micha, "wenn du die Zeitung abbestellst, er hat euch doch als ihr hierher gezogen seid , geworben, weißt du noch, er kannte doch die Zeitungsausträgerin ganz gut, wie er sagte, das hat auch sofort geklappt, das war doch sehr nett von ihm",
"hör auf" erwiderte Bernd, "der wollte doch nur das Werbegeschenk haben, er brauchte für seine Tochter einen neuen Globus"
"achso"
"damit kannst du heute auch keinen mehr hinterm Ofen vorlocken"
"nee"
also auch der nette Nachbar schien die Zeitung nicht retten zu können,
"aber noch ist ja nichts geschehen" meinte Ines, "vielleicht überlegt er es sich noch, also so ganz ohne Zeitung morgens, ich weiß nicht",
"ja" sagte Bernd, "geht mir doch auch so, aber jeden Morgen kriegt man den ganzen Knatsch vom Vortag wieder zum Frühstück serviert",
"wird alles nicht so heiß gelesen, wie es gedruckt wird", versuchte Micha, die Situation zu entschärfen, "seid friedlich, bald ist Weihnachten,"
"richtig" meinte Ines, "und Weihnachtsmarkt, ich finde ja den in der Altstadt am schönsten, das finnische Dorf, den kleinen Tannenwald, und den Brunnen mit dem goldenen Ring, den man drehen kann, und dabei einen Wunsch äußern darf, der dann in Erfüllung geht, ich weiß auch schon, was ich mir wünsche", und schaute ihren Mann an,
"ab wann ist eigentlich Weihnachtsmarkt"?.
das wusste keiner, jedenfalls nicht so genau,
"macht aber nichts" sagte Micha, "das steht ja dann in der Zeitung".
Bernd seufzte, "jaja" sagte er, "alles klar", und damit war die Debatte beendet und die Zeitung, so wie sie ist, gerettet.
Ines lächelte, der kleine Ring am Brunnen schien wirklich Wünsche erfüllen zu können, sogar bevor man ihn gedreht hat, toll, aber das würde sie nachholen,
kein Problem.
Gerd Szallies
Bürgerreporter:in:Gerd Szallies aus Laatzen |
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