Philemon und Baucis
Auf der Meskenwiese in der Rethener Feldmark stehen zwei ineinander verflochtene alte Silberweiden, die ich über Jahre immer wieder fotografiert habe, auch weil sie mich an Philemon und Baucis erinnern, deren Geschichte Fred Lang erzählt:
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In Phrygien, einer Landschaft im heutigen Griechenland, an einem Ort, der nur selten von Menschen besucht wurde, trug sich vor unzähligen Jahren die folgende Geschichte zu.
In jener Zeit war es üblich, dass Götter von Zeit zu Zeit in Menschengestalt auf der Erde lebten, um sich unerkannt unters Volk zu mischen und um ein wenig Abwechslung vom himmlischen Einerlei zu erfahren. Sicher war es ihnen auf die Dauer langweilig geworden, immer nur unter ihresgleichen zu sein, und sie waren wohl auch der ständigen Intrigen überdrüssig, die damals nicht selten ihr unsterbliches Dasein zu vergiften drohten. Überhaupt waren die damaligen Götter noch menschlicher, nahmen auch sehr viel mehr Anteil an uns Sterblichen als heutzutage und mischten sich oft ungefragt in irdische Angelegenheiten. Dabei kam es manchmal zu großem Streit zwischen ihnen, der dann nicht immer auf friedliche Weise endete. Alles in allem waren Götter und Menschen in ihrem Verhalten nicht sonderlich weit voneinander entfernt.
Diesmal waren es Jupiter und sein Sohn, die auf der Durchreise an den Ort kamen, an dem diese Erzählung sowohl ihren Anfang als auch ihr so wunderbares Ende nahm. Zuvor hatten die beiden allerlei Unrecht und wenig Gastfreundschaft von den Menschen erfahren, die ja nicht wussten, mit wem sie es zu tun hatten und sich folglich auch wenig Mühe gaben, den Fremdlingen zu gefallen. Dies war nun eine schmerzliche Erfahrung und ein hoher Preis für die Anonymität der Reisenden. Die Versuchung, sofort ein göttliches Strafgericht abzuhalten, war groß und es fehlte nicht viel an seiner Ausführung. Immer noch murrend und zornig auf die Menschen, die ihnen Speise und Trank in ihrer menschlichen Unwissenheit verweigerten, ja sogar die Bitte um eine Bleibe für die Nacht mit höhnischen Worten abschlägig beschieden hatten, gelangten sie müde und hungrig bei anbrechender Dunkelheit zu einer kleinen, mit Stroh gedeckten, armseligen Hütte.
Hier lebten Baucis und ihr Mann Philemon. Sie hatten schon in früher Jugend geheiratet und waren nun zusammen alt geworden. An irdischen Gütern fehlte es reichlich, aber das war ihnen nicht wichtig und sie bekannten sich offen zu ihrer Armut.
Als nun die Himmelsbewohner gebeugt durch die niedrige Tür traten, wurden sie freundlich empfangen. Philemon bat sie auf seine bequemste Ruhebank, und die emsige Baucis entfachte das fast erloschene Herdfeuer neu und traf alle erdenklichen Vorbereitungen für eine warme Mahlzeit.
Wer nun glaubt, dass Philemons Beitrag sich auf den Gang in den Keller und das Ausschenken von Wein beschränkte, wird enttäuscht. Vielmehr holte er den Kohl aus dem sorgsam bewässerten Garten und beteiligte sich auch sonst auf "Hausmanns Art" fleißig an den für die Besucher kaum fassbaren Vorbereitungen.
Es wurde nun aufgetischt was Küche und Keller hergaben. Sogar ein lange verschonter und für festliche Gelegenheiten aufbewahrter geräucherter Schweinerücken musste dran glauben. Allerdings war es nur ein kleines Stück, doch dies wurde durch eine Fülle von Beilagen mehr als ausgeglichen, die nach und nach an einen anfangs wackligen Tisch gebracht wurden.
Doch die findige Baucis glich sein zu kurzes Bein einfach mit einem untergeschobenen Stein wieder aus und schon war er eben. Zuvor war er noch mit Minzeblättern abgerieben worden und nun gab es als Vorspeise eine Vielzahl von Früchten, teils frisch aus dem Garten, teils getrocknet oder auf bewährte Weise eingemacht. Dazu kamen Rettich, Endivien und Stücke geronnener Kuhmilch. Eier, nur leicht gewälzt in der milden, nicht glühenden Asche. Das alles wurde auf irdenem Geschirr, zusammen mit dem inzwischen fertigen Kohl und dem Schweinerückchen, vor den hungrigen Augen der Gäste auf gefällige Weise serviert. Zum Nachtisch gab es Nüsse und Feigen, gemischt mit runzligen Datteln. Es gab Pflaumen und duftende Äpfel in offenen Körben und saftige Trauben dazu. Auch Waben mit glänzendem Honig fehlten nicht auf dem Tisch.
Ein Mischkrug, geformt aus dem selben "Silber" wie das Geschirr, die Becher aus Buchenholz, innen mit gelbem Wachs ausgestrichen, dienten einem frischen Landwein aus neuester Lese zu flüchtigem Aufenthalt.
Unter heiterem allerdings nicht gerade in die Tiefe gehenden Geplauder verging die Zeit, und freundliche Mienen rundum bezeugten ein gelungenes Mahl.
Doch nun bemerkten die Gastgeber wie der Krug, so oft man ihn auch leerte, immer von neuem sich füllte, und sie staunten über das Wunder. Zitternd und mit erhobenen Händen stammelten sie voller Angst um Gnade dafür, dass das Mahl nur in Eile bereitet und für so hohen Besuch vielleicht zu einfach gewesen sei.
Es gab da noch eine Gans, die nun den himmlischen Gästen zu Ehren geschlachtet werden sollte. Doch sie ließ sich nicht von den Alten fangen und flüchtete unter großem Geschrei zu den Göttern, die sich jetzt zu erkennen gaben. Was für eine große Szene in einer so kleinen Stube!
Noch ganz betäubt von den Ereignissen folgten die ängstlichen Menschen, auf ihre Stöcke gestützt, dem himmlischen Paar nach draußen und auf einen nahe gelegenen Hügel.
Hier hatte man eine herrliche Aussicht. Es war einer jener Orte, an denen man sich dem Himmel näher fühlt und wie geschaffen für das Gastgeschenk, das die so freundlich aufgenommenen Reisenden ihren Wirten nun machen wollten.
Zuvor aber mussten sie mit ansehen wie das göttliche Strafgericht ihre ruchlosen Nachbarn doch noch ereilte. Ringsumher versank alles in einem Sumpf. Nur ihre Hütte verwandelte sich in einen Tempel mit goldenem Dach. Die Säulen, die Wände und der Boden waren aus Marmor.
Da sieht man wieder, dass auch ein reichliches Mahl nicht immer milde stimmt. Und wenn man es gar mit Göttern zu tun hat, immer vorsichtig sein sollte mit dem was man sagt oder vielleicht auch besser nicht sagt.
Dies muss den beiden Alten durch den Kopf gegangen sein als sie nach ihren Wünschen gefragt wurden. Nur wenige Worte wechselten sie untereinander und baten, für den Rest ihres Lebens die Hüter des soeben geschaffenen Tempels sein zu dürfen. Und da sie in Eintracht die Jahre verbracht hätten, solle dieselbe Stunde sie fort nehmen, damit keiner des anderen Grab sehen müsse.
Diese Bitte wurde ihnen erfüllt. Nach einer Reihe von Jahren, als ihre Zeit gekommen war, sahen zugleich Philemon und Baucis wie sich ihre Körper mit grünen Blättern und Zweigen bekleideten.
Als über ihre Gesichter schon die Wipfel der Bäume wuchsen sprachen sie noch miteinander, solange es ihnen vergönnt war, und sagten sich Lebewohl.
Danach verhüllten sie Zweige und Laub.
Heute noch stehen Stamm neben Stamm sich nah', aus den beiden Körpern gewachsen.
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Anmerkung:
„Es handelt sich um die freie Nacherzählung einer Geschichte aus den so genannten „Metamorphosen“ des Publius Ovidius (Römischer Dichter). Derselbe, der „ars amandi“ (Die Kunst des Liebens) vor etwa 2000 Jahren schrieb. Eine große Schlichtheit und Beschränkung auf das Wesentliche zwischen zwei Menschen, die sich lieben, zusammen alt geworden sind und nur einen einzigen Wunsch haben, zeichnet dieses Meisterwerk aus. Es geht mir übrigens nicht darum, Ovids herrliche Verse einfach zu zitieren ,sie kann jeder ohne große Mühe in allen erdenklichen Sprachen nachlesen, sondern darum, mit einer subjektiven und sehr persönlichen Interpretation vielleicht neues Interesse an den auch nach zweitausend Jahren immer noch aktuellen Werken dieses großen Dichters zu wecken.“
Fred Lang
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Copyright: Fred Lang, © 2002
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Bürgerreporter:in:Klaus Hoffmeister aus Laatzen |
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