Rente – Grundlagen einer allgemeinen Altersversorgung; Teil 1
1. Einleitung
"Die Renten sind sicher!"
"Die Renten werden nicht gekürzt!"
"Die Renten sind nicht mehr finanzierbar!"
Dies die Worte eines Bundesministers.
Die Rente geht alle an. Über die Rente will jeder reden - und manche müssen auch entscheiden. Wer über die Rente, die gesetzliche Altersversorgung, reden will oder gar entscheiden muss, muss recht genaue Kenntnisse dieser nicht eben einfachen Materie haben oder sich aneignen.
Es beginnt mit den mathematischen Grundlagen, also der Finanzmathematik und der Versicherungsmathematik. Beide können und sollen hier nicht abgehandelt werden, aber der interessierte Leser findet unter den Stichwörtern „Finanzmathematik“ und „Versicherungsmathematik“ in jeder Buchhandlung eine Reihe guter Werke, die allerdings nicht nur gelesen, sondern auch durchgearbeitet werden wollen.
Jede gesetzliche Altersversorgung besteht aus einer ganzen Reihe von kleinen und großen Einzelelementen, die sorgfältig bedacht werden wollen. Insbesondere Nebenwirkungen und Seiteneffekte sind tückisch und werden gern übersehen, weil sie lange Zeit im Verborgenen wirken. Hier werden die einzelnen Elemente, ihre Probleme und die in ihnen steckenden Möglichkeiten vorgestellt.
Prolog
Irgendwann, lange vor unserer Zeit und der Erfindung der gesetzlichen Renten- und Pflegeversicherung, zu einer Zeit, als irgendein Tier beschloss, Mensch zu werden, da war das Problem der Versorgung ganz einfach.
Die Eltern pflegten und versorgten ihre Kinder bis sie selbständig geworden - oder gestorben - waren. Hätten die Eltern dies seinerzeit nicht getan, gäbe es keine Menschen, denn bekanntlich ist das gerade geborene kleine Menschlein für die nächsten Jahre nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen. - Und das ist der eine Teil des Generationenvertrages, ungeschrieben, ohne Juristen, gut, einfach und von Anfang an genau deshalb funktionierend.
Wann der erste Mensch den Einfall hatte, seine alten Eltern zu pflegen und zu versorgen, ist schon sehr viel schwieriger festzustellen. Sicher ist aber, dass es irgendwann einmal geschehen ist und sicher ist auch, dass dies kein Einzelfall war, sondern mehr oder minder zur Regel geworden ist. - Und dies ist der andere Teil des Generationenvertrages, praktiziert, lange bevor ihn irgendwelche Juristen in Gesetze gegossen haben.
Der Generationenvertrag hat also zwei Seiten: Er umfasst einerseits die Pflege und Unterstützung der Eltern und andererseits die Pflege und Unterstützung der Kinder. Wer nur eine dieser beiden Seiten wahrhaben will, wird mit seinem System immer früher oder später scheitern.
Die Autoren des BGB, des Bürgerlichen Gesetzbuches, die über zwanzig Jahre daran gearbeitet haben, bis das Gesetz dann zum 01.01.1900 in Kraft getreten ist, haben bezüglich des Unterhalts sehr klare, einfache und für jeden verständliche Normen geschaffen (§§ 1601 bis 1615 BGB):
"Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren." (§ 1601 BGB).
Kurz, knapp und klar. Bezogen auf den Unterhalt Fordernden in aufsteigender Folge also: seine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern; und in absteigender Folge: Seine Kinder und Kindeskinder.
"Unterhaltsberechtigt ist nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten." (§ 1602 BGB Abs. 1 BGB).
Das bedeutet, jeder ist zunächst für seinen Unterhalt selbst verantwortlich.
Über die Rangfolge der Unterhaltspflichtigen sagt das Gesetz:
"Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig." (§ 1606 Abs. 1 BGB).
Diese Vorschrift zeigt ganz deutlich, dass hier keineswegs, wie heute üblich, nur an den Kindesunterhalt gedacht war, sondern ganz ausdrücklich und vordringlich an die Altersversorgung.
Mit diesen einfachen drei Bestimmungen des BGB ist eigentlich das ganze Problem der Altersversorgung erschlagen. Aber selbstverständlich, es geht auch anders - und damit haben wir die Probleme.
Gesetzliche Rentenversicherung
Mit Gesetz wurde 1889 die Invaliditäts- und Altersversicherung für Arbeiter geschaffen, die jedoch nur Minimalleistungen bot. 1911 wurde eine vergleichbare Regelung für die Angestellten geschaffen. 1916 wurde die Altersgrenze von bisher 70 Jahre auf 65 Jahre herabgesetzt. 1923 wurde als Folge der Inflation, in der praktisch das gesamte Vermögen dieser Kassen verloren ging, die Finanzierung teilweise von der Kapitaldeckung auf das Umlageverfahren umgestellt. Weitere Gesetzesänderungen in den Folgejahren. Rentenreform 1957, hier wurden die Grundlagen für das heute noch geltende Recht gelegt. Zwanzig Jahre später Beginn des Aufbaus des Sozialgesetzbuches.
Gesetzliche Grundlage des heute geltenden Rechts ist das Sozialgesetzbuch (SGB) mit seinen Büchern. Hieraus interessiert uns vor allem der Band SGB VI.
Das heutige Recht des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung weist eine Reihe von Mängeln auf. Dies erkennt auch der Gesetzgeber und so reihen sich die Rentenreformgesetze in munterer Folge, mal (früher) die Leistungen etwas erhöhend, mal (seit Jahren) die Leistungen mindernd. Weitere Reformen mit weiteren Leistungsminderungen sind bereits absehbar.
Das Netz der sozialen Sicherheit ist in viele Rechtsvorschriften aufgesplittert, es ist daher sehr unübersichtlich. Kein Bürger kennt sich dort aus, vermutlich auch keiner der oft zitierten „Sozialexperten“.
Der von den Regelungen betroffene Personenkreis ist willkürlich bestimmt und überlappt: Während der eine durch die Maschen des Netzes fällt, wird der andere gleich von mehreren Vorschriften aufgefangen. So unklar und sich überschneidend der begünstigte Personenkreis ist, so willkürlich und sich überlappend ist der bunte Strauß der gebotenen Leistungen, die dann gegenseitig untereinander verrechnet/aufgerechnet/erstattet werden oder auch ruhen. Das Netz der sozialen Sicherheit ist kein ordentlich ausgespanntes Sicherheitsnetz, sondern ein Knäuel in sich verhedderter Fäden, Strippen, Seile, Taue und vor allem immer wieder Löcher.
In einem Punkt aber sind sich viele dieser Leistungen versprechenden Rechtsvorschriften einig: Der Leistungsbezieher darf nicht gleichzeitig arbeiten. Folge: Der Leistungsempfänger wird immer mehr an die Abhängigkeit von den Wohltaten des sozialen Netzes gewöhnt ja direkt hineingezwungen. Das Netz schafft sich so selbst seine Hilfsbedürftigen immer von Neuem selbst.
Es ist aussichtslos, ein solches Gestrüpp (an dessen Fortbestand viele egoistische Interessen hängen!), entwirren zu wollen. Man kann es nur, wenn man wohl definierte Teile davon herausschneidet und diese dann, das Fernziel einer Neukonstruktion nicht aus den Augen lassend, einzeln nach und nach reformiert. Hier also der Teil der gesetzlichen Altersversorgung.
Abschließend sei noch auf einen möglichen Zusammenhang zwischen unserem Rentenrecht und den fallenden Geburtenraten hingewiesen:
1889 Einführung der Rentenversicherung
1925-1930 erster Geburtenknick: Die neue Rentenversicherung hatte den 1. Weltkrieg und Inflation 1923 überdauert.
1969-1973 zweiter Geburtenknick („Pillenknick“): Die Rentenversicherung hatte den 2. Weltkrieg, die Inflation („Währungsreform“) sowie die inzwischen verringerte Geburtenrate überdauert.
2005-2015 von mir in meinem Manuskript von 1993 erwarteter dritter Geburtenknick. Dieser Geburtenrückgang ist um 2005 tatsächlich eingetreten.
Um 2030 der nächste von mir erwartete Geburtenrückgang.
2. Grundüberlegungen zur gesetzlichen Altersversorgung
Soll die Neukonstruktion oder die Reformation einer gesetzlichen Altersversorgung bestand haben, dann muss sich der Konstrukteur zunächst über einige Grundlagen Klarheit verschaffen. Ein Modell kann uns dabei helfen.
Aus den einjährigen Sterbewahrscheinlichkeiten bauen wir uns eine stationäre Bevölkerung auf. Wir passen diese weiter an die besondere Verlängerung des Lebens, also die fallenden einjährigen Sterbewahrscheinlichkeiten an, versuchen dann die Geburtenzahlen zu schätzen und fügen die Wanderungsbewegung ein. Zum Abschluss dieses ersten Schritts übertragen wir die so gewonnenen Erkenntnisse auf die reale Bevölkerung und kommen zu der uns interessierenden Bevölkerungsprognose der nächsten 50 Jahre. Fehler in diesem grundlegenden Schritt erschüttern das ganze Rentengebäude, die derzeitigen Streitereien zum Stichwort „demographischer Faktor“ zeigen dies überdeutlich.
Ausgehend von dieser Bevölkerungsprognose bestimmen wir die Alten- und Kinderlastenquoten, wobei wir die ersten Versuche mit der Bestimmung des Renteneintrittsalters machen. Und in einem Exkurs prüfen wir die Möglichkeit der Altersversorgung ohne Kinder.
Wir prüfen die Probleme der Rentendynamisierung und kommen damit zur Wahl der richtigen Bezugsgrößen und wenden uns abschließend den möglichen Finanzierungsarten und der Lasttragung zu.
Diese Fragen sollen in den folgenden Abschnitten diskutiert werden. Erst dann kann an die Konstruktion oder in unserem Fall besser die Reformation eines Rentensystems gegangen werden.
01.10.2012
Hermann Müller
Bentieröder Bruch 8
OT Bentierode
D-37547 Kreiensen
Hinweis: Tabellen sowie Hoch- und Tiefstellungen sind in dieser Seite nicht (korrekt) darstellbar.
Unter Verwendung des Buches von Hermann Müller: „Rente – Grundlagen einer allgemeinen Altersversorgung“. Das Manuskript ist bei www.querkopp-mue.de abrufbar.