Diktasien
Im Lande Diktasien hatte sich der neuer Herrscher Diktato an die Macht geputscht und war nun Alleinherrscher. Das Volk hatte genau zehn Millionen Einwohner, davon waren gerade mal zwanzig Prozent für ihn, siebzig Prozent war es egal und zehn Prozent waren gegen ihn. Eigentlich hätte Diktato gut leben können, aber er wollte mehr. So ließ er an einem Tag alle die, die gegen ihn waren, umbringen. Nun glaubte er, dass jetzt zwar nur noch neun Millionen von ihm beherrscht wurden, er aber keine Gegner mehr habe.
Diktato hatte sich aber geirrt, denn kaum, dass seine Gegner ermordet waren, standen andere auf, die gegen ihn waren und wieder standen nun den zehn Prozent gegen ihn die siebzig Prozent der Unentschiedenen und den zwanzig Prozent seinen Anhänger gegenüber, denn etliche der bisher Unentschiedenen und einige seiner bisherigen Anhänger hatten die Seite gewechselt und waren nun als Folge der Mordaktion gegen ihn.
Als Diktato dies erfuhr, ließ er abermals in einer Nacht alle seine Gegner ermorden. Jetzt zählte sein Volk nur noch acht Millionen und einhunderttausend Einwohner – und wieder waren von diesen zehn Prozent gegen ihn, siebzig Prozent unentschieden und zwanzig Prozent ihm treu ergeben.
Ein Mathematiker mag ausrechnen, wie oft Diktato diese Säuberungsaktionen noch ausführen kann. Aber selbst ohne Rechnung, irgendwann hätte Diktato ein Problem: Es wäre kein Volk mehr da, das er beherrschen könnte. Und daraus folgt: Herrscher wie Diktato können nicht gegen ihr eigenes Volk unbegrenzt Krieg führen, sie können nicht ihr ganzes Volk ermorden lassen, denn sonst stehen Diktato und seine Ebenbilder irgendwann, und das um so früher, je härter sie vorgehen, ohne Untertanen da – und dann macht selbst einem Diktato das herrschen keinen Spaß mehr.
22.04.2012
Hermann Müller
Bentieröder Bruch 8
OT Bentierode
D-37547 Kreiensen