Bürgermeinung und Landkreisfusion
Das Gandersheimer Kreisblatt berichtete am 30. Juni 2012 über die Bürgerinitiativen zur Fusion der Landkreise. Welche Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung sieht das Gesetz (NkomVG, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz) eigentlich vor?
Da ist die „Bürgerbefragung“ (Paragraph 35 NkomVG). Hier geht es von der „Vertretung“ aus, also Gemeinde-/Stadtrat oder Kreistag. Was da gefragt wird und was dann die Verwaltung oder die Vertretung mit dem möglichen Befragungsergebnis anfängt, ist offen. Jedenfalls muss niemand sich wirklich um dieses Befragungsergebnis kümmern oder sich gar daran halten. Diese Variante der Bürgerbeteiligung wird uns also nicht wirklich weiter bringen.
Dann gibt es das Recht der „Anregungen, Beschwerden“ (Paragraph 34 NkomVG), das jedem Bürger zusteht. „Jede Person hat das Recht sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten der Kommune an die Vertretung zu wenden.“ (Paragraph 34, Satz 1). Praktisch erreichen wird der Bürger damit selten etwas. Auch diese Variante wird uns hier nicht wirklich weiter helfen.
Ganz anderes Gewicht hat der „Einwohnerantrag“ (Paragraph 31 NkomVG). Zwingende Voraussetzung für den Einwohnerantrag ist eine Mindestmenge an Unterschriften, für Landkreise bis 100.000 Einwohner mindestens 3 Prozent, ausreichend sind jedoch 2.500 Unterschriften; und für Landkreise über 100.000 Einwohner mindestens 2,5 Prozent, ausreichend sind jedoch 8.000 Unterschriften. Unterschriftsberechtigt sind nur Einwohner im Alter von mindestens 14 Jahren und mindestens 3 Monaten Wohnsitz in der Kommune (hier also Landkreis). Die Unterschriften (mit Namen, Anschrift, Geburtsdatum) müssen also geprüft werden. Zusätzlich schreibt das Gesetz vor: „Der Einwohnerantrag soll einen Vorschlag enthalten, wie Kosten oder Einnahmeausfälle zu decken sind, die mit der Erfüllung des Begehrens entstehen würden.“ (Paragraph 31 Absatz 2 Satz 4). Dies ist hier zwar nur eine Soll-Vorschrift, aber die Antragsteller sollten sich über die Kosten einige Gedanken machen. Der Antrag „muss ein bestimmtes Begehren mit Begründung enthalten“ (Paragraph 31 Abs. 2 Satz 2).Der Einwohnerantrag erfordert:
zwingend den Antrag mit einem bestimmten Begehren sowie dessen Begründung,
zwingend die Mindestanzahl an (gültigen!) Unterschriften,
als Soll-Vorschrift die Darstellung der Kosten und Einnahmeausfälle sowie deren Deckung.
Der nächste oder ein weiterer Schritt ist das „Bürgerbegehren“ (Paragraph 32 NKomVG). Das Bürgerbegehren erinnert formal an einen Stimmzettel, es „muss die begehrte Sachentscheidung genau bezeichnen und so formuliert sein, dass für das Begehren mit Ja und gegen das Begehren mit Nein abgestimmt werden kann. Das Bürgerbegehren muss eine Begründung sowie einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag enthalten, wie Kosten oder Einnahmeausfälle der Kommune zu decken sind, die mit der Ausführung der Sachentscheidung entstehen würden.“ (Paragraph 32 Absatz 3 Satz 1 und 2). Hier ist die Darstellung der Kosten und Einnahmenausfälle sowie deren Deckung also zwingend vorgeschrieben. Das Bürgerbegehren muss von mindestens 10 Prozent der in der Kommune wahlberechtigten Einwohner unterzeichnet sein (Paragraph 32 Absatz 4 Satz 1). Für die Durchführung eines Bürgerbegehrens ist eine zwingende Frist von 6 Monaten vorgeschrieben (Paragraph 32 Abs. 5 Satz 1). „Die Frist beginnt mit dem Eingang des Antrags bei der Kommune.“ (Paragraph 32 Abs. 5 Satz 2). Ein laufendes Bürgerbegehren hat keine aufschiebende Wirkung, es kann also durch Handlungen und Beschlüsse der Verwaltung oder Vertretung (zum Beispiel Kreistag) unterlaufen werden, und zwar sowohl im Sinn des Bürgerbegehrens als auch dagegen.
Das erfolgreiche Bürgerbegehren mündet in dem „Bürgerentscheid“ (Paragraph 33 NkomVG), der formal vergleichbar einer Wahl abläuft. Wesentlicher Unterschied: Es muss die Mehrzahl der abgegebenen Stimme auf Ja lauten und es muss zusätzlich diese Mehrheit mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten betragen. Es müssen beide! Bedingungen erfüllt sein! Ein erfolgreicher Bürgerentscheid steht dem Beschluss der Vertretung gleich (Paragraph 33 Abs. 4 Satz 1).
ABER hier geht es doch um die Fusion, also eine Gebietsänderung der Landkreise – und dafür gibt es andere, spezielle Vorschriften in den Paragraphen 23 bis 27 NkomVG, und weil nach allgemeiner Rechtslehre die spezielle Vorschrift der allgemeinen vorgeht, könnte alles oben gesagte für eine Fusion nicht gelten. Für die Fusion steht zwar in Paragraph 25 Abs. 4, dass die Bürger „anzuhören“ seien – aber das betrifft nur Gemeindefusionen. Für Landkreisfusionen gibt es nicht einmal dieses „anzuhören“. Und in Paragraph 25 Abs. 1 Satz 1 steht: „Für Gebietsänderungen ist ein Gesetz erforderlich.“ Jede Kommunalfusion (mit oder gegen den Willen der Betroffenen) bedarf also eines Gesetzes – und das wird in Hannover vom Landtag beschlossen, und der wiederum ist nicht an den Bürgerwillen gebunden, der nach dem NkomVG ausgedrückt wird.
Soviel zum Formalen und Rechtlichen.
Es gibt viele gute Gründe für eine Fusion von Landkreisen. Ein unbestrittenes Ziel einer jeden Fusion ist die Einsparung von Kosten. In unserem Fall geht es im Wesentlichen um die Einsparung von Verwaltungskosten, und das sind vor allem Personalkosten. Die gedachte Landkreisfusion würde rund 100 bis 200 Stellen als Einsparung bringen, das ist in Geld bequem 5 bis 10 Millionen jährlich mit steigender Tendenz.
Auch muss das Verhältnis vom Landkreis zu seinen Gemeinden beachtet werden. Je mehr Gemeinden sich zusammenschließen, je größer die Gemeinden damit werden, um so weniger Aufgaben bleiben für den Landkreis übrig, denn praktisch alle Aufgaben der Landkreise können zwischen dem Landkreis und seinen abhängigen Gemeinden hin und her geschoben werden.
03.07.2012
Hermann Müller
Bentieröder Bruch 8
OT Bentierode
D-37547 Kreiensen