"Heilig Abend" Ende Mai – Ein Verhör, das unter die Haut geht und nachdenklich macht lockt zu den letzten Aufführungen nochmals zahlreiche Zuschauer ins Matrix
Die Besucher des gut besuchten Zuschauerraums im Königsbrunner Matrix blicken auf die Bühne, die einen Verhörraum darstellt. Der Polizist, gespielt von Georg Noll, und die terrorverdächtige Professorin für Philosophie, gespielt von Annika Bast, stehen sich beobachtend und lauernd gegenüber. Er hat nur begrenzt Zeit, um die mutmaßliche Terroristin zu überführen, um die Bombe zu lokalisieren, bevor sie genau heute an Heilig Abend um Mitternacht explodieren soll. Aber, gibt es diesen Sprengsatz tatsächlich und ist die Verdächtige wirklich schuldig oder werden wir Zeugen eines Akts staatlicher Willkür? Dies versucht der Abend auf sehr vielschichtige und intelligente Weise zu klären.
In Daniel Kehlmanns Theater-Duell zwischen einer linksradikalen Systemkritikerin und ihrem unberechenbaren Vernehmer und Verhörspezialisten geht es um Terror, dem Rechtssystem, um Ausmaß und Berechtigung staatlicher Überwachung und um die Frage nach der Vereinbarkeit von Freiheit und Sicherheit. Ein Verhör, das zum Ringen um Strategien, Ideologien und Gesellschaftsordnungen wird. Mann gegen Frau, Pragmatismus gegen Idealismus, Vision gegen Organisatin, Freiheit gegen Sicherheit.
Auf der Bühne geben sich die beiden sehr präsenten Schauspieler ein intellektuelles Katz- und Maus-Spiel, dem es ab und an auch an Humor nicht fehlt. Mit großer schauspielerischer Leistung fechten die beiden Protagonisten in einem starken Zwiegespräch einen rasanten sowie eleganten verbalen Schlagabtausch aus. Ängste und Meinungen werden begründet, aber gleichzeitig infrage gestellt. Die Dialoge mit wechselnden Sympathieträgern sind von Regisseur Dieter Ungelehrt souverän in Szene gesetzt. Die zwei schenken sich nichts, und es ist ein großes Vergnügen den Dialogen beizuwohnen, die durch Körpersprache gekonnt umrahmt werden. Mit den scharfkantigen Figuren und der wechselnden Dynamik spielt der Dialog immer wieder geschickt mit den Erwartungen und Ängsten der Zuschauer.
Georg Noll (29) agiert in seiner Rolle des gewieften Polizisten als raffinierter Vertreter eines Systems sehr glaubhaft, wechselt vom verständnisvollen zum bedrohlichen Mann, wirkt in Momenten unsicher und im nächsten Augenblick fast gewalttätig. Die zweifache Mutter Annika Bast (29) spielt sehr überzeugend zu Anfang die ahnungslose, verängstigte, distanzierte gebildete Philosophieprofessorin, die keinen Hehl aus ihrer Gesinnung macht, bringt aber auch unerschrocken, energisch und rhetorisch gekonnt mit gezielten Fragen ihr Gegenüber aus dem Konzept. Mit den beiden Darstellern hat Ungelehrt die Rollen mit Künstlern voller authentischer Emotionen perfekt besetzt.
In dem politisch aktuellen Stück, das auch voller Beunruhigung für den Zuschauer steckt, gibt es keine einzige Minute das einem das im Titel besinnliche Friedensfest suggeriert. Kehlmanns Stück überlässt die Meinungsbildung dem Publikum, zwingt zum Weiterdenken über den gesellschaftsrelevanten Diskurs. Ein Abend knackig, intensiv, aufrüttelnd und voller aktueller vielschichtiger Gedankenübungen. Ohne Grübeln wird kaum ein Zuschauer das Theater verlassen haben.
Ungelehrt hatte bereits Weihnachten 2020 die Idee zur Inszenierung des Stücks, inspiriert vom Fernsehfilm "Das Verhör in der Nacht", das nach Daniel Kehlmanns Theaterstück "Heilig Abend" verfasst ist. Mit dem dafür benötigten kleinen Ensemble von nur zwei Personen waren Proben auch während der coronabedingt beschränkten Zeit möglich. Passende Künstler für die Rollen fand Ungelehrt schnell. Noll und die zweifache Mutter Bast kennen sich schon seit ihrer Schulzeit und spielen seit Jahren bei der Theatergruppe Dramalution. Erste Proben zum Dialogstück fanden bei Ungelehrt in der Küche statt. Der erstmals anvisierte Aufführungstermin Weihnachten 2021 wurde auf Grund der damaligen geforderten Auflagen verschoben. Somit kam "Heilig Abend" erst jetzt zur Aufführung.
Bürgerreporter:in:Helga Mohm aus Königsbrunn |
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