Wie man den Prozess der EVOLUTION bildkünstlerisch darstellen kann: DARWIN & KUNST (1. Teil)

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„EVOLUTIONÄR!“ – unter diesem Titel werben Flyer für eine einmalige Ausstellung: Mit „DARWIN – KUNST UND DIE SUCHE NACH DEN URSPRÜNGEN“ ist der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt ein kunsthistorischer Durchbruch gelungen, denn das Thema Kunst-EVOLUTIONISIERUNG hat die „Old History Art“ (Vorläufer der New History Art / Bewegung „Neue Kunstgeschichte“) seither gemieden. Wie kaum ein anderer Wissenschaftler hat Charles DARWIN das Weltbild revolutioniert - wissenschaftlich wie außerwissenschaftlich. 2009 wird das „DARWIN-Jahr“ gefeiert. Der Evolutionsforscher Charles Robert DARWIN (kurz: C.R.D.), geboren 1809, wird 200 Jahre alt - und vor 150 Jahren (1859) ist sein Schlüsselwerk „On the Origin of Species“ (Über die Entstehung der Arten) erschienen. Das EVOLUTIONs-Denken Darwins (heute „Darwinismus“ genannt) wurde letztendlich Gegenstand der Bildenden KUNST: Zu einem „SYMPOSIUM: DARWIN – KUNST UND DIE SUCHE NACH DEN URSPRÜNGEN“ trafen sich Interessierte und Fachleute in der SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT am 15. MAI 2008. Die Ausstellung „DARWIN, Kunst und die Suche nach den Ursprüngen“ folgte am 5. Februar 2009 und dauert bis Sonntag, 3. Mai 2009 (1). DARWINs Theorie der natürlichen Selektion stellte mit Schlagwörtern wie „Konkurrenz, „Kampf“ und „Fortpflanzungserfolg“ einen radikalen Gegenentwurf zu Auffassungen von der Natur als harmonischer Einheit dar. Was „naturgetreu“ seit der Verbreitung des Darwinismus bedeutet, beabsichtigt die Ausstellung in unterschiedlichsten Bildern diverser Künstler zwischen 1859 und 1959 darzustellen.

Für den Kultur- bzw. Feuilletonteil der Medien besuchten viele Autoren die DARWIN-Schau in der Frankfurter SCHIRN Kunsthalle. Kuratorin Pamela KORT ergründete DARWINs Einfluss auf die Kunst. Das Thema Evolution ist nunmehr für die bildende Kunst nicht mehr zu verdrängen. „Seit etwa 1871, das vergessen viele, war DARWIN in aller Munde", sagt Kuratorin KORT: „Wir finden Illustrationen in Kinderbüchern, es gab Bilder in den Wochenmagazinen. Überall auf den Zeichentischen stieß man auf sie. Man dachte nur noch an die Frage: Was machen wir mit Adam und Eva? Wurde die Welt wirklich in sieben Tagen erschaffen? Wie alt ist die Menschheit. Diese Fragen waren so wichtig und haben die Welt so radikal geändert, dass Künstler selbstverständlich auf sie reagierten."

Einige wenige Bildende Künstler reagierten nicht nur auf DARWINs Erkenntnisse über den Ursprung, das Überleben und die Evolution der Arten, sondern auch auf die Deutungen seiner Befürworter und Kritiker: z. B. Arnold BÖCKLIN, Odilon REDOM, Alfred KUBIN, Max ERNST. Piet MONDRIAN selbst schuf 1911 das Werk „EVOLUTION“ („Evolutie“) – ein Triptychon -, das mit dem naturwissenschaftlichen Begriff der biologischen „Evolution“ überhaupt nichts (!) zu tun hat; viel aber mit Mythos & Mystik. Die SCHIRN zeigt dieses Werk daher nicht und greift das in den letzten Jahren enorm gestiegene wissenschaftliche Interesse an DARWINs Schriften und vor allem deren Bedeutung für Bildende Künstler auf. Es werden künstlerische Interpretationen von DARWINs bahnbrechender Evolutionstheorie in der Schau gezeigt, die mit dem „exakten“ EVOLUTIONs-Begriff zum Teil nur entfernt zu tun haben. Es geht um Visionen des Ursprungs der Welt aus den Tiefen der Gewässer (REDON), skurrile Mischwesen (KUBIN) und Collagen & Gemälde des Surrealismus (ERNST).

Nicht nur die Vorstellungen DARWINs, sondern auch die seiner vielen Fürsprecher und Widersacher gerieten schon bald ins Blickfeld der bildenden Künstler. In Deutschland kam Arnold BÖCKLIN spätestens 1872 mit den Theorien Darwins, Brehms und Haeckels in Kontakt und verlieh in seinen Bildern der These Ausdruck, dass alles Leben ursprünglich dem Meer entstamme. Vielfach stellen die betreffenden Gemälde hybride Wesen dar, die an das „fehlende Bindeglied“ einer Evolutionskette erinnern sollen. „Auf paradoxe und nahezu komische Weise verschmolzen in diesen Werken traditionelle mythologische und christliche Motive mit den radikalen Evolutionsideen, die von der zeitgenössischen Naturwissenschaft aufgestellt wurden. BÖCKLIN schuf Meeresszenen, in denen Seejungfrauen und andere Meeresgeschöpfe mit menschlichen Zügen und Merkmalen ausgestattet sind. Zwanzig Jahre später begann Gustav KLIMT mit dekorativen zellenartigen Membranen bedeckte mutierte Meeresgeschöpfe zu malen, in denen sich sein Interesse an der monistischen Philosophie Ernst HAECKELs manifestierte.

Von „TRANSFORMATION“ & „TRANSMUTATION“ – sprach C.R.D. anfangs im Zusammenhang mit seiner EVOLUTIONs-Forschung. Später erst benutzte er den Terminus „EVOLUTION“ in seinen Schriften. Vor 200 Jahren hatte J.B. LAMARCK als erster Evolutionstheoretiker in seiner „Zoologischen Philosophie“ die Vorstellung vertreten, dass sich die Lebewesen auseinander (nicht einfach nacheinander (!)) entwickelt haben: durch Veränderungen in langen erdgeschichtlichen Zeiträumen und durch natürliche (!) Ursachen dieser Veränderungen. Der wirkliche Durchbruch des EVOLUTIONs-Gedankens verdankt sich indessen dem Werk DARWINs von 1859 („Entstehung der Arten“).

HAECKELs Rolle bei der Verbreitung der Evolutionstheorie sei „kaum zu überschätzen", sagt heute der Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik an der Universität Jena, Olaf BREIDBACH gegenüber dpa. In Jena war HAECKEL (1834-1919) der erste Professor für Zoologie und auf dem Kontinent der Hauptvertreter für den Darwinismus. Der Zoologe sei in seinen Arbeiten, die sich mit der Systematik beschäftigen, immer noch einer, der Maßstäbe setzt, so BREIDBACH. Über seine Vorstellung, die individuelle Geschichte und die Stammesgeschichte zusammenzudenken, werde heute noch nachgedacht. Leider seien die weltanschaulichen, nicht unproblematischen Auffassungen des Zoologen, vom Nationalsozialismus vereinnahmt worden: etwa als eine wissenschaftliche Basis der perfiden Rassenhygiene.

In der SCHIRN-Schau durfte HAECKELs Werk nicht fehlen. HAECKEL hatte eine besondere Passion: die KUNST. Der talentierte Zeichner spielte anfangs gar mit dem Gedanken, Landschaftsmaler zu werden, doch seine Faszination für die Formen der Natur hielt ihn in der Forschung. Besonders begeisterten ihn die streng symmetrischen Radiolarien: Einzeller mit bizarrem Skelett und geometrischen Formen. Der streitbare Biologe wollte DARWINs Lehre auch mit den Mitteln der Bildenden KUNST unter die Leute bringen. Zudem hielt er Vorträge über seine Weltanschauung, die er 1899 in seinem Buch „Die Welträtsel" formuliert hatte: den MONISMUS. Er predigte eine pantheistische Lehre von der Einheit von Materie und Geist, die stark von den Vorstellungen des Dichters und Naturwissenschaftlers Johann Wolfgang von GOETHE (1749-1832) beeinflusst war. (2)

Der „deutsche Darwin“ HAECKEL war es, der noch im Bann GOETHEscher Naturbetrachtung mit ihrer Passion für organische Einheit und Morphologie stand. Wie der Erfinder von Urpflanze & Urtier war HAECKEL früh einer einzigartigen Vision gefolgt: Die Zauberformel, mit der NATUR gebannt werden sollte, „heißt Kristallisation, ihr verblüffender Spiegeleffekt SYMMETRIE“. Die unendliche Reihe der Merkwürdigkeiten in Fauna und Flora „zieht sich zusammen zur Arabeske“, kritisierte der Poet Durs GRÜNBEIN den HAECKELschen Ansatz eines angeblichen „Wunschbildes dekorative Natur“ (Bilderatlas „Kunstformen der Natur" als ästhetische Gesamtschau). (Mehr in (2) hierzu.)
Nicht diffamiert wird Ernst HAECKEL momentan in der SCHIRN-Kunst-Ausstellung (1):

Frankfurts SCHIRN (mit Kuratorin Pamela KORT) ergründet DARWINs Einfluss auf die KUNST. Das Thema EVOLUTION ist auch für die bildende Kunst nicht mehr zu verdrängen; jedenfalls nicht im Darwin-Jahr 2009. Ihrem Widerwillen gegen die neuen naturwissenschaftlichen Ideen DARWINs machte man sich nach der Veröffentlichung des Buches von der „Entstehung der Arten“ (1859) mit bitterbösen KARIKATUREN in den illustrierten Zeitschriften Luft. In jedem Falle, so Kunsthallendirektor Max HOLLEIN, war es die visuelle Kultur, die die Auswirkungen von DARWINs Theorien transportierte. „Die Reaktion auf die Verbreitung des Darwinismus innerhalb der Kunst fand aber bis heute relativ wenig Beachtung. Unsere Ausstellung möchte diese Lücke schließen", so der Österreicher. Die SCHIRN zeigt daher auch besonders Karikaturen, die DARWIN in der Öffentlichkeit bekannt gemacht haben: Besonders nach dem Werk von 1871: Sechs Monate nach dem Erscheinen seines Buchs "The Descent of Man" spielte eine Karikatur auf DARWINs typische schlaksige Körperhaltung an. Der lange Bart, den er sich als 55-Jähriger wachsen ließ, wurde zu dessen Markenzeichen. Seine starke Behaarung lud dazu ein, ihn als fellbesetztes Tierwesen zu zeichnen.

Der alte C.R.D., mit weißem Rauschebart, tiefliegenden Augen und enigmatischem Blick wurde schon zu Lebzeiten zu einer Ikone. Tausendfach fanden seine Porträts Verbreitung – so auch im Darwin-Jahr in den Massenmedien. Schon seine Freunde scherzten über den neuen Moses, der dem Volk die Gesetze der Natur gebracht hat.

Es war der beliebte Zoologe und Volksschriftsteller Alfred BREHM (1829 - 1884) – er suchte die Seele der Tiere, begründete die Verhaltensforschung -, der viele seiner Zeitgenossen mit der Feststellung schockierte, dass auch der Mensch nur ein Säugetier unter anderen sei. Je tierischer der Mensch, umso menschlicher - zumindest in BREHMs Tierleben - die Tiere. Hierzu zeigt die SCHIRN in einer Vitrine Belege. Beweisstücke in einer anderen Vitrine belegen, dass Gabriel von MAX Kontakt zu dem 1919 in Jena gestorbenen Naturwissenschaftler Ernst HAECKEL gesucht hat, der auch als der „deutsche Darwin“ bezeichnet worden ist.

Dass KUNST und WISSENSCHAFT damals zusammenrückten, demonstriert ein Kabinett zu Gabriel von MAX - inmitten der Ausstellung: Vitrinen voll mit Totenköpfen, Knochen, Steinen, prähistorischem Werkzeug, Masken, seltsamen Kultfiguren und Tierpräparaten; die Studierstube von Gabriel von MAX. Den Maler, Kunstprofessor und passionierter Sammler hatten AFFEN, die er auch fotografiert hat (zum Malen nach Fotos), besonders fasziniert. Eine ganze Affen-Herde beherbergte der Maler zeitweise in seinem Sommerhaus. Er beobachtete und malte die Tiere, sezierte sie, wenn sie gestorben waren. Seine Bilder in der Frankfurter Ausstellung zeigen die Affen in menschlichen Rollen - am Klavier, lesend, als Theatertruppe und als Kunstrichter vor einem Gemälde.
Der als Historienmaler ausgebildete Gabriel von MAX - Professor von der Münchner Akademie - hatte sich 1870 einen Cebus-Affen gekauft, den er porträtierte. Später ersetzte von Max das Personal seiner Bilder komplett durch Affen, die in menschlichen Rollen agierten. Er verließ die Akademie, trat in die Theosophische Gesellschaft ein und sammelte Fundstücke zur Prähistorie, zur Zoologie und zur Anthropologie. Es seien diese AFFEN-Bilder, die dem Betrachter noch lange nach dem Verlassen der Ausstellung nicht aus dem Kopf gehen würden, schrieb die TAZ („Das Tier in dir“; 10.02.09): Zwei melancholisch wirkende Äffchen, von denen das ältere eine blonde Puppe, sie stellt ein kleines Mädchen dar, in seinem Schoß birgt, während das kleinere Äffchen die Puppe berührt (Gemälde mit dem Namen „Anthropologischer Unterricht").
Micha BRUMLIK (TAZ) sah glatt ADORNO widerlegt: "'Was Natur vergebens vermöchte', so Adorno in einer berühmten Passage seiner 'Ästhetischen Theorie', 'vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf.' Die Frankfurter Ausstellung widerlegt Adorno in gewisser Hinsicht. Lehrt sie doch, im Medium der Kunst besser zu sehen, dass die Natur die Augen aufschlagen kann und tatsächlich aufgeschlagen hat."

In einem Beitrag über den Tiermaler Franz MARC (3) habe ich erörtert, dass MARC ebenfalls eine EVOLUTIONISIERUNG der Malerei gewollt hat; er ist aber in der SCHIRN-Schau seltsamerweise nicht vertreten.

Im Jahr 1880 wurde Franz MARC in München geboren, dessen Vater der akademische Maler Wilhelm MARC gewesen ist. Der Münchner Maler Gabriel von MAX (1840-1915), der eine ethnographische und archäologische Sammlung zur Entwicklungsgeschichte des Menschen zusammengetragen hat (momentan präsentiert in der SCHIRN Kunsthalle), ist als „AFFENMALER“ bekannt geworden. Diesen „echten“ Künstler-Forscher interessierte besonders die Verwandtschaft von Affe und Mensch. Hatte MARC seine 4 geliebten Rehe im Garten, so lebte in Max’ Münchner Villa eine kleine Affenherde, die er immer wieder als kluge und edle Tiere fotografiert und gemalt hat. Ob MARC die „wissenschaftliche Sammlung“ und die Gemälde des G.v.M. (datiert „o. J.“ und um 1870, 1894, 1900, 1910, 1915) kannte, ist (mir) unbekannt. Vgl. auch den Katalog zur Ausstellung (1), S.188-211. Der Poet des Darwinismus G.v.M, dessen Werk Arnold BÖCKLIN bewundert hat, begegnete 1892 Ernst HAECKEL! Nur sporadisch tauchen AFFEN in der Bildwelt MARCs auf; so auch in einem Holzschnitt „Schöpfungsgeschichte I“ von 1914 („Affenfries“ (1911), „Das Äffchen“ (1912), „Spielende Affen“ (1912), „Der Mandrill“ (1913) und „Paradies“ (1912; Macke & Marc). Dass MARCs „AFFEN“ hier etwa „evolutionistisch“ zu interpretieren wären, kann sicherlich verneint werden. (So meine Meinung in (3).)

EXKURS: Zu Franz MARC und der Frage, ob seine Arbeiten und Theorien tatsächlich zu einer EVOLUTIONISIERUNG der KUNST geführt haben

MARCs Symbol-Zeichen sind als subjektive bildnerische Äquivalente für Natur-Formen, Natur-Raum und Natur-Licht zu sehen. (Vgl. auch mehr hierzu in (3).) In seiner „Malerei im 20. Jahrhundert“ (Bild-Enzyklopädie, München 1965) hat der durch die „documenta“-Ausstellungen bekannte Kunsthistoriker Werner HAFTMANN im Zusammenhang mit STIL-Umbrüchen und STIL-Namen in der Einleitung seines Buches von „geistigen EVOLUTIONEN“ gesprochen. Die moderne Malerei sei „MUTATION, Ausdruck eines radikalen Umbruchs im existentiellen Bezugssystem, im Wirklichkeitsgrund des modernen Menschen“. Hierbei fragt HAFTMANN, welche „Vorstellung von Wirklichkeit die moderne Naturerkenntnis, die Wissenschaft von der Wirklichkeit, vorzuschlagen hat“. Zur Malerei würden „irgendwelche Zusammenhänge“ bestehen, glaubt der Kunstwissenschaftler:
PLANCKs Quantentheorie und FREUDs Traumdeutung (von 1900) werden von HAFTMANN genannt und EINSTEINs Spezielle Relativitätstheorie (2005) sowie MINKOWSKIs mathematische Formulierung der raum-zeitlichen Dimension (1908). HAFTMANN zitiert Franz MARC: „Die kommende Kunst wird die Formwerdung unserer wissenschaftlichen Überzeugung sein“. Der Autor spricht vom „Heureka“ einer „Wahrheitsempfindung“ von Malern beim „Aufleuchten von Analogien und intuitiven Verknüpfungen auf einen gemeinsamen Wirklichkeitsgrund“. Und es sei angeblich „hoffnungslos“, ein „anschauliches Modell“ von der neuen mutierten Welt- und Wirklichkeits-Vorstellung zu bekommen. C.R. DARWIN und/oder E. HAECKEL sowie die EVOLUTIONs-Theorie erwähnt der Historiker an keiner Stelle (!), da es ja in der Tat bei den Vertretern der „alten“ modernen Malerei – ihrer jeweiligen „Avantgarde“ - eben keinerlei wirkliche „Analogien“ und „Verknüpfungen“ gibt; auch nicht „expressis verbis“ (mit ausdrücklichen Worten/Zitaten). Eine Ausnahme: der Künstler-Forscher Ernst HAECKEL; vgl. Arbeiten & Katalog der Schirn-DARWIN-Ausstellung. Wirkliche grundlegende EVOLUTIONISIERUNG der KUNST ist erste das Verdienst der neuen Kunst ARS EVOLUTORIA. (Siehe anerkanntes Beweismaterial in (5).)

Die impressionistische Freiluft-Malerei führte den sich „pantheistisch einfühlenden“ TIERE-MALER Franz MARC wegen der „Animalisierung der Kunst“ auch zu Vincent van GOGH und dem Pointillismus: siehe mehr in (3) & (4). Neue „Tier“-Bilder & „Pflanzen“-Bilder zur evolutionären „Animalisierung“ der zeitgenössischen KUNST entwickelte ARS EVOLUTORIA: Dass sich die Gestalt eines Pferdes (Haupt-Thema MARCs) als Form der objektiven Wirklichkeit zeichnerisch leicht aus allen möglichen, mehr oder weniger elementaren Punktmengen darstellen lässt, habe ich mit Beispielen visualisiert ((5): Hahn 1989 & 1998 Abb. 217, Kap. 8.2.). Die Frage der NATURA NATURANS (Proportionsschlüssel) in der natura naturata wurde auf der Basis der neuen evolutionären Bifurkations-Geometrie von mir diskutiert. Linie. Fläche und Körper leiten sich vom Punkt her (PLATO-LEONARDO-KANDINSKY; vgl. (6)): Linie als lineare Punktmenge, Kreis als Ebenen-Punktmenge etc.. Immer schon vom Punkt (der „Urzelle“) asymmetrisations- & symmetrisatations-gesetzlich abgeleite potentielle Punktmengen machen die KUNST-Wirklichkeiten & und KUNST/FARBE-Möglichkeiten eines ars-evolutoria-SCIENCE-ART-Geschehnis-Ganzen aus: früher auch „Evolutionismus“, „Symmetrismus“ bezeichnet - im Sinne einer EVOLUTIONISIERUNG der bildenden Kunst.

Erst in Kommentaren zu (3) in ZEIT ONLINE habe ich darlegen können, dass Franz MARC tatsächlich mit Gedanken zu einer EVOLUTIONISIERUNG der Kunst gespielt hat: Kommentare 2 ebenda: „C.R. DARWIN & Franz MARCs Kunst“, 3 „Kunst & Natur - Bilderwelten & ‚mächtige Gesetze’ (MARC)“, 9 „MARC & DARWIN – Der Mensch als ‚Übergangsprodukt’“ sowie 11 „Was hat Franz MARC über PFERDE-EVOLUTION gewusst?“ In Kommentar „9“ führe ich u.a. aus: Franz MARCs Bildfindungen würden auf einer „intensiven Auseinandersetzung mit erkenntnistheoretischen und naturwissenschaftlichen Diskussionen seiner Zeit“ basieren. So sieht es Barbara ESCHENBURG in dem Essay „Man hängt nicht mehr am Naturbilde“. Das Stilmittel „Aphorismus“ nutzend („Gedankensplitter“) schreibt MARC über die „exakte Naturwissenschaft“, dass sie „das entscheidende Mittel“ sei, „jedem sentimentalen oder materialistischen Naturalismus den Todesstoß zu geben“. In den Forschungen von Charles DARWIN liege „eine der Voraussetzungen von Marcs ‚Weltanschaung’“, schreibt die Autorin.

ESCHENBURG zitiert den Tier-Maler: „Die Welt hat viele Schichten. Der Mensch ist in der weiten Natur ebenso ein Übergangsprodukt wie das Tier od. die Pflanze.“ (Brief aus dem Feld an seine Frau.) DARWIN habe MARC mit dem ENTWICKLUNGs-Gedanken das Argument für „die Einheit aller Lebensformen in Raum und Zeit“ geliefert. Von der Einheit des Lebens sei auch das Anorganische nicht ausgeschlossen. Es sei für MARC „nichts anderes als Geist und Psyche“, so sieht es die Wissenschaftlerin. Sie zitiert hierzu MARCs Aphorismus 47 zur Welt-„Durchschauung“: „Wir blicken durch die Materie und der Tag wird nicht ferne sein, an dem wir durch ihre Schwingungsmasse hindurchgreifen werden wie durch Luft.“ Ihre „EVOLUTIONISTISCHe Lesart“ (Hervorh. - W.H.) findet die Kunstwissenschaftlerin auch bestätigt durch das Bild „Die ersten Tiere“ von 1913 – mit Wildpferden, die „aus abstrakten runden und eckigen Formen hervordringen“.

Barbara ESCHENBURG hat in ihrem Aufsatz „Das Tier in Franz Marcs Weltanschauung und in seinen Bildern“ (7) in Abb. 6 (S. 65) das Werk „Die ersten Tiere“ (Öl auf Leinwand, zerstört) in Schwarz-Weiß-Fotografie publiziert (Größe des Fotos: leider nur 4 cm x 6 cm). Das Bild zeigt stark abstrahierte Agaven-ähnlichen Pflanzen im Vordergrund, zwei kleine „urpferd-eohippus-artige“ Pferdchen inmitten eines diagonal verlaufenden „Lichtstrahls“, der sich scheinwerferartig von hinten-links-oben nach vorne-rechts-unten in der Bildebene ausbreitet. Was die Anspielung MARCs auf Pferde-EVOLUTION beweist, ist die Tatsache, dass das vordere Urpferdchen auf dem Rücken ein lurchartiges Wesen trägt, dessen rechtes Vorderbein deutlich konturiert in einem hellen „Gebärmutter“-Bereich zu sehen ist (!). Rechts unten im Motiv ist ein fabeltierartiger Kopf schemenhaft mit geöffnetem Maul assoziierber festzustellen. „Fabeltiere“ malte MARC nicht selten. Vgl. Abb. 187: „Fabeltier (Grauer Elefant)“ von 1912 und „Sitzendes Fabeltier (1913, Abb. 197 sowie Nr. 203 u. 222) in (7). Googelt man „Die ersten Tiere“ kommt man auf ein Farbbild, das unter dem gleichen Titel von MARC 1913 gemalt wurde: Größe 39 x 46,5 cm, Tempera, mit 2 großen Köpfen (hellviolettem „Esel/Pferde-Kopf“, hellblauem großohrigem „Hunde-Pferde-Kopf“; Marcs „Rossi“?) und dem Pferdchen-Paar in analoger Haltung; ohne dominierenden Lichtstrahl und Lurch-Wesen. Siehe im WEB:
http://www.reproarte.com/Kunstwerke/Franz_Marc/Die...

Merkwürdig, dass ESCHENBURG keine derartige Interpretation des „Erste-Tiere“-Werkes mit Mond-Sichel und breitem Lichtstrahl liefert. Das Bild (ehemals New York, Neue Galerie) wurde vermutlich als kulturbolschewistisches Werk von Nazis zerstört; vgl. Uwe FLECKNER: „Angriff auf die Avantgarde“, S. 319. Außerhalb des Strahls zwei große Pferde-Köpfe mit Blickrichtung Strahl mit den beiden „Ur-Pferdchen“. Das zerstörte Bild von 1913 trage einen „seltsamen Titel“, seltsam insofern, als es „vor allem die entwicklungsgeschichtlich späten Pferde, oder eher Wildpferde, zeigte“, interpretiert ESCHENBURG das Bild (unzulänglich fehlerhaft). Mit den ersten Tieren „können nur die Säugetiere gemeint sein“, so die Autorin, „die nach Auslöschung der Saurier in Folge der Eiszeit plötzlich die Herrschaft antraten, während es sie vorher so gut wie nicht gab“. MARC gehe es mit den Pferden um Tiere (Unpaarhufer), die dem Menschen evolutionär „besonders nahe stehen“ würden, mutmaßt die Kunsthistorikerin (S. 65) – auf „BREHMs Tierleben“ und „BÖLSCHEs „Entwicklungsgeschichte der Natur“ hinweisend. BÖLSCHE hat über die Agaven-Evolution berichtet. ESCHENBURG fragt sich, ob Pferd und Agave „ursprünglich in derselben Welt entstanden“ sind; Pferde seien doch in „sehr viel kleinerer Gestalt“ am „Beginn des Tertiär in Amerika“ entstanden, danach verbreiteten sie sich über den eurasischen Kontinent. (S. 64 f.)

Mit dem Bild „Tierschicksale“ von 1913 (als „die letzten Tiere“) vergleicht die Autorin das Werk „Die ersten Tiere“. Das Denken und Malen MARCs scheint im Schlüsselbild „erste Tiere“ eher durch Intuition und „Instinkt“ (NIETZSCHE) bestimmt worden zu sein; weniger an Wissenschaft und Vernunft (DARWINs Transmutations-Denken) orientiert. Was hat sich wohl MARC wirklich dabei gedacht, als er (ebenfalls 1913) „Der Mandrill“ (einen schönen Affen von heute) malte; Bildtypus mit dichten eckig-kristallinen und runden Formen!? Auch hier durchzieht ein aus der Ferne kommender blauer Strahl das Bild: analog dem „Erste-Tiere“-Werk mit Mandrill im Zentrum (vgl. S. 61 Abb. 1 a.a.O.). ESCHENBURG sieht hier Syntax & Semantik so: das Tier sei dargestellt „als organische Verwirklichung der anorganischen Umgebung“ und „Übergang vom Leblosen zum Lebendigen“. (S. 62.)

Dass MARC mit seinen ins Abstrakte weisenden Formen eine EVOLUTION seiner künstlerischen Entwicklung anvisierte, belegen auch neben „Aphorismen“ (von 1914/15) viele Motive aus dem „Skizzenbuch aus dem Felde“: Sie kreisen um das Thema Schöpfung um Entstehung und Zusammenprall der Kräfte. Oft betonte MARC schon im Titel nachdrücklich den Zusammenhang zwischen dem prozessualen Charakter seines Arbeitens und dem Vorgang der Schöpfung – etwa im Titel „Arsenal für eine Schöpfung“ oder „Pflanzliches Leben im Werden“. Im Katalog (7) ist zu lesen, dass diese Zeichnungen auch MARCs lebhaftes Interesse an den modernen Naturwissenschaften spiegeln: 1915 empfahl er seiner Frau Maria die Lektüre von Jean Henri FABRE und Wilhelm BÖLSCHE: „Ich kann mir gar nichts Anregenderes u. Befriedigenderes als Zeitvertreib u. Bildung denken, als das Forschen dieser Naturwissenschaftler: Entstehung u. Ahnenfolge der Pflanzen u. Tiere, die geologischen Zeitalter (…).“ (Ebenda S. 288 und Skizzenblätter a.a.O.)

Man muss das Schlüsselbild „Die ersten Tiere“ und meine Interpretation in Verbindung bringen mit Bildern, die MARC für die geplante Bücher der Schöpfungsgeschichte“ (eine illustrierte Bibelausgabe; vgl. (3)) anfertigte: Farbholzschnitt „Geburt der Pferde“ (1913), „Geburt der Wölfe“, „Schöpfungsgeschichte I und II“. Pferde sind im Bild „Geburt der Pferde“ ((7) a.a.O. S. 40, Abb. 33) von Sonnenlicht-Strahlen beschienen, als Lichtstrahl-„Ergebnis“ dargestellt: Wir scheinen zu gewahren, wie aus den Strahlen des Lichtes sich die Körperlichkeit webt, wie (…) sich die besonderen Formen bilden“ – „die Form des Urpferdes“ (so Lothar SCHREYER 1928; zit. nach (7) a.a.O.).

Das Formengut des Kubismus und italienischen Futurismus habe MARC „mit verblüffender Folgerichtigkeit umzuwandeln gewusst“ (so Annegret HOBERG): MARC verzahnte „Tier und Umgebung, organische und anorganische Elemente durch kubisch verkantete, später kristallin gesplitterte und aufgefächerte farbige Formen zu einer neuen Einheit“. (S. 40/41.) Der Tiermaler erreichte eine EINHEIT von Kreatur und Natur sowie Natur und Kosmos durch den Versuch der „Gestaltung des ‚Prädikats’, des Wirkens und Seins des Lebendigen“, das MARC zufolge die Kubisten als „ungelöstes Problem“ hinterlassen hatten. Viel zitiert ist MARC mit den Worten „Die Welt-an-schauung der alten Welt wird zur Welt-durch-schauung der neuen Welt“ (ebenda S. 43 f.). MARC glaubte allerdings das neue BILD „ist ein Kosmos, der ganz anderen Gesetzen unterliegt als die Natur“; die Natur ist gesetzlos, weil unendlich, ein unendliches Neben- und Nacheinander“; die ‚Mittel’ der Natur, die mit Kunst nichts zu tun haben“ rät MARC „beiseite“ zu lassen. Von „ehernen Gesetze“ träumte der Maler, nach denen er gesucht hat (Brief an Maria 1911; a.a.O. S. 28 f.). Vgl. hingegen ARS EVOLUTORIA-Entdeckungen.

MARCs Interesse für „Exotismus“ (bestimmte Werke wurden von exotischen Motiven angeregt) ist mit dem Einfluss von DARWINs Evolutionstheorie auf die Entstehung der Museen für Völkerkunde in Verbindung gebracht worden. Zum Beispiel besuchte er in Berlin 1911 das Völkerkundemuseum. Derartige Museen haben ein „neues Interesse an der Erforschung der Ursprünge der Kunst“ nach sich gezogen. Dies erörtert Isabelle JANSEN in (7). („Die Sehnsucht nach einer ursprünglichen Welt“, S. 75 f.) MARCs Denken war hier „von einer zivilistionskritischen Auffassung der evolutionistischen Theorie bestimmt“ (S. 80). Kulturell Ursprüngliches diente dem Tiermaler als Inspirationsquelle. Sein Gemälde „Eselfries“ mit agavenartigen Gewächsen (1911; Franz Marc Museum) hat MARC nach einem ägyptischen Kunstwerk gestaltet (S. 82 Abb. 12). Anregungsquelle war auch die exotische Kunst Paul GAUGUINs, der zutiefst bewundert wurde. Ein verlorenes Paradies (HARMONIE zwischen Natur und ihren Geschöpfen) und das „Geistige“ wollten beide Maler bildhaft vor Augen führen: mit Tahitianerinnen (GAUGIN) & Tieren (MARC): MYTHOS des guten Wilden.

Anmerkung:
Eine Fortsetzung dieses Artikels folgt.

LITERATUR

(1) KORT, Pamela / HOLLEIN, Max (Hrsg. 2009) Katalog: „Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen“ (engl. Ausgabe: „Darwin. Art and the Search for Origins“). Mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten u. a. von Jane Goodall, Pamela Kort, Marsha Morton, Robert Richards und Julia Voss. Deutsche und englische Ausgabe, je ca. 352 Seiten, ca. 300 Abbildungen, Köln 2009.

(2) HAHN, Werner (2009): VERGESSEN im DARWIN-Jahr?: Ernst HAECKELs 175. Geburtstag & J.-B. LAMARCK - erster Begründer der EVOLUTIONSTHEORIE. In: ZEIT Online v. 16.02.09.

(3) HAHN, Werner (2009): ANIMALISIERUNG & EVOLUTIONISIERUNG der KUNST: Franz MARC – ein Großer des 20. Jahrhunderts. In: ZEIT Online v. 05.03.2009. (Mit Kommentaren auch von Werner Hahn.) (Siehe dazu auch im WEB von Werner Hahn - v. 06.03.09 - einen Beitrag mit 11 aufschlussreichen Bildern: "Franz MARC – ein ganz Großer des 20. Jahrhunderts. Über ANIMALISIERUNG & EVOLUTIONISIERUNG der KUNST"; unter http://www.myheimat.de/gladenbach/beitrag/79904/fr...)

(4) HAHN, Werner (2009): VERGESSEN im DARWIN-Jahr?: Ernst HAECKELs 175. Geburtstag & J.-B. LAMARCK - erster Begründer der EVOLUTIONSTHEORIE. In: ZEIT Online v. 16.02.09.

(5) HAHN, Werner (1989): Symmetrie als Entwicklungsprinzip in Natur und Kunst. Königstein. Gladenbach: Art & Science, 1995. HAHN, Werner (1998): Symmetry as a developmental principle in nature and art. Singapore. (Übersetzung des Originalwerkes von 1989, ergänzt durch ein 13. Kapitel – mit erweitertem Sach- und Personenregister sowie Literatur- und Abbildungsverzeichnis.) HAHN, Werner / WEIBEL, Peter (Hrsg.) (1996): Evolutionäre Symmetrietheorie: Selbstorganisation und dynamische Systeme. Stuttgart. (Anthologie mit Beiträgen von 19 Autoren; mit Essay von Werner Hahn: „Evolutionäre Symmetrietheorie und Universale Evolutionstheorie. Evolution durch Symmetrie und Asymmetrie“. )

(6) HAHN, Werner (2009): Wassily KANDINSKY: Transformationen abstrakt - absolut – konkret – biomorph/figurativ. In: ZEIT Online v. 28.02.2009.

(7) HOBERG, Annegret / FRIEDEL, Helmut (Hrsg. 2005): Katalog „FRANZ MARC DIE RETROSPEKTIVE“. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, 2005/2006.

Bürgerreporter:in:

W. H. aus Gladenbach

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