Was Kinder zu sagen haben: Streifzug durch die KINDERPORTRÄT-Malerei - Albrecht DÜRER bis Philipp Otto RUNGE
Warum gerade jetzt über KINDER & MALEREI reden? Das liegt am WELT-KINDERTAG: Der steht unter dem Motto „Kinder haben was zu sagen!“ 20.9.11: Der Tag soll daran erinnern, dass Kinder spezielle Rechte haben.
Haben KINDER was zu sagen heutzutage? - Wie war das früher?
JA: „Kinder haben was zu sagen!“ – so lautet das diesjährige MOTTO des Deutschen Kinderhilfswerkes und UNICEF zum Weltkindertag am 20. September. Mit dem SLOGAN möchten die Kinderrechts-Organisationen das „Recht aller Kinder auf Beteiligung“ stärken.
FRAGE: Wie war das FRÜHER: Hatten KINDER was zu sagen … ??? … in der Bildenden KUNST zum Beispiel. MALEREI etc.
Googelt man „KINDERPORTRÄT“ sollte man meinen, KINDER-Porträt-Bilder würden widergespiegelt, die von renommierten Malern stammen: http://www.google.de/search?q=Kinderportr%C3%A4t&hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla:de:official&biw=1280&bih=637&prmd=imvns&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=-Bd3Tv6EBNPE8QOKtp3QBA&sqi=2&ved=0CFoQsAQ.
NEIN: Unter den Bildern der Google-Sammlung findet sich lediglich – als einziges Bild (!) – ein Albrecht DÜRER Bild (eine A.D.-Zeichnung): Von DÜRER selbst gezeichnet, als er 13 Jahre alt war - eine Silberstift-Zeichnung; Bleistifte gab es damals noch nicht...
In Nürnberg - an der Wende vom Mittelalter zur RENAISSANCE - entstand sein SELBST-Bildnis - siehe a&s-Galerie dazu. Im Bereich der Malerei setzte A.D. neue Maßstäbe. 1484, als Albrecht dieses Selbstbildnis gezeichnet hat (in einer keine Korrekturen zulassenden Technik!), arbeitete er noch in der Goldschmiedewerkstatt seines Vaters. Erst 2 Jahre später begann er den Beruf Maler und Grafiker zu erlernen.
Später fertigte A.D. Selbstbildnisse in der Technik der Ölmalerei an, die damals sehr neuartig war. Malerei mit extremem Realismus - eine neue Entwicklung, die von Albrecht Dürer meisterhaft angewandt wurde. DÜRER schuf zumeist Einzel-Porträts, mehrere Selbst-Porträts und seltener Doppel-Bildnisse (Adam und Eva, Pfeifer und Trommler, Liebespaar) und auch Gruppenporträts (Heilige Familie, Die Apostel).
Die Absicht eines Porträts ist es, neben der Darstellung körperlicher Ähnlichkeit auch das WESEN, bzw. die Persönlichkeit der porträtierten Person zum Ausdruck zu bringen. Daher zeigt das Porträt wegen der Bedeutung der menschlichen Mimik in der Regel das GESICHT der Person.
Je nach der Größe des Bildausschnittes unterscheidet man in der MALEREI des PORTRÄTs Kopfstück, Brustbild, Hüftbild (halbe Figur), Halbfigur, Kniestück (Porträt vom Kopf bis zum Knie), Ganzfigur, nach der Haltung oder Wendung der Figur, besonders des Kopfes, bezeichnet man das Bildnis als von vorn (en face) oder von der Seite genommen (en profil), als Halb- oder Dreiviertelprofil. Eine Übersicht darüber gibt der wikipedia-Artikel Porträt. In: wikipedia.org/wiki/Portr%C3%A4t.
Um 1500 erlebte die Porträtkunst in DEUTSCHLAND einen Höhepunkt:
Die HypoKunsthalle zeigt momentan in einer großen Schau die Glanzstücke dieser Zeit. http://www.hypo-kunsthalle.de/.
Zur EVOLUTION der BILDNIS-„Kunst“ veröffentlichte ich bereits einen DOPPEL-Artikel:
PORTRAIT-Kunst: EVOLUTION der BILDNIS-„Kunst“ – GESICHTER von der der Steinzeit/Eiszeit über die RENAISSANCE zur MODERNE (Teil 1)
IN: www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/55550/portrait-kunst-evolution-der-bildnis-kunst-gesichter-von-der-der-steinzeiteiszeit-ueber-die-renaissance-zur-moderne-teil-1/ (mit 26 a&s-p-Bildern).
EVOLUTION BILDNIS-„Kunst“ – GESICHTER in Steinzeit/Eiszeit, Renaissance & MODERNE. NEU: ENR = Evolutionäre Neue Renaissance/Romantik. EVOLUTION TIER-PORTRÄT-Kunst (2. Teil)
IN: www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/55649/evolution-bildnis-kunst-gesichter-in-steinzeiteiszeit-renaissance-and-moderne-neu-enr-evolutionaere-neue-renaissanceromantik-evolution-tier-p/ (mit 40 a&s-p-Bildern).
Die HypoKunsthalle München zeigt nach der Philipp Otto RUNGE Schau – ich berichtete in der Myheimat darüber - zur Zeit in ihrer aktuellen Ausstellung "Dürer – Cranach – Holbein. Das deutsche Porträt um 1500":
Die HypoKunsthalle versammelt - bis 15.Januar 2012 - mit 170 Kunstwerken zum einen die weltweit bekanntesten deutschen Alten Meister am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance. Zum anderen zeigt sie die Königsdisziplin der Malerei: das PORTRÄT, das um 1500 in Europa besonders populär wurde.
Im Mittelpunkt der Münchner Schau stehen jene drei, die mit ihrer Arbeit STILprägend für ihre Zeit wurden:
Albrecht Dürer (1471–1528),
Lucas Cranach der Ältere (1472–1553)
Hans Holbein der Jüngere (1497/98–1543).
Drei unterschiedliche Kunstanschauungen jener Zeit:
DÜRER stand für das Bedeutende und Erhabene, das sich in seinem berühmten Selbstporträt mit dem langen Haar manifestiert (siehe a&s-p-Bild), CRANACH bevorzugte die Einfachheit und Schlichtheit im Ausdruck. Und HOLBEIN trieb die naturgetreue Abbildung so weit, dass seine Figuren fast greifbar erscheinen.
Die Münchner Schau - parallel zu Berlin (Bode Museum italiensche Renaissance - siehe Essays von mir) - ist die erste umfassende Publikums-Ausstellung aus deutscher Sicht zu diesem Thema, das in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit von den holländischen und italienischen Alten Meistern beherrscht wurde.
Das PORTRÄT markierte eine Zäsur
Während im Mittelalter die Kunst sich weitgehend auf Religiöses, Biblisches und Mythologisches beschränkte, rückte an der Schwelle zur Neuzeit der MENSCH ins Zentrum: Jetzt ließen sich wohlhabende Bürger im Sonntagsstaat mit Hut oder Haube porträtieren, was lange nur Fürsten zum Zwecke der Repräsentation vorbehalten gewesen war. In der deutschen Porträtkunst wurden erstmals anonyme Personengruppen als bildwürdig erachtet, die bis dahin nie als Individuen wahrgenommen worden waren: Vertreter des niederen Klerus, Mönche, Knechte, Bauern und Handwerker. Manchmal war der Blick des Künstlers dabei ironisch - ein wenig herablassend: Meist wurden die Vertreter niederer Sozialgruppen aber durchaus mit Respekt gemalt oder gezeichnet.
Die HypoKunsthalle schreibt auf der HP:
(...) "Allzu sehr haben die Schatten altniederländischer oder italienischer Bildnisse den Blick auf die deutschen Beiträge zum Thema getrübt. Zwar dürfen sich die Niederländer rühmen, mit ihrem Naturalismus die Unverwechselbarkeit in der Abbildung des Menschen erst ermöglicht zu haben, und die Meister Italiens, dass sie durch die Spannung zwischen Idealisierung und Ähnlichkeit den Schönheitsbegriff einer ganzen Epoche, der Renaissance, prägten. Doch gelangte gerade auch die deutsche Bildnismalerei – an der Spitze ihre größten Exponenten: Dürer, Cranach d. Ä. und Holbein d. J. – zu hoch bedeutenden und sehr eigenständigen künstlerischen Leistungen, deren besondere Stärke in der authentischen Erfassung einer Person, gepaart mit der subtilen psychologischen Durchdringung der Dargestellten liegt." (...)
Der Nürnberger Meister A.D. - auf seiner Venedigreise 1494 entkam er erstmals der mittelalterlichen Enge seiner Heimatstadt -, fertigte auch die erste Darstellung eines Mohren im Profil.
Maler avancierten zu Entdeckern des Menschen: ihre Abbilder näherten sich immer mehr der Wirklichkeit an. Der Porträtierte sollte ungeschönt - ohne geglättete Schönheit dargestellt werden. Das führte in vielen Fällen zu schonungsloser Nähe, die jedes Detail im Gesicht zeigte. Den Künstlern war nicht nur die Authentizität wichtig, es ging ihnen auch darum, mit psychologischer Einfühlung dem Charakter der Dargestellten nahe zu kommen, sie in ihrer Grundstimmung zu erfassen. Dummheit und Weisheit, Feinsinn oder Brutalität, wie auf dem Porträt eines Kindsmörders, kann man als Betrachter spüren.
Jeder Maler hielt sich an drei Kriterien: Ähnlichkeit, Lebendigkeit und Wesensnähe.
Da jedes Porträt auch als Erinnerung diente, war das Wieder-Erkennen besonders bedeutsam. Schließlich sollte das Aussehen des Menschen über den Tod hinaus bewahrt werden. DÜRERs Wahrheits-Wollen offenbart sich in seinen Porträts mit subtiler Differenzierung des physiognomischen Ausdrucks.
KINDER in einem BILD festzuhalten … eine Seltenheit
LEONARDO malte für den Hochaltar in Mailand die schöne, illusionistisch in die Tiefe der Grotte führende, perspektivische „Madonna in der Felsgrotte“ mit zwei Kindern; zur Felsgrottenadonna (Vergine delle Rocce) siehe a&s-p-Bild mit heiliger „pyramidaler“ Jungfrau (Maria - links) und ein Engel (rechts), der mit dem Finger gezielt auf das Jesuskind deutet und dabei den heiligen Johannes den Täufer als KIND am Arm zeigt. Im Louvre befindet sich auch das Gemälde der Hl. Anna (um 1509-1510) mit 4 Figuren: Anna, Maria, Jesuskind und Schaf. Pyramidenförmig auch die Komposition der Hl. Anna (wissend blickend), mit Maria und 2 Kindern. Zwei Kinder zeigte auch das verschollene LEONARDO-Gemälde „Leda mit dem Schwan“.
DÜRERs 1484er-Selbstbildnis als 13-jähriger - ein sensationeller Akt der EMANZIPATION
Malerisches Können, seelische Durchdringung und geistige Tiefe offenbarte schon DÜRERs 1484er-Selbstbildnis als 13-jähriger (Albertina Museum Wien); „Bildnis vom Vater“ auch von 1484.
Kunst des Übergangs von der späten Gotik zur RENAISSANCE: Im Jahr 1500 malte A.D. das berühmte Frontal-Symmetrie-Bild „Selbstbildnis mit Pelzrock“ (alte Pinakothek München). 1488 das bekannte „Selbstbildnis mit Landschaft“ (Prado Madrid).
A.D. glänzte als Künstlerforscher später nicht nur als Maler und Zeichner: mit mathematischen und geometrischen Untersuchungen erarbeitete DÜRER wichtige theoretische Grundlagen der Kunst: Es war quasi die GEBURTSSTUNDE DER MODERNE; vgl. Symmetriewerk-Kapitel in (1). Um seine Ideen auf Papier und Leinwand bringen zu könne, strebte DÜRER ständig nach Perfektion – verbunden mit eine intensiven Such nach Regeln und mathematisch-geometrischen Gesetzlichkeiten. 1925 publizierte er die UNDERWEYSUNG: „Underweysung der Messung, mit dem Zirckel und Richtscheyt, in Linien, Ebenen unnd gantzen corporen“ (Geometrielehrbuch für Praktiker).
„Offizielle“ Porträt-Malerei OHNE KINDER-Bildnisse
Viele der Bildnisse die uns aus der Vergangenheit überliefert sind, gehören der „offiziellen“ Porträt-Malerei an: Feldherren, Herrscher, Kaiserinnen und Päpste wurden oft in IDEALisierender Weise dargestellt – weniger naturgertreu abbildend; als SYMBOL quasi ihrer Macht, Religiosität und sozialen Rolle. Ich betonte: „LUXUS-Malerei für REICHEn-Macht-und-Größe, die sich nur Adel, Kirche oder Großbürgertum als Auftraggeber leisten konnten.“
Die drei „Stars“ der Hypo-Kunsthalle-München-Schau Albrecht Dürer (Nürnberg, 1471 bis 1528), Lucas Cranach d. Ä. (Kronach, 1472 bis 1553) und Hans Holbein d. J. (Augsburg, 1497/98 bis 1543) stammen aus heutigen bayerischen Landen. Die frühromantische Porträtmalerei (P.O. RUNGE - norddeutsch) und fortschrittliche expressionistische Bildnis-Malerei gelte es HEUTE in einer ENR (Evolutions-Romantik) weiter zu entwickeln; siehe Manifeste-Initiative IKVENR ..., betonte ich. Mal googeln bitte.
P.O. RUNGE kann als „typisch deutsch“ in der Nachfolge DÜRERs gesehen werden: er hatte „den Mut zur Wahrhaftigkeit“: Weniger wie bei den italienischen Porträt-Malern, die doch mehr stilisierten, idealisierten und uns damit auf Distanz hielten, ging es DÜRER und Co um objekt-genaues erfassen, das A.D. auch in Pflanzenstudien und seinen Tierbildern meisterhaft demonstriert hat. Vielfach - ich berichtete.
Wissenschaftliche Treue und Sorgfalt mit Erfindungsgabe sowie unverkennbare Freude zeichnen auch die Bild-Werke des P.O. RUNGE aus. DÜRERs Werke beweisen, dass sie die RATIO widerspiegeln und überwiegend mit dem VERSTAND geschaffen wurden! A.D. wurde zum berühmtesten deutschen Maler seiner Zeit.
Das KIND bei DÜRER – als Jesuskind
Neben dem JESUS-Kind, das DÜRER mehrfach porträtierte (Heilige Familie) – „Madonna mit Kind“ (1496-1499) - um 1519 (mit heilige Jungfrau und Anne) – Maria stillend (Graphik 1519) – Madonna mit Nelke (1516) – Maria und Jesuskind mit Birne (1512 und 1526). A.D. hat 1506 einmal „normale“ KINDER seitlich in „Jungfrau mit Girlitz“ dargestellt; plus 2 geflügelte Engel und mit dem Jesuskind zentral im Bild. Im gleichen Jahr entstand „Der 12jährige Jesus unter den Schriftgelehrten“. Um 1495 zeichnete Dürer das Jesuskind SOLO (auf der Erde sitzend …).
Dass sich DÜRER wie CHRISTUS dargestellt hat, zeigt das „Selbstbildnis mit Pelzrock“ von 1500: Diese Ähnlichkeit war beabsichtigt - symbolisch gemeint. A.D. mit Pelzrock teilte mit: Dürer sieht sich als Schöpfer von künstlerischen Werken, gleichsam wie Dichter und Philosophen-Forscher. Rechts von Dürers Kopf steht geschrieben: "So malte ich, Albrecht Dürer aus Nürnberg, mich selbst mit unvergänglichen Farben im Alter von 28 Jahren." A.D.-SYMBOL-Bild eines neuen Selbstbewusstseins – für ein neu-innovatives KUNST-Wollen, ein neues Wissen (Renaissance). Künstler und Gelehrte begannen die Philosophie, Kunst und Literatur der Antike wiederzuentdecken. Diese Rückbesinnung auf die Antike wird Renaissance genannt.
Um gute SELBST-Porträts zu malen, mussten die Maler/Zeichner sich am besten mit dem SPIEGEL beobachten. Im Laufe seines Lebens hat Rembrandt sich mindestens dreißigmal auf der Leinwand verewigt. Mehr als A.D..
KIND im Porträt als "kleiner Erwachsener"
Der Maler und Zeitgenosse Dürers Frans HALS (um 1581 bis 1666), niederländischer Künstler, hat „Catharina Hooft mit ihrer Amme“ um 1619/20 dargestellt: Catharina Hooft zusammen mit ihrer Amme (also ihrem Kindermädchen) zu malen - auf dem Bild ist Catharina erst zwei Jahre alt -, ist ein Fortschritt in der Porträt-Malerei. Wenn auch Frans Hals die Catharina als "kleine Erwachsene" dargestellt hat.
Die HypoKunsthalle zeigt das Gemälde: Jakob Seisenegger
Erzherzogin Eleonore, Tochter Kaiser Ferdinands I., um 1536
Lindenholz, 34 x 27 cm - Kunsthistorisches Museum, Wien. Siehe a&s-p-Galerie.
Das KIND bei P.O. RUNGE im PORTRÄT – POR als „Post/NEO-Renaissance-Mensch“
In einem ESSAY schrieb ich zu PORs PORTRÄT-Kunst: Porträts in Münchens Retrospektive GANZ GROß!
RUNGE hat in seinem kurzen Leben von 33 Jahren zahlreiche Porträts von sich und von ihm nahe stehenden Freunde und Familienmitgliedern gemalt; mit tiefen Einblicke in seine Biografie. Die Vielzahl von Skizzen und Zeichnungen, mit denen der Künstler Themen in München & Hamburg in der Schau umkreist, erweist sich als Schlüssel zu einem komplexen Bild- und Kunstverständnis. Viele Selbstbildnisse stellen ein eindringliches Zeugnis seiner intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Person dar, was ihm Ausgangspunkt für ein Verständnis von Transzendenz und Kosmos ist.
Mit KINDER-Darstellungen, insbesondere Gemälden wie »Die kleine Perthes« (1805) oder die »Die Hülsenbeckschen Kinder« (1805) begründet Runge einen NEUen Blick auf das heranwachsende Individuum in der Kunst.
Überrascht war ich beim München-Besuch von der enormen Größe mancher Familienmitglieder-Gemälden! Siehe Blick in einen Ausstellungsraum.
„Die Hülsenbeckschen Kinder“ ist eines der bekanntesten Gemälde des deutschen Malers Philipp Otto Runge; es wird in der Kunsthalle Hamburg ausgestellt. Von 1805-1810, Öl auf Leinwand, 131 cm × 141 cm. Siehe a&s-p-Galerie & (2) - Link.
Das Bild zeigt drei spielende Kinder vor einem Zaun, hinter dem Pflanzen wuchern. Links ragen sechs Sonnenblumen-Blüten in das Bild, rechts ist ein Sommerhaus zu erkennen. Zwischen den größeren Kindern und der Blume öffnet sich der Blick in eine Landschaft. Dargestellt sind die Kinder von Friedrich August Hülsenbeck, einem Kompagnon von Daniel Runge, dem Bruder des Malers, der POR unterstützt hat. Im Wagen sitzt der dreijährige Friedrich, der von seinem fünfjährigen Bruder August und seiner sechsjährigen Schwester Maria gezogen wird.
Wieland SCHMIED schreibt: „Der Jüngste umklammert blindlings ein Blatt der Sonnenblume, während er seine Augen staunend aufreißt. Der Ältere hat den Griff der Deichsel umfasst und schwingt energisch seine Peitsche, während das Mädchen sich bereits verantwortlich zeigt und mit seiner rechten Hand dem Kleinen ein Zeichen gibt. Drei Entwicklungsstadien der Kindheit werden hier buchstäblich vor Augen geführt.“ (2)
Vor allem in der Menschen-Darstellung sei P.O. RUNGE in seinen letzten Lebensjahren eine künstlerisch überzeugende Form gelungen, konstatierte in DIE ZEIT Florian Illies - 9.12.2010 - DIE ZEIT, 2.12.2010 Nr. 49 : „Das liegt an dem Bildungsgut“, mit dem POR sie überfrachtet habe. Die Hamburger Ausstellung zeige das mustergültig an den Gemälden „Lehrstunde der Nachtigall“:
ZITAT: „Anhand zahlreicher Vorstudien und Zeichnungen wird die Werkgenese nachvollziehbar. Bei der Lehrstunde etwa nähert sich Runge dem Thema über ein Klopstock-Gedicht (es ist im Bild als Text integriert – W.Hahn), über das beliebte zeitgenössische Gesellschaftsspiel von Amor und Psyche, er verwendet die Rosen- und die Lilien-Motivik der Freimaurer, verarbeitet die Arabesken der pompejanischen Wandmalerei und gibt der Göttin auf dem Bild am Ende noch die Züge seiner Angebeteten Pauline Bassenge. Das Ganze teilt er streng symmetrisch auf, nach männlich–weiblich und heidnisch–christlich.“ (Siehe a&s-p-Bild.)
Doch Malerei, die einen "Beipackzettel" braucht, habe „erhebliche Risiken und Nebenwirkungen“, bemerkt F.I. dazu. Das war schon den Zeitgenossen zu komplex. Und es fehlte ihr an der Unmittelbarkeit – daran habe sich „bis heute nichts geändert“. Und doch bringe uns diese Ausstellung RUNGE so nah wie nie zuvor. Im Grunde vollende sie für diesen „besonderen und sonderbaren“ Künstler das, was Werner HOFMANN mit seinem legendären Zyklus „Kunst um 1800“ in Hamburg (Kunsthalle http://www.hamburger-kunsthalle.de/ ) einst begonnen hatte. Weil sie POR aus dem „Zweikampf mit Caspar David Friedrich“ befreit – und seine eigenen Qualitäten entschlüsselt und zur Sprache bringt.
F.I.: „Runge war zu aufgeregt von der Mission, eine neue Kunst, einen neuen Stil schaffen zu wollen, als dass er sich mit der Leinwand als Spielfeld zufrieden gegeben hätte. Die Ausstellung zeigt nicht nur die bekannten Scherenschnitte, die der oft bettlägerige und kränkliche Runge schon seit Kindertagen in seinem Bett mit der Schere fertigte (…)“ - an den kranken Henri Matisse denkt F.I., der liegend mit der Schere Meisterwerke der Kunst des 20. Jahrhunderts schuf.
RICHTIG: Für Runge jedenfalls scheint es, darin sehr modern, nicht nur darum zu gehen, „ein neues autonomes Kunstwerk zu schaffen, befreit von Zwängen der Auftraggeber und der Religion, sondern um eine Kunst, die Teil des Lebens ist: als Scherenschnitt, aber eben auch als Spielkarte (Runge ist der Erfinder der spiegelbildlich auftretenden Figuren) …“ Und: „Seine Farbenlehre nicht zu vergessen, die er parallel zu Goethe (mit dem er auch ansonsten ständig rang) entwickelte. Sicher nicht nur deswegen, sondern auch wegen seines das ganze Leben ergreifenden künstlerischen Anspruches hätte ihn Paul KLEE gern am Bauhaus gesehen.“ Denn, darauf wies der Kunsthallen-Direktor Hubertus GASSNER hin, seine Modernität erweise sich vor allem in seinem „extremen Problembewusstsein für die neue Rolle und die Erschaffung einer neuen, lebbaren Mythologie für die Kunst“.
Mittlerweile ist in der Kunsthalle Hamburg wieder der ALLTAG eingekehrt; nach der Schau in HAMBUEG und MÜNCHEN (HypoKunsthalle – ich berichtete). Die Jubiläumsausstellung schärfte den wichtigen Blick für das Botanische in PORs Werk: Seine Faszination für das Zyklische begeisterte sich an dem Wachsen, Blühen und Vergehen der Pflanzenwelt. Im RUNGE SAAL sehen wir HEUTE keine Scherenschnitte, Tageszeiten-Studien und andere Bilder mehr, die nur noch per KATALOG einsehbar sind. Siehe a&s-p-Bilder vom 17.9.11 - HKH-Besuch.
Nicht mehr zu sehen: „Pflanzen, die sich mit einer unglaublich vitalen Fleischigkeit aus dem Erdreich emporrecken, bei Runge wird die Norddeutsche Tiefebene zu einem Gewächshaus für Sukkulenten“ (ILLIES).
Zu sehen ist in der HKH natürlich weiterhin schön der „Große Morgen“ (neben dem "Kleinen Morgen") - Runges monumentalem Bild, das RUNGES Kunst am Höhepunk zeigt:
„Hier tanzen die Genien über Lichtlilien, dass man glaubt, etwas Zarteres und zugleich körperlich so Durchpulstes in der Kunst um 1800 kaum je gesehen zu haben.“ (F.I.)
Im a&s-Bild siehe auch den (in München NICHT gezeigten) „Kleinen Morgen“ mit Frau Ulrike RUNGE und Herrn Dr. Rolf SPECKNER - Mit-Herausgeber des Bandes "Kosmos Runge - Die Nachtseite der Dinge" (Herausg. Speckner, Rolf / Drewes, Angela) - mit Beiträgen der Autoren: Gaßner, Hubertus / Kon, G Alfred / Moritzen, Reinhart / Heppner, Joachim / Wortmann, Michael / Bockemühl, Almut / Mackensen, Ludolf von / Roder, Florian ... "Beiträge zu einem spirituellen Verständnis Philipp Otto Runges anlässlich seines 200. Todestages " (2011).
P.O.R: Verlorene TOTALITÄT des Seins und Weltganzen erfassen
Am 21.1.1810 schrieb Clemens BRENTANO an den „achtungswerthen“ P. O. RUNGE: an dessen Bestreben sehe er, „dass das Leben der Kunst wahrlich verloren ist, indem der Künstler sich umsehen muss in sich selbst, um das verlorene PARADIES aus seiner NOTWENDIGKEIT zu construieren“. RUNGE versuchte die verlorene TOTALITÄT des Seins und Weltganzen zu erfassen - stand am Rande der Religion und meinte es müsse eine neue Religion geschaffen werden, ein SINN-Universum quasi. Um keinen künstlich-artifiziellen Mythos ohne Glaubensgewissheit ging es POR, wie Hubertus GASSNER noch mutmaßte in einem Vorwort in "Nachtseite der Dinge" a.a.O..
SPEKULATION wollte POR in/mit seinem KOSMOS nicht vermitteln, indem er das SPIRITUELLE und das Körperklich-.Materielle als Einheit zusammenzudenken empfohlen hat. Weltfremde ESOTERIK wollte RUNGE nicht etablieren; siehe dazu meine Rezension in GZ: „Zu SYMMETRIE & Polarität, Perspektive und LICHT-Erkenntnis-Wollen in RUNGEs Werk (Heike Scheel & P.O.R.). In: www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/44287/zu-symmetrie-and-polaritaet-perspektive-und-licht-erkenntnis-wollen-in-runges-werk-heike-scheel-and-por/.
Aus „subjektivem Empfinden eine objektive Weltinterpretation zu konstruieren“ (SCHEEL) ist nicht zeitgemäß. PICASSO überzeuge heute nicht mehr „von der Wahrhaftigkeit seiner Lügen“: so in (1) – Kap. 11.8.2. S. 201. Auch sei OBJEKTIVe Raum/Zeit-Weltinterpretation in der „ENR“ (Evolutionären NEUen Romantik) ohne „denkende Künstler“ – für die „Geist nie ohne Materie, der geist nie ohne materie“ existiert (so auch der präevolluzerische GOETHE in seinem Entwicklungsdenken – Polarität-Steigerung-Metamorphose-PRINZIP) – nicht möglich, erklärte ich ebenda zur Dissertation. Siehe auch Arne von KRAFT: „Ist Symmetrie ein Entwicklungsprinzip“ – in „die Drei“, 67. Jg., Nr 10, 1997, S. 938-947 zu meinen EST-Büchern; vgl. auch meine HP www.art-and-science dazu.
Schöner AUSBLICK/Rückblick mit Philipp Otto RUNGE
Mir ist der Mensch wie eine schöne Blume,
die, wenn sie aufgeblüht in ihrer vollen Kraft steht,
und die Sonne bescheint sie,
nimmt sie den fruchtbaren Blüthenstaub auf,
der in den Lüften zieht, und bringt dann Früchte;
so ist es mit dem Menschen,
dem zu der kräftigen vollen Zeit seines
Lebens sich der Sinn erschließt,
der dann das himmlische Licht ergreift
und aus allem Lebendigen um sich es zu verstehen sucht.
In solchem Menschen vergeht das Leben nicht
und die innere Lust und Jugend bleibt ihm ewiglich.
Philipp Otto Runge, 1802
LITERATUR
(1) HAHN, Werner (1989): Symmetrie als Entwicklungsprinzip in Natur und Kunst. Königstein. Gladenbach: Art & Science, 1995. HAHN, Werner (1998): Symmetry as a developmental principle in nature and art. Singapore. (Übersetzung des Originalwerkes von 1989, ergänzt durch ein 13. Kapitel – mit erweitertem Sach- und Personenregister sowie Literatur- und Abbildungsverzeichnis.) Seit 2011 als eBOOK: ebooks.worldscinet.com/ISBN/9789812817440/t...
HAHN, Werner / WEIBEL, Peter (Hrsg.) (1996): Evolutionäre Symmetrietheorie: Selbstorganisation und dynamische Systeme. Stuttgart. (Anthologie mit Beiträgen von 19 Autoren.) (Kurz: EST.) Hierzu auch ein PDF-Dokument: Klicken auf den Button/Link PDF EST! ... Homepage werner hahn HP: www.wernerhahn-gladenbach.homepage.t-online...
www.art-and-science.de/PDF/EvolutionaereSym...
(2) SCHMIED, Wieland: Harenberg Museum der Malerei. 525 Meisterwerke aus sieben Jahrhunderten. Dortmund: Harenberg Lexikon Verlag, 1999.
Zu PORs Bild siehe auch Thomas SELLO: Kinder müssen wir werden, wenn wir das Beste erreichen wollen. In: Lichtwark-Heft Nr. 75. 2010. Auch Jörg TRAEGER: Philipp Otto Runge, Die Hülsenbeckschen Kinder. Frankfurt am Main: Fischer, 1987.
SIEHE auch BILD: "Hülsenbeckschen Kinder" POR - mit
Ururur-Enkel von P.O. RUNGE - Dr. Paul RUNGE - vor POR-Gemälde. ars-evolutoria-mem-malerei werner hahn 1.7.11.
Bild 18 aus Beitrag: Pionier der EVOLUTIONÄREN ROMANTIK (Teil 1): P. O. RUNGEs KUNST-Religion in Münchens Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung
(http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/ururur-enkel-von-po-runge-dr-paul-runge-vor-por-gemaelde-ars-evolutoria-mem-malerei-werner-hahn-1711-m1725759,2076889.html)
EBENDA werner hahn: An DÜRER denkend:
(…)
GOETHE zielte auf ERKENNTNIS, RUNGEs Anschauung („nicht weniger um Genauigkeit der Beobachtung bemüht“) suche die ERLÖSUNG, ist Ch.L.s Fazit: „So strebt RUNGE MIT GOETHE über Goethe hinaus.“ POR sei ein „denkender Künstler“ gewesen: mit theoretischem Fundament, Farbenlehre, botanischen Interessen und philosophischen … (Anm.49 ebd.).
NEULAND betritt RUNGEs visionärer SYMMETRIENbestimmter Kunstentwurf
Anlässlich seines 200. Todesjahres widmen die Kunsthalle Hamburg und Münchner Hpo-Bank-Kunsthalle Philipp Otto RUNGE (1777-1810) die erste umfassende Retrospektive seit über 30 Jahren.
Mit seiner berühmten arabesken Graphikfolge der Zeiten (1805/1807) sowie den Gemälden der Kleine und der Große Morgen (1808/1809) gelang es RUNGE, für das zyklische NATUR-Verständnis der Romantik kongeniale Ausdrucksformen zu finden.
RUNGE gelang es auch NEULAND zu betreten mit seiner Idee eines Gesamt-Kunstwerks: RUNGE war von der Idee beseelt, die Künste von Dichtung, Malerei und Musik in einem architektonischen Raumzusammenhang zu vereinen. Die Vielseitigkeit des Künstlers dokumentieren auch PORs fragile Scherenschnitte & Schattenrisse, Meisterwerke in Naturgenauigkeit wie Abstraktion; in München in 2 Räumen ausgestellt – siehe mit größtem S-Schnitt a&s-p-g-Blick.
RUNGE fertigte figürlich-ornamentale Zeichnungen an, die teilweise veröffentlicht wurden, darunter „Tiere in Umrissen" wie der „Hahn“ – ein Emblem für die „ENR“ werner hahns (a&s-p-Galerie).
RUNGEs zentrales Projekt blieb allerdings unvollendet: Von den vier Tageszeiten konnte lediglich "Der Morgen" in den beiden Kompositionen "Der kleine Morgen" und "Der große Morgen" (vgl. das Bild in München, ars-Mutante) als Gemälde verwirklicht werden.
An anderer Stelle:
RUNGE-KUNST-R/Evolution „gehört kunsthistorisch in eine Stammbaum-Linie zurück zu den Künstler-Forschern LEONARDO/DÜRER mit trasmutazione di forme“, erklärte ich.
EVOLUTION und METAMORPHOSE
Metamorphisierend entwickeln sich aus den Staubblättern der sog. „Lichtlilie“ im „MORGEN“ drei Genien, die für die Trinität stehen würden, so die Kunst-THEORIE PORs, darüber findet sich der Morgenstern (Venus; vgl. Bildergalerie & Cover zum Katalog der Retrospektive).
Die Konstruktionszeichnungen zu "Die ZEITEN" belegen eindrucksvoll, dass die Bilder mit Hilfe geometrischer Kompositions-Raster SPIEGEL-symmetrisch angelegt sind und dann mit leicht variiertem „Inhalt“ gefüllt wurden. So erreicht Runge über das auch symbolisch gemeinte Stilmittel der (frontalen) SYMMETRIE - "symmetrische Eintheilungen" in Analogie zu den Naturkräften - ein Höchstmaß an Ausgewogenheit und dennoch Lebendigkeit. (Hierzu auch mein Symmetriebuch - Abb. 56 "Der kleine Morgen" - Bildlegende a.a.O.) "Strenge" Spiegelbild-Symmetrie wurde dynamisiert und kombiniert mit natürlich empfundener bilateral seitlich gestreuter "morgendlicher Unregelmäßigkeit"; auch im Rahmen des Bildes.
Die RUNGE-Schau-München gibt zudem Einblick in das von Runge entwickelte dreidimensionale Farbsystem: in einer Nische in einem größerem Raum der Kunsthalle: (…)
Quelle: http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/wegbereiter-der-evolutionaeren-romantik-teil-2-p-o-runges-werk-in-muenchen-kunsthalle-hypo-kulturstiftung-d2077681.html )
Bürgerreporter:in:W. H. aus Gladenbach |
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