KULTUR als STAATSZIEL: Zum KULTUR-und-KUNST-Verständnis
Der BUNDESRAT hatte es im Oktober 2008 abgelehnt, ein STAATSZIEL KULTUR in das Grundgesetz aufzunehmen. Ohne Aussprache (!) lehnte die Länderkammer einen Gesetzes-Antrag Berlins ab. Nach dem Vorschlag von Berlin sollte folgender ARTIKEL in die VERFASSUNG aufgenommen werden: „Der Staat schützt und fördert die Kultur." Bei den vorausgegangenen Beratungen hatte sich der KULTUR-Ausschuss des Bundesrates dafür ausgesprochen, der federführende Rechtsausschuss und der Innenausschuss votierten dagegen. Jetzt stand das Thema noch im Bundestag an, wo über einen entsprechenden Antrag der FDP entschieden werden sollte. Die Bundesländer bringen gemeinsam mit den Städten und Kommunen fast neunzig Prozent der öffentlichen Mittel für die Kultur auf.
Nach Ansicht des Deutschen Kulturrates ist KULTUR „untrennbar mit der Menschenwürde verknüpft, denn die Verwirklichung des Individuums in der Gesellschaft bringt die Inhalte hervor, die in ihrer Gesamtheit den Bereich der Kultur bilden: Kultur ist ein Inbegriff von Kommunikationsinhalten zwischen den Individuen, nicht etwa das, was ein etatistisch-selbstzweckhafter Staat zur seiner Verherrlichung oder zu sonstigem Machtkalkül schafft.“ Klar sei, „dass der Schutz der Kultur PFLICHTaufgabe des Staates ist“. (Quelle: GEIS - Text aus „politik und kultur“ 04/2005; im WEB: http://www.kulturrat.de/p....)
Besonders viele Künstler und Schriftsteller in Deutschland sind seit Jahren dafür, Artikel 20 b des Grundgesetzes zu ergänzen und den Satz „Der Staat schützt und fördert die Kultur" einzufügen. Für den Kulturrat ist die Verankerung eines solchen Staatsziels „mehr als nur ein Symbol", wie dessen Geschäftsführer Olaf ZIMMERMANN betont. „Einem Land, das sich als Kulturnation versteht, das stolz ist auf sein kulturelles Erbe, das in seine Künstlerinnen und Künstler investiert, steht es gut an, sich im Grundgesetz zu Kultur als Staatsziel zu bekennen."
Gegner von „Kultur als Staatsziel“ haben sich nun 2009 aber durchgesetzt: Kulturpolitiker im BUNDESTAG, die noch kürzlich heftig für einen möglichen Artikel 20b schwärmten, erlitten eine Niederlage. Sie dürften nach Heinrich WEFING (FAZ v. 27.02.06 – „Kultur und Verfassung“) „mit der Klausel, sollten sie im Plenum durchdringen, am Ende wenig Freude haben. Sie drohen sich sogar selbst zu entmachten“. Es komme zu „kulturpolitischer Streit“: „Debatten darüber, ob ein Gesetz oder ein Haushaltstitel tatsächlich dem Schutz und der Förderung der Kultur diene, wie von der Verfassung vielleicht eines Tages vorgeschrieben, würden dann nicht mehr im Parlament entschieden, auch nicht im Kabinett, sondern vor Gericht, in letzter Instanz in Karlsruhe.“ Und: „Wer Verfassungsrecht sät“, habe der Richter STEINER einmal bemerkt, „wird Verfassungsrechtsprechung ernten.“ Gleichzeitig betont WEFING, dass vieles „fraglos im argen“ liege: „zahllose Bühnen, Museen, Denkmäler, gerade in den neuen Bundesländern, brauchten mehr öffentliche Unterstützung; (…) auch die kulturelle Bildung der Jugend hierzulande bedürfte dringend zusätzlicher Anstrengungen, und die soziale Lage der meisten freischaffenden Künstler ist prekär; viele verdienen kaum mehr als die Sozialhilfesätze“.
In den Medien (Feuilleton, KULTUR-Seiten) liest man nichts von der Ende April 2009 erfolgten negativen Entscheidung, die fatale Folgen hat: Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat sich mit den Stimmen der großen Koalition DAGEGEN ausgesprochen, die KULTUR als STAATSZIEL ins GRUNDGESETZ aufzunehmen. FDP und LINKE stimmten dafür, die GRÜNEN enthielten sich. Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hatte empfohlen, das Grundgesetz um einen Artikel 20b zu ergänzen, der den Wortlaut haben sollte: „Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ Früher unterstützten Politiker aller Fraktionen das Vorhaben lautstark. Nun hat der Bundestags-Rechtsausschuss das löbliche Vorhaben scheitern lassen.
Gemeinsam hoffte man, die Klausel, die keinerlei direkte Vorteile für die Förderung der Künste brächte, könne wenigstens als Auslegungshilfe für Gerichte und Verwaltungen dienen und so gleichsam indirekt das Gewicht der Kultur in der Konkurrenz mit anderen Interessen stärken. Ins WEB stellte ich den Artikel „EVOLUTION der KULTUR-POLITIK am Ende? – KULTUR: kein Staatsziel“. (ZEIT Online (4); vgl. auch myheimat.de (Gladenbach).). Ich fordere: KULTUR gehört als STAATSZIEL in die Verfassung! Die Berliner 60-Jahre/Werke-SKANDAL-Schau - ein Trauerspiel für unabhängige Kulturschaffende - macht dies deutlich. Hierzu ebenfalls WEB-Artikel von mir mit Bildmaterial. (Siehe (1), (2) und (3).)
Man hat vergebens versucht, dass in der Verfassung auch die geistigen und ideellen Lebensgrundlagen geschützt werden. Das Staatsziel Kultur mit Verfassungsrang war auch von der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Bundestages empfohlen worden. Auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) unterstützte das Anliegen.
CHANCE VERTAN: Die Ablehnung der Länderkammer und des Bundestagsausschusses ist zu bedauern. Die Ministerpräsidenten folgten dem Votum des Rechts- und des Innenausschusses, nicht aber dem Votum des Kulturausschusses. Die Länder haben eine Chance vertan, was auch eine Schwächung des Kulturföderalismus bedeutet. Nun hatte man 2009 in BERLIN „Farbe bekennen" müssen. Die negative Entscheidung einer Verweigerung muss überraschen: Wie soll es nach dem kritikwürdigen KURS GEGEN die KULTUR in der BRD nun weitergehen!? Nachdem ein Ausschuss der Länderkammer vor kurzem den geradezu skandalösen Vorstoß unternommen hatte, die Künstlersozialkasse abzuschaffen, ist dies nun der zweite ANGRIFF AUF KULTUR.
Anlässlich der im WEB zu Artikeln von mir aufgeworfenen Fragen zu „60 Jahre. 60 Werke“ und „Staatsziel Kultur“ ((1) bis (4)) wurde ich in myheimat.de gefragt: „Als Staatsziel im Grundgesetz müsste Kultur definiert werden. Aber wer soll das Recht dazu haben, zu bestimmen, was Kultur ist oder sein darf? Kultur ist im Prinzip alles, was der Mensch macht und schafft, was über das Überleben hinausgeht.“ Und: „Erklär doch erstmal, was ‚Kultur als Staatsziel’ eigentlich real sein soll.“ Herr VISCOUNT äußerte in einem Kommentar zu meinem ZEIT-Online-Artikel „EVOLUTION der KULTUR-POLITIK am Ende? – KULTUR: kein STAATSZIEL“ (13.05.9) – seine „Gegnerschaft gegen staatlich geförderte Kultur“ erläuternd:
„Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass die Kunstfreiheit eines der wenigen Grundrechte ist, für das keine unmittelbaren, immanenten Schranken gelten. Die Kunstfreiheit ist damit für Verfassungsrechtler Teil der ‚Kronjuwelen’, sozusagen - und das auch völlig zurecht! Die Freiheit der Kunst ist ebenso wie die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und die Meinungsfreiheit ein sehr elementarer Teil des Wesenskerns einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft. Nun ist aber ‚Freiheit’ in diesem Sinne zu verstehen als ‚Freiheit von ...’, z. B. Freiheit von Beeinflussung, Freiheit von Einmischung, Freiheit von Bevormundung, also: Freiheit im Sinne von Freiheit, sein und bestehen zu können. Keine Rede kann davon sein, dass Freiheit bedeutet ‚Freiheit zur Subvention’“.
Meine Artikel machen deutlich, dass es mir NICHT darum geht, „die Kunst an den Staat zu verkaufen (…) sie zu einer Hure in den Händen derer zu machen, die darüber zu befinden haben, welche Mittel an wen verteilt werden“. VISCOUNT meinte auch: „Denn etwas fördern heißt, das, was nicht gefördert wird, zu benachteiligen. Und Sie haben selbst eingeräumt, dass es kein objektiv greifbares Kriterium gibt, anhand dessen die zur Förderung berufenen Stellen und Organe entscheiden könnten, was gefördert wird und was nicht.“ Hier irrt der Kommentator.
Eine erste Antwort von mir war: Was in der BRD als verfassungsrechtlich geschützte KUNST gilt, erläuterte das Bundesverfassungsgericht mehrfach. Als unerlässlich erachtet es das BVerfG in Entscheidungen, dass die Justiz KUNST von „Nicht-Kunst“ abzugrenzen hat, damit die sich aus der Kunstfreiheitsgarantie ergebenden Rechte (z. B. Förderung der Kunst) auf eine „der Eigengesetzlichkeit der Kunst adäquate, ordnungsgemäße, irrtums- und willkürfreie Entscheidung“ (GRAUL) bei der Bewertung von Werken der Kunst, nicht missachtet werden. Auch für KULTUR gilt, dass die JUSTIZ den Auftrag hat, „KULTUR" von „Nicht-KULTUR" abzugrenzen.
Zur Wahrung der Kunst-&-Kultur-Freiheit, wie sie im BRD-Grundgesetz in Art. 5 Absatz 3 garantiert wird, ist zunächst festzuhalten, dass unabhängiges (!) KUNST- und KULTUR-SCHAFFEN für die Entwicklung und den Zusammenhalt einer freien Gesellschaft unentbehrlich sind.
In einer PDF-Datei mit dem Titel „Leitbild der städtischen Kulturförderung 2008 – 2011“ (kulturleitbildpdf) hat ZÜRICH unter „Grundsätze der Zürcher Kulturpolitik“ formuliert:: Vor dem Hintergrund, dass KULTURförderung eine Aufgabe der öffentlichen Hand ist, orientiere sich die KULTURpolitik insbesondere an folgenden Grundsätzen: Wahrung der Kunstfreiheit, Förderung der Qualität, Sicherstellung der Vielfalt und Offenheit für Neues durch Förderung von Spitzenkultur UND Breitenkultur, durch Wahrung des kulturellen Erbes UND Unterstützung von zeitgenössischem Kunstschaffen, durch Förderung von traditionellen UND alternativen Ausdrucksformen, Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, Koordination der Förderinstrumente, Berücksichtigung der Eigenwirtschaftlichkeit, Abschluss von Leistungsvereinbarungen, Überprüfung von Leistung und Gegenleistung (Evaluation).
In einem FAZ-Kommentar „Probleme der KULTUR-POLITIK: ZÜRICH – ein Vorbild für FRANKFURT!?“ (29.11.08) schrieb ich – auf meinen Artikel „Zum DARWIN-Jahr: Kulturelle EVOLUTION, Paradigmen-Wechsel, Kultur- & Kunst-Förderung und Qualitäts-Sicherung“ (ZEIT-Online, 29.11.) hinweisend - zum „Leitgedanke: „EVOLUTION der KULTUR-POLITIK“:
Von moderner demokratischer Kulturpolitik wird die Transparenz ihrer Entscheidungen erwartet: Subventions-Geber & -Empfänger sind gehalten, über vergebene bzw. erhaltene Mittel, Rechenschaft abzulegen. Hierbei dient EVALUATION – die Auswertung (Recherche, Ermittlung) von negativen und/oder positiven Erfahrungen - nicht nur der Leistungs-Überprüfung, sondern auch der QUALITÄTs-Sicherung, also der Optimierung, der Strategie und Planung sowie dem Wissens-Zuwachs. ZÜRICH ist ein Vorbild für FRANKFURT, registrierte ich, denn über Kunst-&-Kultur-Förderung, QUALITÄTS-SICHERUNG machte man sich intensiv Gedanken. Zu loben ist die Plattform www.kulturblog.ch („Kriterien für die Leistungen von Kulturinstitutionen“).
Durch Evaluation des subventionierten Tuns der institutionellen MacherInnen (von Kunst-Verein, Museum etc.), kann deren Legitimation kontrolliert werden. Über Kunst-&-Kultur-Förderung, QUALITÄTS-SICHERUNG, „Leitbild“-KRITERIEN (quantitativ, qualitativ); z.B. Resonanz, Relevanz, Innovationsbereitschaft, Engagement, Professionalität. Das KRITERIEN-Problem sprach ich auch schon einmal in DIE ZEIT in einem Artikel zum skandalösen „FALL Damien HIRST“ an mit Kommentar Nr. 2 („Die Bilanz der HIRST-Auktion bei Sotheby’s“; 17.09.) sowie Nr. 3 („Damien Hirst & Co und kulturelle Evolution“;20.09.).
Hier ist anzumerken, dass ich in meinem Buch "Symmetrie als Entwicklungsprinzip in Natur und Kunst" das vielfältige Problem der Kunstbeurteilung mehrfach angesprochen habe und einen „evolutorischen“ Kunst-und-Kultur-Begriff anvisiert habe. Dass QUALITÄT durchaus definierbar ist und der INNOVATIONS-WERT eines KUNST-Objekts als das oberste Kriterium angesehen werden kann (Originalität, visuelle Erfindungskraft, geschichtliche Relevanz, stil-begründende Kraft, Kreativität ...), beinhaltet mein im WEB zu googelndes „MODELL für eine objektivere KUNSTBEURTEILUNG". Eine Kurzfassung veröffentlichte ich auch im zitierten Artikel zum Darwinjahr (s.w..oben). In dem Essay „Plädoyer für die Gründung einer öffentlich-rechtlichen Hessischen „documenta-Akademie“ mit Akademie-Komitee-Modell“ habe ich in LITERATUR/Anmerkung (16) folgendes notiert (siehe WEB art-and-science.de, Link „PDF documenta12“ (S.30 ff.):
Zitat: (16) Hahn, Werner: Documenta IX – Willkür statt Kunstfreiheit!? Eine Streitschrift zur Demokratisierung staatlicher Kunstförderung. Bad Honnef 1992, Gladenbach 1995, S. 69: Im BVerfGE 30, 173 ff., 188 ff. – sog. „Mephisto“- Beschluss – ist nach den Regeln „juristischer Auslegungskunst“ unter dem in einer Verfassungsnorm enthaltenen Begriff „KUNST“ folgendes zu verstehen: „Der Lebensbereich `Kunst` ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen. Von ihnen hat die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesen der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“
Zum Zwecke einer Definition des Begriffs „KULTUR“ kann man in dem BVerfGE-Auslegungs-Text das Wort „KUNST“ und „künstlerisch“ ersetzen durch „KULTUR“ und „kulturell“; für „Künstler“ den Begriff „Kulturschaffender“ einsetzen.
Um eine KULTUR-Definition haben sich die Berichterstatter und Gutachter zum POLITIK-Verweigerungs-Fall „Kultur als Staatsziel“ sicherlich viele Gedanken gemacht, die im Web möglicherweise zu studieren sind (wenn man sucht): Z.B. bei WIKIPEDIA erst einmal nachlesen:
http://de.wikipedia.org/w... . Auch: http://de.wikipedia.org/w... ! Natürlich orientiert man sich auch über „KULTUR“: http://de.wikipedia.org/w... SOWIE: http://de.wikipedia.org/wiki/Kultur_(Begriffskl%C3%A4rung)
LITERATUR/Anmerkungen
(1) HAHN, Werner (2009): „60 Jahre BRD-STAATs-Künstler, KUNSTFREIHEITs-Garantie und Kunst-MARKT-Führer“. In ZEIT Online v. 03.05.2009.
(2) HAHN, Werner (2009): „Zur 60-Jahre/Werke-SKANDAL-Ausstellung (Gropiusbau): Kunst-MARKT & Kultur-STAAT“. In: ZEIT Online v. 04.05.2009. (Vgl. auch: myheimat.de mit einem analogen Artikel und mit 18 Bildern sowie mehreren Kommentaren.)
(3) HAHN, Werner (2009): PODIUMS-DISKUSSION zum heiß diskutierten Thema „KUNST & RECHT - OST & WEST". In: ZEIT Online v. 11.05.2009.
(4) HAHN, Werner (2009): EVOLUTION der KULTUR-POLITIK am Ende? – KULTUR: kein Staatsziel. In: ZEIT Online v. 13.05.2009.
Bürgerreporter:in:W. H. aus Gladenbach |
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