Gustave Courbets REALISMUS (Schirn): Blick auf KUNST-Nacktheiten. Teil 1
Lässt sich Gustave COURBET (1819 bis 1877) heute eher durch Cézanne, Picasso, die Symbolisten und Surrealisten als durch die erdnahe Malerei Millets, van Goghs oder des Expressionismus erschließen? Um diese Frage kreist eine Ausstellung in Frankfurts SCHIRN Kunsthalle mit dem Referenzmaler des französischen Realismus. War G.C. ein „moderner“ Chronist seiner malerischen Träume und sinnlichen Obsessionen? Radikal „modern“ war auf jeden Fall mir seinem berühmten Gemälde "Der Ursprung der Welt": ein Bild mit detaillierter Abbildung des weiblichen Geschlechtsorgans, das bis heute gemein hin als Meilenstein der „Kunstmalerei“ gilt. Darf man dieses Akt-Gemälde mit der „Venus vom Hohlen Fels“ (40.000 Jahre alt), einer Plastik, die ebenfalls deutlich nackte Wahrheit mit einem weniger geöffneten weiblichen Schoß auf eine Skulptur gebannt hat, vergleichen?
AKT-Kunst, häufig auch nur als Akt bezeichnet, ist die Abbildung des unbekleideten menschlichen Körpers in der Kunst: In der Geschichte und Entwicklung der Kunst kann man eine evolutionäre Entwicklung dessen, was man unter einer„AKT“-Darstellung versteht, skizzieren. Geht man von der These einer „Evolutionisierung“ der „Kunst“ aus – stellt Stammbäume für Malerei- und Skupturen-Entwicklung auf – so sind „Evolutionsprinzipien“ (Auslese, Anpassung etc. als biologisch relevante Prinzipien) auch für Kunst und Kunstgeschichte kompatibel zu diskutieren. Anfangs ist der „Akt“ - als eines der ältesten und vielfältigsten Genres - fast ausschließlich als KULT-Gegenstand geschaffen worden. Ich habe über die erstmals dargestellte „nackte Frau“ mit üppigen Rundungen und noch üppigerem Busen, die kopflose „Venus vom Hohlen Fels“ (Alter 40.000 Jahre) berichtet: Ausgestellt war diese „Venus“ in der Landesausstellung "Eiszeit - Kunst und Kultur" im Kunstgebäude Stuttgart (bis 10.01.2010). Die berühmte VENUS von Willendorf - pralle Natur oder abstraktes Ideal? – bekam durch die Entdeckung der Hohle-Fels-Eva einen „Vorläufer“. „Nur" 27.000 Jahre alt ist die Wiener Venus; vor 100 Jahren entdeckt.
Dass die „schönen Künste“ erst mit dem aus Afrika vor etwa 40.000 Jahren zugewanderten Homo sapiens sapiens nach Europa kamen, stellte ich dar. Die „Eiszeit“-Ausstellung offenbarte, dass mit ihm die Kulturstufe „Aurignacien“ bagann, die von vielen Innovationen geprägt ist. Damals entstanden die weltberühmten Kunstwerke aus den Höhlen, in denen die Menschen meist nur im Frühjahr und Herbst gewohnt haben. Aus der nächsten Kulturstufe, dem „Gravettien“, stammen auch wieder viele Frauenfiguren, oft gesichtslos, aber sexbetont. (Männer sind zu Phalli (wie aus dem Hohlen Fels) reduziert.) Und im folgenden „Magdalénien“ sind Frauen auf ein "gebärfreudiges Becken" reduziert. Aus der Altsteinzeit gibt es neben Darstellungen von Frauenkörpern wie der bekannte "Venus von Willendorf" auch eine "Venus von Saviagno" - in Nähe von Modena gefunden, 18.000 bis 25.000 Jahre alt. Die "Venus vom Hohle Fels" ist deutlich älter als diese beiden Figuren. Die bei Schelklingen gefundene Venus ist nach Einschätzung der Archäologen mindestens 35.000 Jahre alt. Zur Deutung der sechs Zentimeter hohen Elfenbein-Plastik siehe auch mehr im Web.
Bei vielen der Plastiken sind Brüste, Bauch, Oberschenkel und Gesäß stark betont. Wozu die Figuren dienten, werden wir vermutlich nie genau wissen. Wahrscheinlich waren sie Darstellungen von Göttinnen und/oder Fruchtbarkeitssymbole.
Bereits frühe Hochkulturen (Sumer, Ägypten, Kreta, Indien unter anderem) kennen Akt-Darstellungen. Die Entwicklung lässt sich weiter verfolgen über die griechische Plastik, mit Einschränkungen auch durch die Kunst des Mittelalters bis in die europäische Kunst der Neuzeit. Seit der Renaissance gehört das Studium des menschlichen Körpers zur Ausbildung an Kunstakademien. Die Griechen erhoben den Akt zum selbständigen Kunstgegenstand. Im Mittelalter wurden Aktdarstellungen lediglich für religiöse Motive zugelassen und auch nur dann, wenn die Darstellungen die Nacktheit erforderte. Ein hervorragendes Beispiel ist „die Erschaffung des Adams“ von Michelangelo Buonarotti in der Sixtinischen Kapelle.
Im 19. Jahrhundert wurde die Akt-Abbildung von der Einschränkung auf religiöse, mythologische oder historische Motive befreit. Dies zeigt sich sehr deutlich in den Werken der französischen Impressionisten wie Renoir, Manet, Degas, die Menschen in ganz normalen Situationen (oftmals in der Natur) darstellten und den Details ihrer Körpersprache nachspürten. Von allen Einschränkungen befreit, entwickelte sich der Akt bei COURBET zum Sonderfall. Dazu mehr weiter unten.
Die Kunst des AKTes: Nacktheit – Voyeurismus – Exhibitionismus - Erotik?
Der Akt verliert bis heute und wohl in Zukunft nie an Brisanz und Aktualität und übt auf Künstler & Nicht-Künstler eine große Anziehungskraft aus. Immer wieder versuchen Kunstschaffende den menschlichen Körper in einer neuen Sichtweise darzustellen. Dabei loten sie die Grenze des Erlaubten aus und schaffen oft Kunstwerke, die anfänglich immer noch auf Ablehnung stoßen: sei es in der Zeichnung (Aktzeichnen), Malerei, Skulptur oder Fotografie (Aktfotografie). Der Begriff „AKT“ kam als Schul-Terminus der Porträt- und Genremalerei erst im 19. Jahrhundert auf und bezeichnete ursprünglich eher Studien vom menschlichen Körper (Aktstudie). Heute wird der Begriff auf alle Darstellungen unbekleideter menschlicher Körper bis in die Frühzeit ausgedehnt.
Der verbotene Blick auf die Nacktheit
Verbotene Blicke können todbringend sein: Im antiken Mythos überraschte der Jäger Aktaion die nackte Diana beim Baden. Zur Strafe verwandelte die Göttin der Jagd den Voyeur in einen Hirsch, der danach von seinen eigenen Hunden zerrissen wurde. Ein Bildthema, das Künstler von der Antike bis ins 21. Jahrhundert immer wieder zu Darstellungen mit unterschiedlichsten Auslegungen inspirierte. „Mythologie als Vorwand für die Nacktheit?“ fragt ein Film von Werner Raeune bei arteTV.
Ob bei Caravaggio, Gustave Courbet, Gustav Klimt oder Pablo Picasso - über Jahrhunderte stehen Erotik und Sinnlichkeit im Mittelpunkt künstlerischen Schaffens und führen bis heute zu Verboten und Skandalen. Für den amerikanischen Enthüllungskünstler Spencer Tunick lassen Massen die Hüllen fallen – siehe a&s-Bilderserie. Seine Installationen nackter Menschen gelten als Kunst - doch in New York wurde Tunick schon fünfmal inhaftiert.
Nacktheit, Voyeurismus, Exhibitionismus, Erotik und Missbrauch: Werner Raeune näherte sich dem Thema des verbotenen Blicks aus verschiedenen Perspektiven und unternahm filmisch einen sehenswerten Streifzug durch die Kunst des Aktes. COURBETs „Der Ursprung der Welt" durfte im Film über die „KUNST-Nacktheiten“ nicht fehlen. 1866 malte Gustave Courbet das "nackteste Nacktbild" der Kunstgeschichte, den Schoß einer Frau.
Das Thema EVOLUTION interessierte den Maler Courbet beim Aktbild „Der Ursprung der Welt“ nicht:
Evolutionäre Kunst (Evolutionistische Kunst) – ars evolutoria (Evo-Art, evo-devo-art, evolutionary art, evolving art, Evolutionistic Art, evolutionism, Science Art/art-science, R/Evo-art, R/Evo-devo-art (…)) ist eine vergleichsweise neue Kunst-Form. COURBET hätte die Gelegenheit gehabt in das Thema „EVOLUTION“ einzusteigen - LAMARCK hätte G.C. vertraut sein sollen: Und GOETHE (1749-1832) – Lamarcks Zeitgenosse - war DER Vorläufer der Pioniere der Evolutionsforschung DARWIN & LAMARCK: Die Naturgeschichte der Neuzeit wurde entscheidend beeinflusst durch Goethes morphologische Schriften: mit der 1790 erschienenen METAMORPHOSE der Pflanzen (Urpflanze & Urtier-Theorie; Blatt und Wirbel als proteische Ureinheiten). Charles Darwin hatte die Evolution 1859 – vor COURBETs „Ursprung der Welt“ in 1866 - nicht erfunden. Der evolutionäre Entwicklungs-Gedanke war schon seit LAMARCKs Leistung von 1809 vorhanden; dem Geburtsjahr des Post-„Evoluzzers“ Darwin! 1819 wurde G.C. geboren!
(Vgl. hierzu auch Werner Hahn 2008: http://community.zeit.de/user/wernerhahn/beitrag/2... UND später http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/wie-kuens... .)
Gustave Courbets moderner "Ursprung der Welt" brachte eingeübte Sehgewohnheiten ordentlich zum Schwingen
Betrachtet man die explizite AKT-Malerei z.B. von Egon Schiele, Otto Müller, Edgar Degas, Toulouse-Lautrec oder allen anderen bekannten Aktmalern - seit der Renaissance gehört das Studium des menschlichen Körpers zur Ausbildung an Kunstakademien -, ist es kaum zu glauben, dass Gemälde wie z.B. Gustave Courbets "Der Ursprung der Welt", mit der detaillierten Abbildung des weiblichen Geschlechtsorgans, bis heute gemein hin als Meilenstein der „Kunstmalerei“ gelten. NICHT als Pornografie. „Aktbilder sind salonfähig - Porno ist Schmuddel“, liest man. Darf man das Bild "Der Ursprung der Welt" auch 15 oder 14 Jährigen Kindern zeigen? Oder greift hier eine Altersgrenze mit FSK-Überwachung ein? Die Abgrenzung zwischen Aktmalerei und Pornografie folgt dahingehend, dass durch "Aktmalerei“ (gegenüber Pornografie) angeblich keine sexuelle Erregung beabsichtigt sei und neben einem ästhetischen auch ein handwerklicher Anspruch vorliegen soll. Zurecht fragt man heute:
„Gibt es überhaupt ein allgemein gültige Trennlinie zwischen Kunst und Porno?“
Bis heute obliegt die Entscheidung, was Pornografie und was Kunst ist, der Judikative. Einerseits schützt das deutsche Grundgesetz explizit die Kunst: Die Kunst ist frei und die Freiheit der Kunst ist in Art. 5 Abs. 3 GG ohne Vorbehalt gewährleistet. Andererseits gibt es den Jugendschutz u.a. Gesetzte die zum Verbot, (Indizierung) und zur Zensur führen. Der gesellschaftliche Dissens zu dieser Frage ist nicht aufgelöst. Bis heute. Dazu mehr: http://de.wikipedia.org/wiki/Aktfotografie.
Zur PORNOGRAFIE lässt sich die Aktfotografie anhand der Definition jener abgrenzen: eine Darstellung wird heute nach deutschem Recht als pornografisch bezeichnet, „wenn sie unter Hintenansetzen sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rückt, und wenn ihre objektive Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend zur Aufreizung des Sexualtriebs abzielt“ (Stefen, 1989). Aktfotografien beabsichtigten „hingegen nicht primär eine sexuelle Erregung und sind neben einem ästhetischen und handwerklichen Anspruch auch durch menschliche Achtung gekennzeichnet“ ist ebenda zu lesen.
Andererseits schützt das deutsche Grundgesetz explizit die Kunst: Die Kunst ist frei; die Freiheit der Kunst ist in Art. 5 Abs. 3 GG ohne Vorbehalt gewährleistet. Der Kunstbegriff ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf ein bestimmtes Niveau und daher auch nicht auf „wertvolle“ oder gar klassische Kunst beschränkt.
SCHIRN-Ausstellung: Gustave Courbet (1819 bis 1877)
Gustave Courbet wird zu „einem der wichtigsten Maler der Moderne“ gezählt. Und seine Ausstellung in Frankfurt „zur aufregendsten dieses Herbstes“ (Hanno Rauterberg in DIE ZEIT). Man glaubt es kaum: Die SCHIRN-Ausstellung Gustave Courbet (1819 bis 1877) zeigt „eindringlich (…), dass es diesem Maler nie darum ging, mit Bildern von Steineklopfern, Bauern und fahrendem Volk die große Revolution zu befördern“ - wenn er überhaupt ein rebellischer Realist war, wie oft behauptet wurde, dann, „weil er die stumpfe Schulmalerei der Akademien aufbrach“.
Bürgerreporter:in:W. H. aus Gladenbach |
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