SEXUALKUNDE, EVOLUTION, KARNEVAL & das Bundesverfassungsgericht
Bei einer UMFRAGE lautete die Frage: „Brauchen Eltern mehr Mitspracherecht bei dem, was in der Schule passiert?“ Mit „Ja, die Eltern haben immer noch den wichtigsten Erziehungsauftrag“ stimmten 47 % - „Nein, in der Schule müssen Kinder nach staatlichen Maßgaben erzogen werden“, erklärten 53 % der UserInnen. In diesen Reaktionen spiegeln sich (trotz der fragwürdigen Frage-Antwort-Stellung) die (nicht repräsentativen) Meinungen wieder, die zu einem Urteil zur SEXUALKUNDE sowie KARNEVAL des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abgegeben wurden. (Umfrage: Welt Online: Stand 1217 abgegebene Stimmen, 7.8.09.) VORRANG habe die SCHULPFLICHT, urteilte das BVerfG grundsätzlich in dem Beschluss 1 BvR 1358/09. Vom Sexualkunde-Unterricht dürfen SchülerInnen im Regelfall nicht unter Berufung auf GLAUBENs-Überzeugungen fernbleiben, solange die Schule NEUTRALITÄT und TOLERANZ gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern wahrt. Das gilt auch für Unterricht über EVOLUTION.
Wenn Eltern ihre Kinder vom Unterricht fernhalten, reicht es künftig nicht, auf religiöse Überzeugungen zu verweisen. Das VerfG in Karlsruhe musste die Klage eines baptistischen Elternpaares aus Ostwestfalen verhandeln, das seine beiden Söhne von einem Theaterprojekt der Grundschule zum Thema "Sexueller Missbrauch" und einer Karnevals-Veranstaltung befreite. An der Schule fanden im Februar 2007 das zweitägige Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir“ und die KARNEVALs-Veranstaltung „Lütke Fastnacht“ als teilnahmepflichtige Schulveranstaltungen statt. Zweck des Theaterprojektes war es, die Kinder für das Thema „sexueller Missbrauch“ durch Fremde oder auch Familienangehörige zu sensibilisieren. Bei der „Lütke Fastnacht“ handelt es sich um eine seit Jahren gepflegte Schultradition, bei der die Kinder bis zum Unterrichtsschluss um 10.30 Uhr gemeinsam im Klassenverband feiern, spielen und essen können. Das BVerfG: „Es ist ihnen freigestellt, sich zu verkleiden und an dem anschließend stattfindenden Umzug auf dem Schulgelände teilzunehmen. Abgesehen davon bestand im Jahr 2007 während der Karnevalsveranstaltung in der gesamten Unterrichtszeit die Möglichkeit, stattdessen den Schwimmunterricht zu besuchen oder eine in der Turnhalle aufgebaute Bewegungslandschaft zu nutzen.“
Auch die Konfrontation mit Landestraditionen wie FASTNACHT sei religiösen Minderheiten zumutbar, urteilte das Gericht. Aus Sicht der Eltern beruhte das teilnahmepflichtige Projekt mit dem Titel "Mein Körper gehört mir" auf einer "absolut einseitigen emanzipatorischen SEXUALERZIEHUNG". Den Kindern werde beigebracht, dass sie selbst über ihre Sexualität bestimmen können, ungeachtet göttlicher Gebote. Die Fastnacht hielten sie für ein katholisches Kirchenfest. Beidem widersprach das Gericht, so dass sich die Eltern als Erziehungsberechtigte deshalb weder auf RELIGIONSFREIHEIT noch das ERZIEHUNGSRECHT berufen könnten. Andere Denkweisen müssen Kinder aushalten: "Denn solche mit dem Schulbesuch verbundenen Spannungen zwischen der religiösen Überzeugung einer Minderheit und einer damit in Widerspruch stehenden Tradition einer anders geprägten Mehrheit sind grundsätzlich zumutbar", heißt es in der Entscheidung. Andererseits habe die Schule die Pflicht, keine gezielte Beeinflussung in einer politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung vorzunehmen. Diese Grenzen habe die Schule nicht überschritten. Die Eltern müssen nun ein Bußgeld in Höhe von 80 Euro zahlen.
Das BVerfG hatte schon 1977 eine Grundsatz-Entscheidung zur Sexualkunde getroffen. DER SPIEGEL berichtete in 9/1878 auf S. 62-76 darüber (vgl. COVER-Abb.). SEXUALERZIEHUNG à la BVerfG ist zu lesen in Beschluss v. 21.12.77 – 1BvL.1/75 u.a. – BverfGE 47,46 (Sexualkunde in der Schule). Siehe auch BVerfG NJW 1979, S. 1616 und HUFEN, Friedhelm: Kommentar und Kritik zum Beschluss des BVerfG. In: Jur. Arbeitsblätter 1978, 8/9. S. 447/448. Auch BRAUN, Walter in Rheinischer Merkur 1978, 20 v. 19.5.78, S.10.
Das neue Urteil ist auch für BIOLOGIE-LehrerInnen interessant, die die Aufgabe haben, über die Tatsachen und Theorien der EVOLUTION (auch der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen) zu lehren:
Verfassungsbeschwerde könnten Beschwerdeführer auch gegen eine Verletzung ihrer Grundrechte (aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG – so im vorliegenden Fall) einlegen, wenn sie (als KREATIONISTEN z.B.) das Fernbleiben der schulpflichtigen Kinder/Jugendlichen vom BIOLOGIE-Unterricht durchsetzen möchten. Es gibt immer wieder Eltern, die meinen, sie könnten nicht dazu gezwungen werden, ihre Kinder an Schulveranstaltungen zum Thema EVOLUTION teilnehmen zu lassen. Die Glaubenserziehung der Kinder sei Sache der Eltern. Die staatliche Schule sei auch in Sachen EVOLUTION zur Neutralität und Toleranz verpflichtet, wobei diese Pflicht eben verletzt sei, wenn Kinder gezwungen würden, am Unterricht über EVOLUTION teilzunehmen. Kreationistisch orientierte Eltern könnten darauf Beschwerde vor dem BVerfG führen, ihr Recht auf rechtliches Gehör sei verletzt, wenn Gerichte ihren Gewissenskonflikt bezüglich EVOLUTION nicht ernst nehmen wollen und/oder nicht in Erwägung ziehen möchten; bezogen auf Urteile von Verwaltungsgericht etc. oder Amtsgericht, Oberlandesgericht (wie im Fall Sexualkunde & Karneval).
Das BVerfG betonte im „Beschluss“ zur angestrebten Verfassungsbeschwerde zu Sexualkunde & Karneval, dass die Entscheidungen der zuständigen Fachgerichte, „namentlich die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall“ grundsätzlich der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen seien. Nur bei einer Verletzung spezifischen Verfassungsrechts könne das BVerfG auf Verfassungs-BESCHWERDE hin eingreifen. Dabei würden die Grenzen seiner Eingriffsmöglichkeiten namentlich von der „Intensität der geltend gemachten Grundrechtsbeeinträchtigung“ abhängen: Die Schwelle eines Verstoßes gegen objektives Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, sei erreicht, „wenn die Entscheidung etwa der Strafgerichte Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder der Auslegung erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind“. Je nachhaltiger ferner eine Verurteilung im Ergebnis die Grundrechtssphäre des Verurteilten betreffe, „desto strengere Anforderungen sind an die Begründung dieses Eingriffs zu stellen und desto weiter reichen die Nachprüfungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts“.
Die SEXUALKUNDE/KARNEVAL-Beschwerdeführer hätten die „Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt“, urteilte das Gericht:
Die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheit umfasse auch den Anspruch, nach eigenen Glaubensüberzeugungen leben und handeln zu dürfen (vgl. BVerfGE 32, 98 ; 93, 1 ). In Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern das Recht zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert, gewährleiste Art. 4 Abs. 1 GG das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Danach ist es Sache der Eltern, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln (vgl. BVerfGE 41, 29 ) und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten (vgl. BVerfGE 93, 1 ). Auch wenn dieses Grundrecht keinem Gesetzesvorbehalt unterliege, sei es Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben.
Das VerfG: „Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte Erziehungsauftrag (vgl. BVerfGE 34, 165 ; 93, 1 ). Infolgedessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zur Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags erlassene allgemeine Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 1989 - 1 BvR 235/89 -, juris). Im Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen (vgl. BVerfGE 93, 1 ).“
Der Staat dürfe auch unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen (vgl. BVerfGE 34, 165 ; 47, 46 ). Analog übertragen auf das Konflikt- Thema EVOLUTION & KREATIONISMUS muss beachtet werden:
„Dabei muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 1989 - 1 BvR 235/89 -, juris). Der Staat darf keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben; er darf sich auch nicht durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in der Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 ; 108, 282 ). Diese Verpflichtung stellt bei strikter Beachtung sicher, dass unzumutbare Glaubens- und Gewissenskonflikte nicht entstehen und eine Indoktrination der Schüler etwa auf dem Gebiet der Sexualerziehung unterbleibt (vgl. BVerfGK 1, 141 ).“
Bezogen auf SEXUALKUNDE urteilte das BVerfG im Beschluss:
„Hinsichtlich der Präventionsveranstaltung hat das Amtsgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt, dass die Schule mit der Sensibilisierung der Kinder für etwaigen sexuellen Missbrauch und dem Aufzeigen von Möglichkeiten, sich dem zu entziehen, das ihr obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt hat. Es hat nachvollziehbar darauf verwiesen, dass die auf der Glaubensüberzeugung der Beschwerdeführer beruhenden elterlichen Vorstellungen von der Sexualerziehung ihrer Kinder durch die Präventionsveranstaltung nicht in Frage gestellt worden sind, weil diese die Kinder nicht dahin beeinflusst hat, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen (vgl. insoweit auch BVerfGK 8, 151 ).“
UND: Diese Würdigung und die Feststellung des zugrundeliegenden Sachverhalts sei mit Blick auf die als verletzt gerügten Grundrechte auch sonst nicht zu beanstanden:
„Die Bewertung der Beschwerdeführer, das Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir“ basiere auf einer absolut einseitigen „emanzipatorischen“ Sexualerziehung, die Kindern suggeriere, sie könnten Sex allein abhängig von ihren Gefühlen haben und hätten dabei weder Gottes Gebote noch die der Eltern zu beachten, haben sich die Fachgerichte aus nachvollziehbaren und vertretbaren Gründen nicht zueigen gemacht. Die Behauptung der Beschwerdeführer, das Theaterprojekt spreche Kindern eine „freie Sexualität“ zu oder stelle gar eine „Erziehung der Kinder zur Pädophilie“ dar, findet in dem vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalt und in dem vorgelegten Text des sogenannten „Körpersongs“ keinerlei Stütze. Unter diesen Umständen besteht kein Anhalt dafür, dass die Fachgerichte die Glaubensfreiheit und das Recht der Beschwerdeführer auf Erziehung ihrer Kinder in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht in ihrer Wirkkraft und Tragweite verkannt haben könnten. Demnach ist von Verfassungs wegen offensichtlich auch nichts dagegen zu erinnern, dass die Fachgerichte das in Rede stehende Theaterprojekt und seine Zielsetzung im Ergebnis im Rahmen des Erziehungsauftrags des Staates für unbedenklich erachtet haben.“
Zum Beschluss hinsichtlich der KARNEVALs-Veranstaltung vgl. http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidun...
Der Unterricht über EVOLUTION ist auch als LEBENSHILFE zu verstehen. Die Schule hat auch die Aufgabe mit Themen zu konfrontieren und vertraut zumachen, die – wie im Beispiel der EVOLUTION – zu unabhängigem wissenschaftlichem Denken anregen und kritisches Bewusstsein entwickeln. Gerade auch im BIOLOGIE-Unterricht an staatlichen Schulen darf sich der naturkundliche Unterricht nicht mit einer „Weltanschauung“ identifizieren. Die freiheitliche demokratische Grundordnung in der BRD sollte es ermöglichen, dass Kinder an Schulen hier ideologisch wertfrei unterricht werden und dass Erziehungs- und Bildungsprozesse grundrechtskonform erfolgen (können).
Dass biologische Wissensbestände zum Thema EVOLUTION besonders interessant für die Erziehungswissenschaft sind, habe ich bei der Besprechung einer Arbeit dokumentiert, die zum DARWIN-Jahr 2009 erschienen ist. Vgl. http://www.myheimat.de/gladenbach/beitrag/75162/da...
Vor 150 Jahren veröffentlichte Charles Robert DARWIN sein bahnbrechendes Buch „Über die Entstehung der Arten“. Doch immer noch zweifeln viele an C.R.D.s unter Wissenschaftlern praktisch unangefochtenen Theorie der EVOLUTION. Während in den USA eine Mehrheit von 54 Prozent nicht glaubt, dass der Mensch sich aus früheren Lebensformen entwickelt hat, stimmen in Deutschland immerhin 61 Prozent mit der wissenschaftlichen Theorie überein. Rund jeder Dritte steht als dem KREATIONISMUS oder der Abart Intelligent-Design (ID) nahe; d.h. dem Glauben, dass die Arten ein für allemal von einem SCHÖPFER erschaffen wurden.
Bei meiner Besprechung der Arbeit von AUSTERMANN, Christian: „Die Evolutionstheorie im Spannungsfeld zwischen modernen Naturwissenschaften und religiösen Weltanschauungen“ stellte ich klar:
RELIGION (auch KREATIONISMUS oder der Abart Intelligent-Design (ID)) werden sich den Erkenntnissen der Wissenschaften „nicht auf Dauer“ verschließen können. Und es sei auch keine Lösung, eine weltanschaulich motivierte „Wissenschaft“ anstelle der naturalistischen Naturwissenschaften implementieren zu wollen: „Genauso wenig wie die Naturwissenschaft wissenschaftliche Aussagen über die Existenz oder Nichtexistenz von metaphysischen Größen machen kann und sollte“ (AUSTERMANN).
Für KOEXISTENZ & TOLERANZ sowie einen „DIALOG der KULTUREN“ (HUNTINGTEN) – eine „Annäherung zwischen Glaube und Wissenschaft“ oder gar einen „Konsens“ – plädiert AUSTERMANN (z. B. der Fronten von Kardinal SCHÖNBORN & Religionsskeptiker DAWKINS) in seinem „Fazit & Ausblick“. EVOLUTION mit all ihren Dimensionen, stelle ein „weites interdisziplinäres Gebiet“ dar, das „ideale Voraussetzungen für einen fächerübergreifenden Unterricht“ biete, unterstreicht der Autor. Ein derartiger Unterricht sei „allerdings in dem schulisch-institutionellen Rahmen, wie er derzeit in Hessen besteht, nicht umzusetzen“. Zur katastrophalen Situation in Hessen, was den Biologieunterricht und die Rahmenpläne betrifft, wenn es um EVOLUTION gehen sollte, habe ich mich ebenfalls anklagend geäußert (vgl. (2)).
Ich stimme mit C.A. voll überein, dass in HESSEN im Schulbetrieb bezüglich der Lehre der EVOLUTION unhaltbare Zustände existieren. Gut, dass C.A. den „Fall Wolff“ und das „JUNKER & SCHERER“-Buch diskutiert hat. Schöpfungslehre war mit einem Lehr-Buch der beiden Autoren in BIO von zwei Gießener Schulen unterrichtet worden (ARTE v. 30.09.06). Der Vorschlag der damaligen Kultusministerin (Religionslehrerin, CDU) Karin WOLFF - Schöpfungslehre neben der Evolutionslehre im Biologieunterricht zu thematisieren – hatte heftige Proteste ausgelöst, auf die der Verband der Biologen (VdBiol) sachlich & richtig reagiert hat. BIOLOGIE-LEHRER seien nicht dazu qualifiziert, sich zu theologischen Fragen zu äußern (Gefahr subjektiv motivierter religiöser Belehrung).
In einem anderen Artikel http://www.myheimat.de/gladenbach/beitrag/71257/da... formulierte ich (am 7.08.09 beachtliche 639 mal gelesen!):
UNSCHÖNES in der institutionalisierten Trennung von POLITIK & RELIGION
Unschöne Debatten über RELIGION & NATURWISSENSCHAFT – früher auf die USA beschränkt – haben sich inzwischen über die ganze Welt ausgebreitet. Die Naturwissenschaften wurden mit der amerikanisch geprägten antievolutionistischen Debatte über die Entstehung des Lebens konfrontiert. Kardinal Schönborn (Wien) äußerte Zweifel, ob Darwinismus und Evolutionstheorie für gläubige Katholiken akzeptabel seien. Er argumentierte, dass die EVOLUTION das Werk Gottes ist und die Evolutionstheorie nur in diesem Licht zu interpretieren sei. Der Frieden zwischen Naturwissenschaften & Religion ist gestört: Gefahren lauern der POLITISIERUNG der Natur-Wissenschaften durch die Religion. Religion wurde zur rechtlich garantierten Privatsache gemacht (Trennung Staat/Kirche). Präsident Bush aber plädierte dafür, dass im BIOLOGIE-Unterricht nicht mehr nur die Evolutionstheorie in den Schulen gelehrt werden sollte; in Hessen gab es analog hierzu den „Casus Wolff“. Religion kehrte auf die politische & wissenschaftliche Tagesordnung zurück. In einer scheinbar säkularisierten Welt registriert man beim DARWIN-Jahr-Feiern irritiert die konflikthafte „Wiederkehr der Götter“, eine massenmediale Sichtbarkeit von Fundamentalismen unterschiedlicher Prägung.
Schattendasein: Überlebenschancen der EVOLUTIONSLEHRE im UNTERRICHT
Zum Darwinjahr 2009 lohnt sich ein Blick in die Rahmenpläne für den Biologieunterricht in HESSEN: Als verbindlicher Inhalt im „Lehrplan Landesabitur 2009“ kommt das Thema Evolution NICHT (!) vor. 2008 trat eine erneute Lehrplanüberarbeitung in Kraft: Anpassung & Straffung der Lehrpläne (G8/G9), Vermittlung inhaltlicher Kern- und Methodenkompetenz. Hier steht lediglich unter „Gestalt, Merkmale – Verbindung von Struktur und Funktion Angepasstheit an den Lebensraum“ und „Evolution und Domestikation“: Diese „Themen werden fakultativ unterrichtet“, d.h. dass die Fachkonferenz hier auswählen kann - aber nicht muss; zur Ergänzung & Erweiterung von verbindlichen Inhalten. Aus Zeit-Not und anderen Gründen wird das Thema zumeist nicht beachtet und berücksichtigt. Zu verbindlichen Unterrichtsinhalten/Aufgaben - wie früher im 7. Schuljahr - kommt man nicht mehr: Entstehung von Fossilien und ihre Bedeutung als Indikatoren für die Entwicklung von Lebewesen - Entwicklung des Lebens vom Wasser zum Land an ausgewählten Beispielen - Entstehung der Arten / Verwandtschaftliche Beziehungen (u.a. Brückentiere) - Vergleichende Betrachtung von Entwicklungslinien des Menschen. Ein Witz der KMK-Vorschlag zur Evolution: „Ananasgewächse auf Bäumen (…)“!
Bundesverfassungsgericht 2006: EVOLUTION darf in BIOLOGIE unterrichtet werden
In einem Statement wissenschaftlicher Akademien wurde kritisiert, dass der Ursprung des Lebens in einigen Schulen „verschleiert", „geleugnet" oder zumindest „konfus" dargestellt werde (BBC-Online). Internationale Spitzenforscher forderten einmal mehr, dass in Biologie nur „evidenzbasierte Forschung“ zu unterrichten sei (z.B.: Erde älter als nur 8.000 Jahre). Wegweisend für die BRD ist ein Beschluss vom 31.05.2006 – 2 BvR 1693/04 – des BVerfG: Eltern wollten in ihrer Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben der Bibel wortgetreu folgen; ihre Kinder sollten von Einflüssen des BIOLOGIE-Unterrichtes ferngehalten werden, die EVOLUTION reflektieren. Die Schule verletze das ihr obliegende Neutralitätsgebot. Die Kinder wollte man weiterhin nur zu Hause unterrichten; dies sei kein Verstoß gegen die Schulpflicht. Das BVerfG: Es sei „nicht zu beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie im Rahmen des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt“. In Hessen hatte Ex-Kultusministerin Karin WOLFF (CDU, Religions-Lehrerin) durchsetzen wollen, dass in Bio Schöpfungsgeschichte zu lehren sei.
Anmerkung: Gegen Schulverweigerer aus Nordhessen, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, hat gerade das OLG Frankfurt ein LG-Urteil vom Juni 2008 aufgehoben (Aktenzeichen 2 Ss 335/08); wegen Bußgeldbescheiden an die Eltern – evtl. 3 Monate Haft für die Eheleute der 7 Kinder – muss der gesamte Prozess neu aufgerollt werden; der SPIEGEL berichtete darüber Anfang Januar 2009 in einem mehrseitigen Artikel. Ein älterer Sohn der Familie wurde in Biologie mit der Kreationismus-Sicht zur Evolution unterrichtet.
Im Verfahren über die erfolglose EVOLUTIONs-Verfassungsbeschwerde gegen die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen die Schulpflicht aus religiösen Gründen sahen sich die Beschwerdeführer aufgrund ihres Glaubens verpflichtet, bei der Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben der Bibel wortgetreu zu folgen und ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen:
Die Kläger hielten drei ihrer Töchter seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 vom weiteren Besuch der örtlichen Gesamtschule ab. Seither werden die Kinder zu Hause unterrichtet. Das Landgericht sprach gegen die Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus, wogegen Verfassungsbeschwerde erhoben wurde:
Der Entscheidung wurden im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde gelegt: Die Festsetzung einer Sanktion gegen die Beschwerdeführer sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil die allgemeine Schulpflicht dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags diene. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Die Offenheit für ein breites Spektrum von Meinungen und Auffassungen sei konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen.
Der Vortrag der Beschwerdeführer bezüglich EVOLUTION & UNTERRICHT lasse eine Missachtung des Gebots staatlicher Neutralität und Toleranz in Fragen der Erziehung nicht erkennen. Mit der Vermittlung von Kenntnissen über geschlechtlich übertragbare Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung im Rahmen des SEXUALKUNDE-Unterrichts hat die Schule das ihr obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt. Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass nach den Lehrplänen die EVOLUTIONSTHEORIE im Rahmen des BIOLOGIE-Unterrichts vermittelt und die Behandlung der SCHÖPFUNGs-Geschichte auf den RELIGIONs-Unterricht beschränkt bleibt. Die Beschwerdeführer könnten nicht beanspruchen, dass ihre Kinder vollständig von fremden Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont bleiben; in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, gewährt die Verfassung ein solches Recht nicht.
Zudem hätten die Beschwerdeführer nahe liegende Möglichkeiten ungenutzt gelassen, den von ihnen empfundenen Konflikt zwischen Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen. Sie haben es unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder sonst ihre Besorgnis um die Erziehung ihrer Kinder in der Schule vorzutragen. Hinzu kommt, dass das vollständige Fernhalten ihrer Töchter vom Schulunterricht unverhältnismäßig war. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, weshalb nicht ein Fernbleiben ihrer Kinder nur von bestimmten Unterrichtseinheiten als milderes Mittel zur Sicherung ihres elterlichen Erziehungsrechts ausgereicht hätte. Auch sonst ist nicht erkennbar, weshalb es Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von weltanschaulich neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und Fremdsprachen abzumelden.
Literatur/Anmerkungen
(1) AUSTERMANN, Christian: Die Evolutionstheorie im Spannungsfeld zwischen modernen Naturwissenschaften und religiösen Weltanschauungen. Marburger Schriften zur Lehrerbildung. Herausgegeben von Prof. Dr. Bernhard Dressler und Prof. Dr. Lothar A. Beck im Auftrag des Zentrums für Lehrerbildung der Philipps-Universität Marburg Band 1. Tectum Verlag Marburg 2008.
Unter dem Titel „DARWIN-Jahr: Stellenwert der EVOLUTIONSTHEORIE in der SCHULE erhöhen! Koexistenz & Dialog von Glauben & Wissenschaft“ erschien die hier bei myheimat.de vorgelegte Rezension des Buches von Christian AUSTERMANN in einer ausführlicheren Version (!) mit Absicht am 12.02.2009: der Naturforscher Charles Robert DARWIN wäre 200 Jahre alt geworden. http://kommentare.zeit.de/user/wernerhahn/beitrag/...; ebenda auch erste Kommentare.
Der Beitrag – die Rezension – ist ein Artikel von vielen, die von mir in DIE ZEIT Online zum „DARWIN-Jahr 2009“ veröffentlicht worden sind; vgl. hierzu die Titel meiner ZEIT-Beiträge – im Link „Vorstellung“ der Homepage www.art-and-science.de.
(2) HAHN, Werner (2009): DARWIN-Jahr 2009: SCHÖNES und UNSCHÖNES (…) 2. Teil: Über Gestalt-Geheimnisse, RELIGIONEN-EVOLUTION & Biologie-Unterricht. In: ZEIT Online v. 25.01.2009.
Bürgerreporter:in:W. H. aus Gladenbach |
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