Thüringen
Wie die AfD nach einem Wahlerfolg die Demokratie beschneiden würde
Was wäre, wenn die Thüringer AfD nach der Wahl im September tatsächlich regieren könnte?
"In Thüringen gäbe es dann einen rechtsextremen Ministerpräsidenten, mit einem entsprechenden Programm. Das ist nicht wahrscheinlich, aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen.
...Was würde das für Thüringen bedeuten, für Deutschland, für die Demokratie?
Höcke sieht einen »langen Weg des Aufräumens und des Neuaufbaus« vor sich, so sagt er es in Pfiffelbach im November. Er nennt in seiner Rede ein paar der Dinge, die er sofort umsetzen würde.
...Er beginnt mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk", die Medienstaatsverträge würden wohl gekündigt.
"Dem MDR wäre damit die Finanzierung aus Thüringen entzogen, er wäre dort faktisch abgeschafft und müsste sein Programm ausschließlich in Sachsen-Anhalt und Sachsen produzieren, mit weniger Geld und Personal. Keine regionalen Nachrichtensendungen aus Thüringen mehr, weder im Fernsehen noch im Radio. Mit dem Kinderkanal wäre es auch erst mal vorbei, denn der sitzt in Erfurt. Zumindest müsste er umziehen, in einer anderen Rundfunkanstalt angesiedelt werden.
Höcke sagt, man würde dann ein neues Vertragswerk aufsetzen, für einen »Grundfunk«, der nur etwa zehn Prozent des aktuellen Programms enthalte – und keine »Regierungspropaganda«, wie der AfD-Mann es nennt."
Verfassungsschutz.
Der dürfte sich nicht mehr mit Rechtsextremismus und verfassungsfeindlichen Parteien befassen. Alles, was zur Verfassungsfeindlichkeit der AfD und deren rechtsextremen Netzwerken bis dahin zusammengetragen wurde, würde gegenstandslos werden. Der AfD-kritische Behördenleiter würde aus dem Amt fliegen.
"Remigration"
Höcke ist ein großer Befürworter dieses völkischen Konzepts. Er will das Ethnien getrennt voneinander leben. Menschen, auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind will er zwingen sich nach seinen Vorstellungen zu integrieren und anzupassen - oder das Land zu verlassen.
"Bei der Versammlung sagt er noch, er werde »den Kampf gegen Rechts einstellen«, Fördermittel für Demokratie soll es keine mehr geben. Das Zirkusprojekt für Kita-Kinder – fällt aus. Die Wanderausstellung »Schule und Jugend in der Diktatur« – würde nicht mehr nach Thüringen kommen. Das Projekt, in dem Kinder unabhängig von sozialer und sonstiger Herkunft zusammen tanzen – vorbei.
Auch das »Klima-Gedöns, das auf landesgesetzlichen Regelungen fußt«, werde abgeräumt, sagt Höcke. Damit wäre der Netzausbau für die Energiewende gefährdet, schließlich sollen fürs ganze Land wichtige Stromtrassen auch durch Thüringen führen. Solaranlagen auf Balkonen von Genossenschaftswohnungen, aktuell vom Land unterstützt, würden dann nicht mehr gefördert, genauso wenig wie Ladesäulen für E-Autos oder der Umbau von Plattenbauten in Niedrigenergiehäuser. Höcke und die AfD sagen, es gäbe den menschengemachten Klimawandel nicht."
"Kinder mit Behinderungen als »Belastungsfaktoren« beleidigt"
"...Klar ist, dass Höcke und die AfD sich gegen Abtreibungen positionieren. Während Familien aus Vater, Mutter und Kindern gefördert werden sollen, hätten es andere Familienformen künftig schwerer. Auch in der Bildungspolitik würde sich vieles verändern: Kinder mit Behinderungen dürften Regelschulen nicht mehr besuchen, der ehemalige Lehrer Höcke nannte sie im vergangenen Sommer »Belastungsfaktoren« und sagte, sie würden »unsere Schüler nicht weiterbringen«. Man müsse das Bildungssystem von Inklusion »befreien«."
"...Theater, Kunsthallen, Opern, die sich der Vielfalt verschrieben haben, würden kaputtgespart."
"Höcke will nach Rechtsaußen, dafür führt er einen »Kampf um die Köpfe«.
Der Rechtsruck soll auch dazu dienen, dass die AfD oder Teile von ihr nicht verboten werden. Ein weiterer Teil der Strategie: Sobald Höcke an die Macht kommt, will er dafür sorgen, dass seine Gefolgsleute in wichtige Positionen gewählt werden. Die AfD dürfte versuchen, den Landtagspräsidenten zu stellen, der Gesetze verkünden muss, damit sie wirklich in Kraft treten. Sie würde wohl auch versuchen, die Stelle des Landtagsdirektors zu besetzen, der die Verwaltung des Parlaments leitet. Und sie würde versuchen, Richterstellen am Landesverfassungsgericht mit Personal durchzusetzen, das der AfD nah steht.
Die AfD könnte darüber nicht allein entscheiden, doch auf die Richterstellen zielt sie bereits seit Längerem. Diese Woche hat sie es bereits geschafft, dass vier von ihr vorgeschlagene ehrenamtliche Richter in den Bayerischen Verfassungsgerichtshof gewählt wurden, CSU und Freie Wähler verhalfen ihnen zur Mehrheit. Außerdem ruft die AfD schon seit Jahren ihre Anhängerschaft auf, Schöffenämter zu übernehmen.
Raus aus der EU, raus aus der Nato
Das Gesamtziel ist klar: die Institutionen zu unterwandern und eine andere Gesellschaft zu schaffen. Die von Höcke genannten Programmpunkte wären lediglich die ersten Schritte.
Höcke gehört zu denen in der Partei, die raus aus der Europäischen Union wollen, egal, was solch ein »Dexit« für die Wirtschaft bedeuten würde. Er scheint tatsächlich zu glauben, dass Deutschland allein besser dran wäre. Kürzlich sagte er, dass man mal wieder Obstbäume pflanzen und Gemüsebeete anlegen solle, für »Autarkie in der Ernährung«.
Er will auch raus aus dem Verteidigungsbündnis Nato, Deutschland eng an Russland binden, sich von den USA abwenden – es sei denn, dort würde Trump wieder Präsident. Höcke will die Polizei hochrüsten. Und er würde das Waffenrecht lockern. Für all das aber reicht es nicht, die Macht in Thüringen zu übernehmen. Dafür müsste die AfD im Bund regieren.
Der Blick ins Ausland zeigt, wie schnell es gehen kann, wenn Rechtsaußenparteien die Macht übernehmen. In Italien soll es unter der postfaschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nun strafbar werden, Kinder von einer Leihmutter im Ausland austragen zu lassen. Außerdem strich Melonis Regierung kurzerhand fast 170.000 Familien das ohnehin knapp bemessene Bürgergeld. Sie verbittet sich »Lektionen« von der Presse und hat bereits einzelne Journalisten angegriffen. Die öffentlich-rechtliche Sendergruppe Rai ist zu großen Teilen auf Regierungskurs.
Kabinettsmitglieder von Meloni verbreiten zudem Hass und Verschwörungsideologien, etwa über einen angeblichen »Bevölkerungsaustausch« durch Migration. Sie hetzen heftig gegen queere Menschen, das EU-Parlament hat diese Stimmungsmache verurteilt. Trotz alledem ist Meloni der AfD insgesamt noch viel zu gemäßigt, unter anderem weil sie im Ukrainekrieg fest an der Seite des Westens steht. Höcke und seine Leute sprechen abfällig darüber, dass sie keine »Melonisierung« wollten. Auch nervt sie, dass die Lega von Matteo Salvini, ihre Schwesterpartei, keinen härteren Kurs durchdrückt.
Lieber schaut man in der AfD zu Viktor Orbán. Der ungarische Premier hat es geschafft, sich den Staat und seine Institutionen untertan zu machen, um seine illiberale Politik durchzusetzen. Demokratische Kontrollmechanismen werden nach und nach abgebaut, die Gewaltenteilung wird aufgeweicht, die Presse auf Linie gebracht. Seine Partei Fidesz kontrolliert direkt oder indirekt 70 bis 80 Prozent des Medienmarktes, so schätzen Experten.
Systematisch hat Orbán praktisch alle öffentlichen Ämter mit Fidesz-Leuten besetzt – von den Chefinnen und Chefs der großen Behörden und Ministerien bis zum Direktor des Kreiskrankenhauses. Der Generalstaatsanwalt ist ein alter Freund von ihm, Richter werden in den meisten Fällen nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt. Öffentliche Aufträge werden ausschließlich an Fidesz-nahe Unternehmer vergeben. So hat sich Orbán eine ihm ergebene Wirtschaftsoligarchie herangefüttert.
Höcke findet all das gut, will aber noch weitergehen. Vor zwei Jahren empfahl er ein Buch, in dem es um »das Scheitern der Republik« und »den Tag danach« geht. Der rechtsextreme Buchautor hofft, dass es zu einer »schockartig eintretenden und katastrophalen Krise« und damit einem »Rechtsruck« kommt. Und er beschreibt, was dann aus seiner Sicht passieren müsste: Alle zuvor Regierenden sollen juristisch belangt werden, Massenmedien entmachtet und öffentlich-rechtliche Sender abgeschafft werden. Alle Parteien sollen verboten werden.
Höcke schwärmt regelrecht für das Buch. Es sei »brillant«."
Bürgerreporter:in:Bea S. aus Gießen |
5 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.