AfD und Rechtsextremismus
Ausgefeilte "faschistoide Ideologie ...im Stil der Wannseekonferenz"

Zum "Remigrationsplan" der AfD schreibt Melanie Amann auf Spiegel online (12.01.2024). Es ist vermutlich einer ihrer besten Kommentare überhaupt:

"Der bei einem Geheimtreffen besprochene »Remigrationsplan« macht deutlich, wie weit die AfD außerhalb der Verfassung steht. Doch die etablierten Parteien scheinen resigniert zu haben.

Es gibt die AfD zweimal: einmal auf dem Papier und einmal aus Fleisch und Blut. Die eine AfD findet sich im Parteiprogramm und in Positionspapieren, es ist eine halbwegs gemäßigte Rechtspartei, ein Akteur innerhalb des demokratischen Spektrums. Die andere, die reale AfD, steht längst jenseits des Verfassungsbogens.

Diese inoffizielle AfD, die sich in vielen Einzelfällen, Tabubrüchen und Verbaleskalationen offenbart, ist schwer zu greifen. Jeden Einzelfall wedelt die AfD-Spitze mit dem Programmheftchen weg. Etwa die Bundestagsabgeordneten, die in ihren Büros die Stammkundschaft des Verfassungsschutzes als Mitarbeiter beschäftigen. Die AfD-Richterin, die sich an den Umsturzplänen der Reichsbürgerverschwörung beteiligte und nun wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung angeklagt ist. Oder die vielen AfD-Leute, die untergehakt mit Neonazis und rechten Splitterparteien durch ostdeutsche Städte marschieren. Alle im AfD-Programm nicht vorgesehen, also sollen sie nicht zählen.

Das gilt auch für die AfD-Leute, die in einem Hotel bei Potsdam mit Rechtsextremisten über den Plan berieten, Millionen »nicht assimilierter Staatsbürger« mit Migrationshintergrund loszuwerden, indem man sie in einen Musterstaat in Nordafrika abschiebt oder so lange schikaniert, bis sie freiwillig ausreisen.

Dieses Geheimtreffen hat das Recherchezentrum Correctiv publik gemacht, und der Aufschrei, der darauf folgte, ist auf den ersten Blick verwunderlich. Nichts an den Positionen, die da konspirativ verhandelt wurden, ist für die AfD neu. Der damalige Parteivorsitzende Alexander Gauland wollte schon 2018 die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz, eine deutsche Staatsbürgerin, »in Anatolien entsorgen«. Im Jahr 2020 verkündete die heutige Parteichefin Alice Weidel, der türkischstämmige Journalist Deniz Yücel, dessen polemische Texte ihr nicht passten, sei kein echter Deutscher.

Doch die AfD-Programme operieren mit dem verharmlosenden Begriff der »Remigration«. Was das konkret bedeutet, die hässlichen Details, die Drohungen gegen alle, die dem AfD-Milieu nicht deutsch und angepasst genug sind, findet man in Marktplatzreden oder in sozialen Medien, wo sich zu wenig Widerspruch regt und jeder Hetzer notfalls zum Abweichler erklärt wird.

Die Enthüllung bietet nun eine Chance, der Öffentlichkeit den Ernst der Lage klarzumachen. Plötzlich zeigt sich da ein Plan. Ein rechtsextremes Programm liegt auf dem Tisch, das ein AfD-Teilnehmer des Treffens auch seiner Parteiführung unterbreiten wollte. Die sei für solche Ideen sehr offen, soll der Mann versichert haben. In diesem Moment wird die doppelte AfD zu einer einheitlichen. Die reale AfD und die Partei, die nur auf dem Papier existiert, fügen sich zu einem Ganzen. Es zeigt sich, dass die vielen Einzelfälle ihre programmatische Logik haben, dass dahinter eine brutale, faschistoide Ideologie steht, die AfD-Leute und ihr Vorfeld im Stil der Wannseekonferenz, auf der der Holocaust organisiert wurde, bis in die bürokratischen Details ausgetüftelt haben.

Diesen Moment gilt es festzuhalten. Das Bild der realen AfD dürfte bald wieder verblassen, wenn der Bundeshaushalt in die Bereinigungssitzung geht, wenn die Bauern weiterdemonstrieren, die Lokführer weiterstreiken, Putin die Ukraine weiterbombardiert und der Krieg im Nahen Osten weitereskaliert. Aber es ist Zeit, dass Politik und Gesellschaft die reale, die echte AfD ernst nehmen.

Als die AfD noch eine Professorenpartei war, schrieben die Strategen in den anderen Parteizentralen jede Menge Papiere darüber, wie mit diesem Störfaktor umzugehen sei. Man zerbrach sich den Kopf, wie man der AfD argumentativ beikommen, welcher Ton bei ihren Anhängern verfangen könnte. Mittlerweile ist aus einem demokratisch legitimen Störfaktor eine Gefahr für das demokratische System geworden – und wo sind jetzt die Papiere? Wo bleiben die Strategien?

Es scheint, als hätten die demokratischen Parteien resigniert, als wollten sie die Verantwortung der politischen Gegenwehr auf den Schultern der Zivilgesellschaft abladen. Es gibt viele gute Argumente gegen ein Parteiverbotsverfahren. Doch wer dies ablehnt, muss Alternativen zur Verteidigung der Demokratie aufzeigen. Am besten mit starken eigenen Ideen, einer positiven Agenda, die nicht nur in der Botschaft besteht, die eigenen Leute seien die besseren Demokraten.

»Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach«, schrieb ein AfD-Bundestagsabgeordneter  auf der Plattform X. »Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.« Als würde der Rechtsstaat nicht auch Menschen ohne deutschen Pass vor Willkür schützen. Dass ein AfD-Politiker ganz ungeniert ein Verbrechen zum Versprechen umdeutet, zeigt, dass die AfD eines gelernt hat: Unsere demokratische Kultur bietet keine Sanktionen oder Schutzmechanismen gegen verfassungsfeindliche Ausfälle. Ist es nicht an der Zeit für eine neue Lektion?

Bevor der AfD-Gründer Bernd Lucke 2014 die AfD verließ, gründete er eine Plattform mit dem Namen »Weckruf«. Die AfD drohe zu einer »radikalen, sektiererischen Partei von Wutbürgern« zu werden, hieß es in Luckes Aufruf. »Wenn wir jetzt nicht entschieden entgegensteuern, ist die Partei verloren.« Luckes Ex-Partei ist lange verloren. Aber das Land noch nicht. Es ist an der Zeit, auf die vielen Weckrufe zu hören."

Bürgerreporter:in:

Bea S. aus Gießen

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