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Ich möchte keine Stunde missen…

  • Kuhlmann (hinten Mitte) im Kreis ihrer Schützlinge
  • hochgeladen von Gerhard Fritsch

Übungsleiterin Kuhlmann hat die Neugierde des Pressemanns bei seinen sportlichen Exkursionen in der Gesundheitssport-Gruppe des TSV Gersthofen geweckt. Ihm gefiel die herzliche, manchmal aber auch die energische Art, wie sie „Ihre“ behinderten Schützlinge zum Mitmachen in der „Sport- und Spielstunde“, einer Untergruppe des Gesundheitssports, animierte. Er sprach sie an und bekam ihre Einwilligung.

Sie empfängt den Mann vom Gersthofer in ihrem Haus in Haunstetten in der Leustraße. Was sofort auffällt: viele Blumen im Wohnzimmer und Garten. Das Umfeld deutet eigentlich mehr auf eine Gärtnerin hin als auf eine Sportlerin. „Ich bin gerne in meinem Garten und liebe meine Blumen“, bestätigt sie und buddelt mit viel Hingabe in ihre Geranien herum. Sie betreut auch den Garten des Wohnheims des Vereins „Lebenshilfe“ in Haunstetten, dessen Erste Vorsitzende sie ist. Der Verein nimmt sich der Anliegen behinderter Menschen an.

Der sportlich-drahtigen Übungsleiterin sieht man ihre 68 Jahre nicht an. Sie ist lebhaft und lacht viel. Keine Spur von Frust oder Resignation wenn man mit Behinderten sozusagen auf „Tuchfühlung“ ist? „Die Zeit, die ich mit behinderten Menschen verbringe, ist für mich eine Lebensbereicherung. Ich möchte keine Stunde missen“, erklärt sie. Und was war der auslösende Moment für ihr Interesse an der Behindertenarbeit?

Es begann mit ihrem inzwischen 38-jährigen Sohn Gunter der von Geburt an selbst behindert ist. Er leidet an dem Down-Syndrom; eine Krankheit, die auf einem Chromosomendefekt beruht. Für die gelernte Chemotechnikerin ein schwerer Schlag, der ihr weiteres Leben bestimmte. Nach acht Jahren Berufsausübung musste sie ihren Job an den Nagel hängen um sich Gunter widmen zu können. Er lebt inzwischen in einem Wohnheim des Lebenshilfevereins in Augsburg und besucht alle zwei Wochen seine Mutter. Natürlich ist ihr Sohn auch mit in der Sportstunde dabei. Die ca. 15 Teilnehmer –darunter etliche mit Down-Syndrom, aber auch geistigen Behinderungen- werden mit dem Auto gebracht und wieder abgeholt. Für anderthalb Stunden werden Ballspiele, Turnübungen und Gymnastik an Geräten durchgeführt. Kuhlmann leitet seit 12 Jahren die Sport- und Spielstunden in der neuen Turnhalle der Pestalozzi-Schule Gersthofen. Sie freut sich, wenn die Teilnehmer eifrig mitmachen; da gibt es dann viel Lob und auch schon Umarmungen. Sie hat viel Zeit in ihre Ausbildung zur Übungsleiterin investiert: 140 Stunden waren für den B-Schein erforderlich. Er ist bis 2010 gültig – ob sie ihn dann verlängern lässt weiß sie noch nicht. Eine große Ehrung wurde ihr 2001 zuteil, als ihr das Bundesverdienstkreuz für das Engagement um behinderte Menschen verliehen wurde.

Wer so lange und erfolgreich mit behinderten Menschen umgeht, muss schon eine besondere Einstellung zum Leben haben. „Hab ich auch“, erklärt sie und hat dabei einen resoluten Unterton in ihrer Stimme. „Ich lasse mich nicht unterkriegen“.
Warum so kämpferisch? „Ich bin in Aussig an der Elbe (Tschechei) geboren und erst 1956 in die Bundesrepublik gekommen. Das Verhältnis zu den Tschechen war nicht einfach und man musste sich als Deutscher schon manchmal durchsetzen.“ Sie erinnert sich noch an eine handfeste Auseinandersetzung mit einem tschechischen Jungen „wo beide ordentlich Haare gelassen haben“.

Erste Vorsitzende beim Lebenshilfe-Verein, Übungsleiterin beim TSV Gersthofen, Mutter eines behinderten Sohnes – bleibt da noch Zeit für sich selbst? Ja, sie nimmt sich Zeit. Außer der Liebe zum Garten ist sie leidenschaftliche Skifahrerin und spielt Volleyball im TSV Königsbrunn Außerdem ist sie noch Mitglied in einem Nähkreis, denn sie näht sehr gerne. „Ich habe meine Skianzüge alle selbst genäht“, erklärt sie stolz. Und dann interessiert sie sich noch für ganz kleine bedruckte Papierchen. Briefmarken – deutsche Postwertzeichen von denen sie alle Ausgaben ab 1945 besitzt. Wie bringt man das alles unter einem Hut? „Logistik –um ein neudeutsches Wort zu gebrauchen- ist alles“, sagt sie mit verschmitztem Lächeln. Das alles klingt nach einem erfüllten Leben. Aber sie hat doch noch einen großen Wunschtraum: Nach Neuseeland für einige Wochen, das wäre schon was. Derzeit begnügt sie sich noch mit Urlauben in Südtirol und am Meer.

Abschließend die obligate Frage nach einem Wunsch an die Leserschaft des „gersthofer“. Sie würde sich über mehr Bereitschaft junger Menschen freuen, sich als Übungsleiter im Sport ausbilden zu lassen. Ein Anliegen, das der Pressemann schon von anderer Seite auch gehört hat. Und: „Nicht wegschauen wenn Sie behinderten Menschen begegnen. Sie wollen auch akzeptiert werden als vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft, trotz ihres Handikaps“, bittet Kuhlmann eindringlich. Ein Wunsch, dem man nichts hinzufügen kann….

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