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Zum Münchener Missbrauchgutachten

Im Lukasevangelium beginnt Jesus sein öffentliches Wirken damit, dass er zuhause in der Synagoge in Nazaret so etwas wie sein Programm vorstellt. Dazu nutzt er die Worte des Propheten Jesaja. "Der Herr hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe."
Den Worten lässt Jesus Taten folgen. Es sind die Armen, die Gefangenen, die Blinden und Zerschlagenen, denen er sich im Besonderen zuwendet. Egal, ob man nun die Worte des Lukasevangeliums zugrunde legt, oder das Wirken Jesu, wie es von den anderen Evangelisten verkündet wird, letztendlich läuft es immer auf dasselbe hinaus: Was Jesus vertritt, ist eine Hoffnungsbotschaft für die Armen, eine Botschaft der Vergebung für die, die Schuld auf sich geladen haben, ein Heilsversprechen für die Leidenden und eine gute Botschaft, die die Zerschlagenen aufrichtet. Mit denen aber, die andere zu Opfern machen, geht Jesus hart ins Gericht. Gegenüber Heuchelei und Vertuschung, gegenüber Ungerechtigkeit und Unterdrückung, gegenüber bigotter Frömmigkeit und Falschheit wird Jesus durchaus sehr massiv, oder sogar handgreiflich, wie bei der Reinigung des Tempels. Das Vorbild Jesu war immer der Maßstab für das Wirken und für die Glaubwürdigkeit der Kirche. Wenn sie sich dieses Programm Jesu zu eigen macht, erfüllt sie ihren Auftrag. Wann immer sie andere Ziele verfolgt, verfehlt sie ihre Bestimmung.
So einfach könnte es sein. Ist es aber nicht. Und jedes Mal, wenn wieder ein neues Gutachten veröffentlicht wird, das sich mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche beschäftigt - wie in der vergangenen Woche für das Erzbistum München-Freising - ist an sich jede Seite davon, jeder Satz, jedes Wort, das darin steht, die sich ständig wiederholende Anklage an alle Verantwortlichen in der Kirche: Ihr habt vergessen, woher ihr kommt! Ihr habt verdrängt, wer im Mittelpunkt stehen muss: Die Armen und die Schwachen, die Opfer und die Verwundeten. Ihr führt Jesu Wort ad absurdum, weil euch niemand mehr abkaufen wird, dass euer Antrieb wirklich die Sorge um die Menschen ist! Eine ernst gemeinte Aufarbeitung, eine rest- und schonungslose Aufklärung der Geschehnisse, eine glaubwürdige Umkehr und ein ebenso glaubwürdiger Umgang mit sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche, kann und wird nur gelingen, wenn das Beispiel Jesu die Messlatte dafür ist: Die Opfer müssen im Mittelpunkt stehen, nicht das Ansehen der Institution, nicht der Ruf eines ehemaligen Papstes, nicht die Illusion, die Kirche wäre die reine und perfekte Gesellschaft, wie das einige immer noch gerne selbst glauben würden, obwohl uns dieser Irrglaube schon seit mindestens 12 Jahren krachend um die Ohren fliegt. Täter sind Täter - egal ob sie Priester sind oder nicht. Und wer Täter deckt, wird zum Mitwissenden und Mitschuldigen - egal ob Papst, Bischof, Pfarrer, Mitarbeiter oder Pfarrgemeinde. Und die Opfer sind die Opfer. Das darf man nicht relativieren, indem man Verantwortung weiterschiebt, ein falsches Verständnis von Barmherzigkeit mit den Schuldigen verkündet, vertuscht und täuscht und am Ende, wenn die Taten offen auf dem Tisch liegen, nicht einmal ein Wort der Entschuldigung und des Bedauerns über die Lippen bekommt. Geschweige denn, sich den Opfern stellt und es aushält, was sie zu sagen haben - auch wenn es noch so sehr weh tut, dass all das in der Gemeinschaft geschehen ist, der man sein Leben verschrieben hat. Die Anerkennung des Leids, das den Opfern zugefügt wurde, ist doch das mindeste, was man erwarten kann. Ich schäme mich zutiefst für diese Reaktionen meiner Kirche. Mich haben die Worte der Anwältin sehr betroffen gemacht, die bei der Vorstellung des Gutachtens dabei war, und die in ihrer Schlichtheit den Nagel auf den Kopf getroffen haben: Von jedem Kommunionkind erwartet man bei der Beichte Gewissenserforschung, Reue und Bekenntnis. Das müsse auch "die Messlatte sein für das Verhalten der Institution Kirche insgesamt und insbesondere auch ihrer führenden Repräsentanten." Solange man nicht ernstgemeint Verantwortung übernimmt, sondern sich in Ausflüchten und Relativierungen versucht, weil man um Posten, Ansehen und Macht fürchtet, wird jeder Versuch Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, ins Leere laufen. Und vielleicht sieht man es ja auch irgendwann ein, dass eine lückenlose Aufklärung nur gelingen kann, wenn man nicht mehr versucht, das Thema selbst zu bearbeiten, sondern es an unabhängige Kontrollorgane abgibt.
Zwei Dinge jedoch sind es, die ich auch dazu legen möchte. Das eine wird gerne übersehen: Dass derzeit so viele Missbrauchsfälle aufgedeckt werden, hängt unter anderem auch damit zusammen, dass Kirche mit den Gutachten, die sie ja selbst in Auftrag gegeben hat, beginnt, dieses beschämende Thema zu beleuchten und dadurch schon mal zumindest Willen zur Aufarbeitung zeigt. Nur sollten die Konsequenzen, die man daraus zieht, deutlich entschlossener und glaubwürdiger werden. Und das zweite: Mir persönlich ist immer auch wichtig, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass Kirche mehr ist, als das, was es an ihr zu beklagen gibt. Ich sehe gerade in unseren Gemeinden so viele Menschen, denen es ein Anliegen ist, der Botschaft Jesu Gehör zu verschaffen - allem zum Trotz. Sie sind der Grund, weshalb Kirche für mich eine Hoffnungsgemeinschaft ist.

(als Predigt gehalten in Gersthofen am 3. Sonntag im Jahreskreis)

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