Scala & Kolacny Brothers: „Hungriges Herz“ beim Konzert in Gersthofen als Zugabe
Scala & Kolacny Brothers touren 2011 erstmals durch Süddeutschland. Am Freitag, 13.05.2011, machte der belgische Mädchenchor mit dem für die Arrangements verantwortlichen Komponist Steven Kolacny am Klavier und dessen Bruder Stijn Kolacny als Dirigent Station in Gersthofen. Im Kleinen Saal begeisterte der Chor ein relativ junges Publikum und erhielt für die gelungene Darbietung stehende Ovationen.
Singen Scala wirklich live?
Ganz in Schwarz, aber nicht einheitlich gekleidet kamen in die Mädchen mit einem Hauch von Mystik nach und nach auf die Bühne. Mit Vokalgesang bei „White Moon“ eröffneten sie den Abend, gefolgt von „The beautiful people“, einem Song von Marilyn Manson. Der Einstieg klang fast zu perfekt. Zwei Lieder, mystisch, technisch verstärkt – man mochte durchaus daran zweifeln, ob der Gesang tatsächlich live vorgetragen wurde. Da der komplette Chor sich danach allerdings umdrehte, nach grünen Flaschen bückte und trank, darf von davon ausgegangen werden. Fest steht: in einigen Stücken wurde mit Tricks aus der Technikkiste wie Hall-Effekten und musikalischer Unterstützung von Band nachgeholfen, um den von Stijn Kolacny als „wunderbare Akustik“ bezeichneten Klang zu erzeugen. Nicht umsonst forderte er einen „Riesenapplaus für die Techniker“. Ab dem dritten Lied war dennoch fast kontinuierlich ein Rauschen im Saal wahrnehmbar.
Interessant in puncto Akustik war auch die Platzierung der Mikrofone. Eines fing die Klaviertöne ein, vier weitere standen hochgeschraubt auf der Bühne verteilt in einiger Entfernung der Mädchen. Wieso klangen ihre Stimmen in vielen Songs dann so makellos wie von CD? Ansteckmikros waren von den hinteren Plätzen aus nicht zu erkennen. Bis der Chorleiter seine Schäfchen in die Gänge zwischen den Stühlen schickte. Je fünf junge Belgierinnen auf beiden Seiten strömten aus, um Michael Bojesens dänischen Klassiker „Evigheden“ sowie „Engel“ von Rammstein zu singen. Laut zu hören waren dabei allerdings die vier Chormädels, die auf der Bühne blieben. Knapp einen Meter links vor dem Autor dieses Scala-Berichts stand eine Sängerin, mit dem Gesicht zur Bühne gewandt. Für einen kurzen Moment des Rammstein-Refrains war möglicherweise ihre Stimme zu hören. Bewegten die jungen Damen etwa nur die Lippen?
Eine Zuhörerin, deren Ohren für den Live-Test besser platziert waren, bestätigte einerseits den Verdacht, räumte ihn jedoch direkt aus. Sie hörte den Gesang der einzelnen Stimme tatsächlich, wenn auch sehr leise. Das Faszinierende daran? Jenes leise „Engel“-Chormädchen schmetterte beim direkt anschließenden A-Cappella-Stück „Go where I send thee“ von Stephen Hatfield ihre kraftvolle, schöne Stimme als Solistin durch den Kleinen Saal.
Scala & Kolacny Brothers von „Creep“ bis Trance mit großer Musik-Palette
Mal laut, mal leise, mal langsam, dann mit Tempo – nach anfänglich Scala-typisch tendenziell monoton klingendem Gesang kam im Verlauf des Konzerts in Gersthofen richtig Variation hinein. Auch was die Folge und Auswahl der Songs anging. Von „Seashell“ (Steven Kolycny) über die im Film „The Social Network“ vorkommende Scala-Version des Radiohead-Hits „Creep“ bis hin zur discotauglichen Trance-Nummer „I fail“ von Regi Pengsten, Koen Buyse und Steven Kolacny mit mächtigen Beats und rein vokalen Passagen reichte das Spektrum.
Die Kolacny Brothers haben maßgeblichen Anteil am Erfolg des Mädchenchors und der Show. Sie necken sich auf der Bühne, spielen sich die Bälle zu – meist auf Deutsch. Und kurz vor dem anvisierten Ende schmeichelte Steven dem Publikum enorm. Er war sich sicher, dass „the audience“ in Gersthofen Scala & Kolacny Brothers den besten Auftritt der Woche beschert. In München und Neu-Isenburg waren sie schon, am Wochenende geht’s noch nach Stuttgart und Nürnberg. Wenn Steven Kolacny während der Show nicht Klavier spielte, mit dem Publikum oder seinem Bruder sprach, verschwand er von der Bühne und übergab diese der elektronischen Musik, den Mädchen und seinem Bruder.
Magier in Extase gewährt üppige Zugabe
Stijn Kolacny blühte in seiner Rolle als Dirigent ohne Taktstock, aber mit vollem Körpereinsatz richtig auf. Mit teils ekstatischen Bewegungen und häufig den Text frenetisch, wenn auch nicht zu hören, mitsingend, kitzelte er saubere Töne aus den jungen Damen vor ihm heraus. Dabei bleibt bei so manchem Zuschauer vor allem ein Bild vor dem geistigen Auge haften: Ein Magier, der die zündende Idee für ein Elixier hat und mit ausholenden, wilden Armbewegungen alles flüssigen Zutaten in seinen Kessel kippt, ohne darauf zu achten, dass er reichlich davon verschüttet. Und die Mädchen? Bei den geisterhaft-mystischen Arrangements, die wunderbar als Hintergrundmusik für einen Psychothriller gepasst hätten, wirkten ihre Stimmen faszinierend makellos. Ohne Live-Klavier, mit Musik von Band, fragte man sich bisweilen erneut: Wie viel davon ist wirklich echt? Nur die Vokale? Auch die Flüsterlaute? Definitiv live waren jedenfalls Lieder, die kraftvoll und schnell vorgetragen wurden.
Die Texte meisterten die Belgierinnen hervorragend. Egal ob beim ungewohnt euphorisch arrangierten „Junimond“ mit umso melancholischer klingendem Refrain oder bei der ersten Zugabe „Schrei nach Liebe“. Sie folgte übrigens auf das Trance-Stück und wurde am Klavier mit ein paar Notenzeilen der deutschen Nationalhymne angeteasert. Ein krasser Schnitt, was die Songfolge angeht, aber ein durchaus reizvoller in Bezug auf die Thematik des Liedes der Punkrock-Band „Die Ärzte“. Dass das Publikum allerdings nicht mit dem Multi-Nachhall des letzten Wortes aus dem Lied („Arschloch“) von dannen zog, war klar. Erstens, weil es sich nicht gehört, mit „Arschloch“ im Ohr ein Konzert zu verlassen. Zweitens, weil die Mädels auf der Bühne stehen blieben und drei von ihnen unabhängig voneinander zur Trinkflasche griffen, bereit fürs nächste Lied. Drittens, weil Scala & Kolacny Brothers noch nicht den Song zum Besten gegeben hatten, mit dem sie den Durchbruch in Deutschland schafften.
„Hungriges Herz“ von Mia war dann prompt die zweite Zugabe, gefolgt vom U2-Hit „With or without you“. Zum Abschluss – und nachdem die Kolacny Brothers sich mehrfach verbeugt und Applaus abgestaubt hatten – gehörte die Aufmerksamkeit dann allein dem Chor. Sie verließen den Kleinen Saal mit einem letzten Lied ganz in der Manier des Einzugs. In adäquater Aufstellung, mit tosendem Beifall und einem Hauch von Mystik.