Ich habe mir Respekt erarbeitet.
Der Jahreswechsel steht vor der Türe. Für viele Menschen ein neues Jahr, dem sie mit Bangen entgegensehen. Wirtschaftskrise, Umweltveränderungen, Auswirkungen der x-ten Gesundheitsreform -um nur einige Ursachen zu nennen- halten die Erwartungen niedrig. Um so wichtiger ist es, sich einige Oasen der Lebensfreude zu erhalten. Dazu gehören Volksfeste und der dazu gehörige Bierzeltbetrieb. Die meisten von uns kennen das Bierzelt aus der Gastrolle. Wir wollen diesmal einen der vielen dienstbaren Geister vorstellen, die sich um das Wohlergehen des Gastes kümmern. Und wer wäre dazu besser geeignet als eine Bierzeltkellnerin.
Der myheimat-Mann hat die Kellnerin Sibylle Schulz bei der letzten Kirchweih in Gersthofen „dienstlich“ beim Bieranstich kennen gelernt. Immer auf der Suche nach interessanten Interviewpartnern fragte er die freundliche und sympathische Bedienung, ob sie mitmachen würde. Sie willigte zu einem “Date“ ein das in ihrer Wohnung in der Bauernstraße in Gablingen statt fand.
Schulz, 43 Jahre alt und Mutter von drei Kindern, ist eine Vollblut-Kellnerin. Sie ist seit 20 Jahren im Geschäft, vornehmlich auf dem Oktoberfest, aber auch bei anderen Volksfesten in Bayern. Im vergangenen Jahr war sie auf 14 Festen unterwegs. „Für mich ist meine Arbeit Berufung“, versichert sie strahlend. Eine Aussage, die jeder ihr ohne weiteres abnimmt, wenn man sie bei der Arbeit beobachtet. Sie kann maximal 19 volle Krüge stemmen, durchschnittlich sind es 14. Jeder Gast wird mit einem gewinnenden Lächeln bedient. Wie schaut nun so ein typischer Bierzelt-Arbeitstag aus? Bierkrüge stemmen ist nicht alles. Arbeitsbeginn ist 9:30 Uhr. Es wird „abgestuhlt“ (Bänke vom Tisch auf den Boden), Besteck hergerichtet und geklärt, wer wo bedient. Ca. 11:00 Uhr erscheinen die ersten Mittagsgäste. Dann fließt das Bier und rollt der Rubel. Ab 14:30 Uhr wird es wird es ruhiger und die Kellnerinnen finden Zeit eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Besteck muss wieder vorbereitet werden. Gegen 17:00 Uhr beginnt die abendliche „Rushhour“ die bis 23:00 Uhr dauert. Danach muss abgeräumt und „aufgestuhlt“ (Bänke auf den Tisch) werden. Gegen Mitternacht kann's dann nach Hause gehen.
Ein Job, der nicht für jedermann geeignet ist. „Robuste Gesundheit, ein „dickes Fell“, Ehrlichkeit und Ausdauer braucht man schon“, sagt die Kellnerin nach kurzem Überlegen. Menschenkenntnis ist gefragt, wenn der Gast nicht zahlen kann (oder will). Bekommt er seine bestellte Maß Bier und verlässt sich auf die Beteuerung, dass er am nächsten Tag die Zeche begleicht gegen Überlassung eines Ausweispapiers oder bekommt er nichts. Es gibt aber auch Fälle, an die sich Schulz gerne erinnert. So kam z. B. Ein Gast am Folgetag seines Bierzeltbesuches (mit umfangreicher Zeche) zu ihr und fragte besorgt nach, ob sie wirklich richtig ab kassiert hat. Sein Wahrnehmungsvermögen war schon etwas getrübt und er hatte keinen Überblick mehr, ob sie alles berechnet hat. Sie bejahte und bekam nochmals ein dickes Trinkgeld. Apropos Trinkgeld. „Einfache Leute geben bereitwilliger und reichlicher Trinkgeld als die sogenannten feinen Leute“, stellt Schulz fest. Und erinnert sich an den ehemaligen Finanzminister Theo Waigl, den sie vor ca. 15 Jahren beim Oktoberfest in München als Gast zu bedienen hatte. Er war für die damalige Regelung verantwortlich, dass vom Trinkgeldaufkommen drei Prozent versteuert werden musste. Als der Minister mit Gefolge wieder aufbrach, bedankte er sich bei ihr für die gute Bedienung. Schulz nahm die Gelegenheit war und entgegnete trocken, dass sie keine 3 Prozent von dem „Dankeschön“ abführen könne. Waigl stutzte, lachte freundlich, ging und ließ sie trinkgeldlos zurück...
Wenn im Bierzelt der Alkoholpegel steigt, steigt auch das „Annäherungsbedürfnis“ manch männlicher Gäste gegenüber den Kellnerinnen. Wie verhält sich da unser Interviewgast? „Ich habe mir Respekt erarbeitet. Anbandeln im Bierzelt gibt es nicht“, erklärt Schulz resolut. Sie ist in „festen Händen“ ihres Lebenspartners Stefan. Und wenn es doch einer versucht, zum Beispiel mit einem Klaps auf den Allerwertesten? Dann gibt’s einen strengen Blick und ein „das lasch' aber.“ Und wenn es ganz schlimm kommt, dann fallen auch schon Ohrfeigen. „Allerdings erst zweimal in immerhin 20 Jahren“, erinnert sie sich und ist froh darüber.
Was macht „Bedienung“ Schulz, wenn sie nicht kellnert? Sie fotografiert gerne digital und bearbeitet anschließend die Bilder am PC. Was ihr besonders viel Spaß macht, ist Theaterspielen auf einer Heimatbühne in Westendorf, wo sie früher gewohnt hat. „Ich habe mich auf keine bestimmte Rolle festgelegt“ lacht sie. Sie spielt auch gerne Kellnerin, das Zeug dazu hat sie ja... Eine Frage hat sich der Pressemann bis zum Schluss aufgehoben. Was verdient eine Bierzeltkellnerin in zwei Wochen Oktoberfest-Einsatz bei ca. 15-stündigem Arbeitstag. Sie macht kein Geheimnis daraus? „Zwischen 4.000 – 5.000 Euro einschließlich Trinkgeld.“ Es gibt keinen Festlohn, was zählt ist der Umsatz. Bei kleineren Festen ist der Verdienst wesentlich geringer. Und wie lange will sie den Job noch machen? „So lange die Gäste sich freuen, wenn sie mich sehen“, lautet die entwaffnende Antwort. Da wird sie aber noch lange in Bierzelten zu sehen sein, vermutet der myheimat-Mann...
Vielen Dank für diesen Beitrag und Menschen wie Sybille Schulz, die Ihre Berufung gefunden hat und dabei Menschen geblieben ist - sehr schön!