Rechtsprechung zur „höheren Gewalt“ im Reiserecht

Gemäß § 651 j BGB kann der Reisende eine Pauschalreise kündigen, wenn die Reise in Folge bei Vertragsschluss nicht vorhersehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird. Hierbei ist eine Pauschalreise im Sinne des BGB dann gegeben, wenn vom Reiseveranstalter eine Gesamtheit von Reiseleistungen erbracht wird. Dies bedeutet, dass mindestens zwei einzelne Reiseleistungen (beispielsweise Flug und Hotel) vom Reiseveranstalter geschuldet werden und eine Bündelung dieser Leistungen gegeben ist.

Die hier thematisierte höhere Gewalt ist ein haftpflichtrechtlicher Begriff und wird definiert als ein von außen kommendes Ereignis, welches keinen betrieblichen Zusammenhang aufweist und auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbar ist. Zur höheren Gewalt gehört auch, dass das Ereignis unvorhersehbar und erheblich ist.

Ein Anhaltspunkt für das Vorliegen höherer Gewalt ist stets eine Reisewarnung des auswärtigen Amtes, beispielsweise für den Fall politischer Unruhen in einem Reiseland. Erfahrungsgemäß ist das auswärtige Amt allerdings beim Ausspruch von Reisewarnungen äußerst zurückhaltend, sodass bei der Beurteilung, ob ein Fall der höheren Gewalt vorliegt nicht nur auf die Warnungen des Auswärtigen Amtes abgestellt werden kann, sondern auch auf die Rechtsprechungslandschaft abzustellen ist. Hier gibt es eine Vielzahl von Urteilen die sich hauptsächlich in die Bereiche „politische Unruhen“, „Umweltereignisse“ und „sonstige Ereignisse“ gliedern.

Beispielsweise wurde durch das Landgericht Düsseldorf im Jahr 2007 höhere Gewalt bei vier zeitgleichen Anschlägen in der Türkei verneint mit der Begründung, vier Anschläge stellen noch keinen bürgerkriegsähnlichen Zustand dar. Durch das Amtsgericht Bonn wurde 2009 höhere Gewalt bei der israelischen Offensive im Gazastreifen (2008) ebenfalls verneint, da Kriegshandlungen in diesem Bereich vorhersehbar seien und angrenzende Gebiete nicht beeinträchtigen würden.
Höhere Gewalt wurde allerdings durch das Amtsgericht Hamburg bei den politischen Unruhen in Ägypten im Jahr 2011 bejaht, wobei der Reisende die Beeinträchtigungen selbst nachweisen musste.

Bei Umwelteinflüssen neigt die Rechtsprechung dazu, häufiger höhere Gewalt anzunehmen, so beispielsweise das AG Augsburg bei der SARS Lungeninfektion im Jahr 2004, das AG Dachau bei der Tsunami Flutkatastrophe in Süd-Ostasien im Jahr 2004, das AG Neuwied bei der Ankündigung von Wirbelstürmen im Jahr 2006 sowie das Amtsgericht Weisenfels bei Waldbränden im Jahr 2011, da auch solche Brände eine Naturkatastrophe darstellen.

Auch sonstige Einflüsse können die höhere Gewalt bedingen. So urteilte das OLG Frankfurt im Jahr 2004, dass höhere Gewalt vorliegen würde bei der Änderung von Einreisebestimmungen, wenn die Beschaffung des Visums nicht mehr möglich und die Änderung nicht angekündigt war. In 2011 wurde höhere Gewalt durch die Beschädigung des Atomkraftwerks in Fukushima angenommen, da die Lage im Atomkraftwerk nicht mit Sicherheit beurteilt werden konnte.

Ein Vogelschlag am Flugzeug wurde nicht als höhere Gewalt beurteilt, da hier ein betrieblicher Zusammenhang mit der Luftfahrt bestehen würde.

Dies zeigt, dass über die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes hinaus häufig höhere Gewalt gegeben ist, was bei Pauschalreisen eine Stornierung durch den Reisenden ermöglichen kann.

Unabhängig davon, wer die berechtigte Kündigung erklärt hat, verliert der Reiseveranstalter dann den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Bereits entrichtete Zahlungen auf den Reisepreis sind zurück zu gewähren. An die Stelle des Reisepreises tritt gemäß § 651 e Abs. 3 Satz 2 BGB ein Entschädigungsanspruch. Dieser bezieht sich auf die bereits erbrachten und noch bis zur Beendigung der Reise zu erbringenden Reiseleistungen. Der Reiseveranstalter kann für bereits erbrachte oder zur Beendigung der Reise noch zu erbringende Reiseleistungen eine angemessene Entschädigung verlangen. Dies gilt jedoch nicht, soweit diese Leistungen in Folge der Aufhebung des Vertrages für den Reisenden kein Interesse mehr haben.

Wird der Reisevertrag allerdings bereits vor Reisebeginn gekündigt, so hat der Veranstalter noch keine Reiseleistungen für den Reisenden erbracht und ein solcher Entschädigungsanspruch besteht grundsätzlich nicht.

Bürgerreporter:in:

Greiner & Kollegen PartGmbB Rechtsanwälte aus Friedberg

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