Einmal nur ...
Winterberg im Böhnerwald ist eine Stadt in Tschechien. Heute heißt die Stadt Vimperk. Sie liegt nahe an der deutschen Grenze im Bayerischen Wald und gehört heute zum Ortskreis Prachatice in der Südböhmischen Region. Winterberg war einst Zentrum der böhmischen Glasindustrie und der weltbekannte Drucker Johann Steinbrener gründete hier seine Druckereien und seinen Verlag.
In Winterberg lebte und wohnte ein Vater mit seiner Frau und seinen drei Söhnen. Ein großes landwirtschaftliches Anwesen mit vielen Beschäftigten und ein Holztransportunternehmen nannte er sein Eigen. Einer der Söhne ist mein Vater. Seit der Vertreibung im Winter 1945 hat es viele Gespräche mit Menschen gleichen Schicksals gegeben, bis mein Vater sich gegen Ende der 80er Jahre entschlossen hat, seine Heimatstadt zu besuchen. Ich habe ihn dorthin begleitet.
Da saß ich nun, zusammen mit ehemaligen Schulkameraden meines Vaters in einem Reisebus und erlebte beim Überqueren der deutsch-tschechischen Grenze ein Schweigen, dass man eine Stecknadel hätte fallen gehört – wäre da nicht das Brummen des Motors zu hören gewesen. Die Fahrt nach Winterberg dauerte von der Grenze ab nur eine kurze Zeit und das Ziel war zügig erreicht. Wie ein kleiner Junge stand mein Vater auf dem Parkplatz vor den Toren der Stadt und blickte mit einem Schulterzucken auf die Überreste der Streinbrener-Druckerei in deren geborstene Fensterscheiben Tauben und andere Vögel ein uns aus gurrten und zwitscherten. Lange hat es gedauert, bis mein Vater einen Fuß vor den anderen setzte und los marschierte. Ich fogte ihm schweigend.
Zielstrebig ging es hinauf auf eine Anhöhe und mit einem traurigen Lächeln nahm mein Vater oben angekommen Platz auf einer verfallenen Bank. Ich setze mich neben ihn und blickte hinunter auf den Ort. Eine breite Straße war zu erkennen an deren Rändern sich Haus neben Haus reihte. Auf einer Anhöhe sah man ein großes, burgähnliches Bauwerk.
"Das waren unsere Wiesen und Felder", deutete mein Vater in die Umgebung. "Wir haben dort oben in den Wäldern noch Holz zum Transport geladen. Mein Vater hat wie immer seine Pfeife nicht aus dem Mund genommen, während er die Arbeiter anwies." Er nahm meine Hand ganz fest in seine und drückte sie. "Wir hatten uns schon so auf das Abendessen gefreut und Vater hat wieder mal davon geschwärmt, dass "Mutter" (so nannte er seine Frau) die beste Köchin der Welt sei."
Ich fühlte seine Hand zittern bei seinen Worten. "Wir waren noch keine Stunde zuhause an diesem Abend, als an unser Tor gehämmert wurde. Noch heute erinnere ich mich, dass meines Vaters Frau gerade das Abendessen auftragen ließ. Tschechische Soldaten standen vor der Tür und haben uns aufgefordert, alles zusammen zu packen, was wir tragen können. Und wir und alle Beschäftigten sollten uns umgehend auf die Straße begeben." Die Stimme meines Vaters war leise geworden fast unhörbar.
"Unsere Beschäftigten hat man zusammen mit den anderen aus den umliegenden Häusern mitten auf die Straße getrieben. Man hat sie vor unseren Augen geschlagen, zu Tode geprügelt und erschossen.Wir wurden auf Lastwagen verfrachtet und zum Bahnhof gebracht. Es war wie ein Viehtreiben. In Güterwagons wurden wir nach Bayerisch Eisenstein gefahren und aus den Wägen getrieben. Da standen wir dann, mit ein paar wenigen Habseligkeiten nachts auf einem Bahnhof, zusammen mit tausenden anderen."
Langsam sind mein Vater und ich die Anhöhe hinunter gegangen und hinein in seinen Heimatort. Hand in Hand standen wir vor seinem Elternhaus, in dem heute sechs Mietsparteien wohnen. "Da oben, im zweiten Fenster von rechts habe ich mein Zimmer gehabt", flüsterte er mir zu.
Einmal nur habe ich meinen Vater weinen gesehen, schluchzend wie ein Kind stand er vor seinen Erinnerungen. Hilflos stand ich daneben, hielt seine Hand. Ich werde diese Momente nie vergessen.
Ein sehr emotionaler Beitrag, Franz.
Ein Cousin von mir hat ähnliches erlebt. . .
Auch er kann die Reise, die er mit seiner
Mutter unternommen hatte, bis heute nicht vergessen!
Danke dafür und ganz liebe Grüße nach Friedberg - Gisela