„Digital säen - lokal ernten“: Ein Interview mit Friedbergs neuer Citymanagerin, Bianca Roß

Aktiv Ring-Geschäftsführerin Renate Mayer (links) und Friedbergs neue Citymanagerin Bianca Roß (rechts) arbeiten Hand in Hand | Foto: Beck, Stadt Friedberg
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  • Aktiv Ring-Geschäftsführerin Renate Mayer (links) und Friedbergs neue Citymanagerin Bianca Roß (rechts) arbeiten Hand in Hand
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myheimat: Frau Roß, Sie haben im Juli Ihre Tätigkeit aufgenommen. Ihr Vorgänger scheiterte am überzogenen Erwartungsdruck schon innerhalb des ersten Jahres. Was machen Sie anders als Ihre Vorgänger? Ist Ihr Stellenprofil nun jedem Stadtrat klar?

Bianca Roß: Das Tätigkeitsspektrum in dieser Stelle ist mit Wirtschaftsförderung und Citymanagement nach wie vor so breit angelegt, dass hier jeder Stakeholder seine eigenen Prioritäten interpretieren kann. In nur einer Stabstelle kann somit zwangsläufig nicht alles in diesem Maß in die tatsächlichen Schwerpunktthemen einfließen. Für 2021 etwa ist der Fokus meiner Tätigkeit klar durch den Umbau der Bahnhofstraße vorskizziert. Es wurde der Bedarf eines begleitenden Baustellenmarketings erkannt und im Citymanagement angesiedelt. Auch die Sonderanforderungen durch pandemiebedingte Einschränkungen und Alternativplanungen im Veranstaltungskalender sind nicht selbst gewählt, erfordern aber dennoch eine besondere Aufmerksamkeit. Entscheidend für mich ist, dass der gemeinschaftlich abgesteckte Aktionsplan qualitativ umgesetzt wird, ich halte nichts von wildem Aktionismus und setze lieber auf nachhaltige strategische Zielsetzungen denn „Allen alles recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.“

myheimat: Sie studierten Sozial- und Wirtschaftsgeografie an der Universität Augsburg mit den Schwerpunkten Wirtschaftsförderung und Tourismus. Ab 2007 waren Sie dann bei der Förderagentur Augsburg als Projektleiterin angestellt. Dort waren Sie unter anderem für Stadtteilentwicklung und Kurzarbeiterqualifizierungsberatung zuständig. In der letzten Wirtschaftskrise von 2009 hatten Sie deshalb viel Kontakt mit Unternehmen. Inwieweit können Ihnen die damals gesammelten Erfahrungen bei der Bewältigung der aktuellen Coronakrise und ihrer Folgen helfen?

Roß: Entscheidend war 2009 das persönliche Gespräch mit den Unternehmensverantwortlichen, um einen Perspektivenwechsel zu erzielen. Die Krise konnte damals von vielen als Chance für eine breit angelegte und sogar von der Agentur für Arbeit geförderte Qualifizierungskampagne genutzt werden. Diese geförderte Weiterbildungsmöglichkeit besteht übrigens auch aktuell im Rahmen des Qualifizierungschancengesetzes - wobei durch Corona natürlich Präsenzangebote nicht im Vordergrund stehen. Ein weiterer Erfolgsfaktor 2009 und nicht zuletzt ein Alleinstellungsmerkmal der Förderagentur war das gute interdisziplinäre Netzwerk, wodurch Möglichkeiten und Maßnahmen schnell und mit vereinten Kräften realisierbar waren. Als eine meiner wichtigsten Basisaufgaben sehe ich den Netzwerkausbau auch in meiner neuen Position. Der Mehrwert von Citymanagement und Wirtschaftsförderung für den Friedberger Unternehmer wird durch die Bündelung und Synergieeffekte der Angebote und des Wissenspools unserer Partner maximal gesteigert.

myheimat: Was zeichnet aus Ihrer Sicht Friedbergs Geschäftswelt aus?

Roß: Die Friedberger Innenstadt ist geprägt von einer gesunden Mischung aus inhabergeführten Traditionshäusern und einer geringen Anzahl Filialisten mit ergänzendem Angebot. Die Identifikation mit dem Standort Friedberg und die Bereitschaft der Geschäftsleute, sich in und für ihre Stadt zu engagieren, ist sehr groß und zeigte sich in der Vergangenheit bereits in zahlreichen Aktionen und gemeinschaftlichen Maßnahmen. Diese Verbundenheit und Treue spiegelt sich auch auf der Kundenseite wider und führt zu einem wertvollen Potential, das insbesondere in Krisenzeiten wieder stärker an Wertschätzung und Bedeutung gewinnt.

myheimat: Der stationäre Einzelhandel befand sich schon vor der Coronakrise in einer schwierigen Situation. Für die „klassischen“ Ladengeschäfte scheint der anonyme Online-Handel zu einer übermächtigen Konkurrenz zu werden. Die aktuelle Krise verschärft die Problematik noch zusätzlich. Wie wollen Sie eine vielfältige Geschäftswelt in Friedbergs Innenstadt „am Leben“ halten?

Roß: Hierbei handelt es sich um einen globalen Entwicklungstrend, der nicht extrinsisch motiviert und schlicht mit einer Stellenbesetzung abgewendet werden kann. Ausschlaggebend für das Überleben ist die Befähigung und Bereitschaft der stationären Händler, auch online sichtbar zu werden, sich dem veränderten Kaufverhalten anzupassen. Generationenübergreifend steht inzwischen das Produkt und dessen Verfügbarkeit im Vordergrund. Die Bezugsquelle ist zweitrangig und wird nach Kaufkomfort, Preis und Erreichbarkeit ausgewählt. Was wir anbieten können, sind Qualifizierungsmaßnahmen und Einstiegshilfen, Best Practise-Beispiele und dem Dialog für gemeinschaftliche Entscheidungen eine Plattform zu bieten. Die Devise „Digital säen - lokal ernten“ ist in der Friedberger Geschäftswelt längst angekommen und wurde vom Aktiv Ring und den Angeboten der Rid-Stiftung bereits erfolgreich eingeführt. Der Entwicklungsstand auf dem Weg zur Digitalisierung zeichnet sich vor Ort sehr heterogen ab und jedes Unternehmen muss sich im eigenen Tempo auf die Zukunft einstellen. Von städtischer Seite können wir hierbei Anreize setzen, das Changemanagement begleiten und die Lern- und Entwicklungsinfrastruktur bestmöglich unterstützen.

myheimat: Welche Konzepte, Strategien und Maßnahmen können dabei helfen, die „Online-Sichtbarkeit“ der stationären Händler zu verbessern?

Roß: Die Steigerung einer wirkungsvollen Onlinesichtbarkeit erfolgt in einzelnen Entwicklungsstufen. Grundstein für die individuelle Sichtbarkeit im Netz stellen einzelbetriebliche Maßnahmen dar, etwa die eigene Website, Google-Einträge, Bewertungsplattformen und Social-Media-Kanäle. Das alles macht allerdings nur mit korrekten und aktuellen Angaben Sinn und liegt bis hierher alles in der Verantwortung des Unternehmers. Die nächste Stufe wäre etwa ein digitales Gutscheinportal oder Bezahl- und Bonuspunktesystem per App oder ein gemeinsames Onlineschaufenster (wie etwa einkaufen-in-friedberg.de), hier wächst der Moderationsbedarf und damit die Einwirkungsmöglichkeit von Gewerbeverbänden oder Citymanagement allmählich. Das aktuelle Optimum stellt ein möglichst flächendeckend eingesetzter Onlinemarktplatz mit integrierter Shop- und Reservierungsfunktion dar. Die inzwischen unüberschaubare Vielzahl an Anbietern für diese technischen Lösungen erfordert für eine standortübergreifende Lösung jedoch eine intensive moderierte Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Bedarfen und branchenspezifischen Anforderungen. Ebenso ist für die Umsetzung ein beratungs- und betreuungsintensives Projektmanagement auch von technischer Seite unerlässlich.

myheimat: „Viele positive Veränderungen sind aus Krisen entstanden“ – Können Sie diesem Satz etwas abgewinnen?

Roß: Definitiv. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und nur wenn er aus meist unbequemen Gründen gezwungen wird, seine Bahnen zu verlassen, entdeckt er neuere vielleicht sogar interessantere Wege. Es kostet Energie und Zeit, sich mit Innovationen auseinanderzusetzen, das geschieht selten ohne Leidensdruck. Historisch gesehen haben wir unzählige Beispiele für gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Entwicklungen aus Krisenphasen heraus.

myheimat: Sie wollen in Friedberg ein „Wir-Gefühl“ erzeugen. Was genau verstehen Sie darunter?

Roß: Das „Wir-Gefühl“ ist bereits überwiegend vorhanden. Die Stadtgröße ermöglicht persönliche Kontakte und Beziehungen zwischen Kunden und Händlern, aber auch innerhalb der Geschäftswelt. Die Nähe zu und historische Abgrenzung von Augsburg verbündet auch heute noch im Sinne einer positiven Alleinstellung gegenüber der großen Nachbarstadt und Standortkonkurrenz. Wer einmal die Friedberger Zeit miterlebt hat, weiß, was hier gemeinsam bewegt wird und welcher Identifikationswert sich daraus ableitet. Auch im Hinblick auf das persönliche Engagement für Kultur, Wirtschaft und die gesamte Stadt zeigt sich genau darin eine von Friedbergs Stärken.

myheimat: „Städte werden ihre Attraktivität nicht mehr allein über ihr Warenangebot entwickeln können. STADT wird sich künftig noch mehr definieren über ihre Aufenthalts-, Erlebnis- und Kommunikationsqualität“, sagte uns vor kurzem Klaus Habermann in einem Interview. Hat Aichachs Bürgermeister damit recht? Muss man am Ende „Innenstadt“ ganz neu denken?

Roß: Das ist in meinen Augen keine Zukunftsvision mehr. Inzwischen ist es meist bequemer, für den täglichen Bedarf mit dem Auto auf ausgelagerte Einkaufszentren auszuweichen, daher muss die Innenstadt bereits heute einen Mehrwert gegenüber den tristen Betonblöcken bieten. Neben einem ausgewogenen und breiten Einzelhandelsangebot braucht „Stadt von HEUTE“ einen Mix aus Gastronomieerlebnissen, Freizeit (Parks, Spielplätze, Bibliotheken, Bücherschränke), sozialen Kontaktmöglichkeiten (z.B. Gemeindetreffpunkte, Generationensportanlagen) und Events für diverses Publikum. Das einzige Feld, in dem Friedberg aus meiner Sicht - unter Nicht-Pandemiebedingungen - noch Optimierungsbedarf zeigt, sind analoge und digitale Informations- und Dialogplattformen rund um das Stadtleben und dessen Angebote.

myheimat: Der Umbau bzw. die Neugestaltung der Friedberger Bahnhofstraße ist ein viel diskutiertes Thema in der altbayerischen Herzogstadt. Was versprechen Sie sich von dieser Baumaßnahme für die Geschäftswelt?

Roß: Im Zuge der Baumaßnahme wird die gesamte Optik des Ensembles - angefangen vom Jakobsplatz bis hinab zum Kriegerdenkmal - qualitativ und optisch aufgewertet. Die Außengestaltung der Ludwigstraße als Haupteinkaufsmeile in 1A-Lage setzt sich künftig auch in die Bahnhofstraße fort, was neben der Begrünung ein wesentlich einladenderes Ambiente mit gesteigerter Aufenthaltsqualität verspricht. Ein klarer Gewinn für die anliegenden Geschäfte. Bis es allerdings Mitte 2022 so weit ist, steht noch einiges an Arbeit bevor. Aber auch durch das begleitende Baustellenmarketing ergeben sich für Geschäftstreibende zahlreiche Möglichkeiten von Aktionen und Maßnahmen zu profitieren. Die Umbaumaßnahme verschafft uns Aufmerksamkeit, die wir umsatz- und frequenzsteigernd nutzen werden. Nicht nur die direkten Anlieger erhalten damit eine zentral gesteuerte Marketingkampagne 2021, sondern die gesamte Händlerschaft der Friedberger Innenstadt.

myheimat: Wenn eine „Wirtschafts-Fee“ zu Ihnen käme und Ihnen die Erfüllung von drei Wünschen in Aussicht stellen würde. Welche Anliegen hätten Sie?

Roß: • Ein bereits befülltes Datenmanagementsystem zur schnellen, unkomplizierten und thematischen Kontaktaufnahme mit allen Gewerbetreibenden in der Innenstadt und in den Gewerbegebieten
• Genug Zeit oder Manpower für alle wichtigen Themen
• Digitale Infosäulen im Stadtgebiet

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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