Wo einst Napoleon ritt: Stadtarchivar Manfred Strehle erzählt über die bewegte Geschichte der Friedberger Ludwigstraße
Manfred Strehle sitzt tief gebeugt über einem Schriftstück. Es ist eine eigene Welt aus wohl geordneten Akten, leicht vergilbten Schwarz-Weiß-Aufnahmen, unzähligen Quelleneditionen, kolorierten Postkarten und schwer leserlichen Urkunden, in der er sich bewegt. Es ist seine Welt. Friedbergs Stadtarchivar soll heute über die bewegte und bewegende Geschichte der Ludwigstraße erzählen. Zu diesem Zweck hat sich der 81-jährige pensionierte Realschullehrer extra fein säuberliche Notizen gemacht. Er legt die schriftliche Gedächtnisstütze auf einen großen Tisch seines geräumigen Büros im ersten Stock des Stadtarchivs. Der kleine „Spickzettel“ wird die nächste Stunde dort nahezu unangetastet liegen bleiben, denn der Leiter des Stadtarchivs ist bestens vorbereitet. Strukturiert und unterhaltsam aneinander gereiht sprudeln die wissenschaftlichen Kenntnisse und Anekdoten nur so aus ihm heraus.
Wittelsbachische Planstadt
„Friedberg ist eine wittelsbachische Planstadt“, beginnt Strehle seine Ausführungen und widmet sich damit gleich der Gründungszeit: „Ludwig der Strenge und Konradin planten, im Schutze der Burg eine Stadt zu errichten. Die Planmäßigkeit bezieht sich natürlich auch auf die Anordnung der Straßen. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Hauptstraße zu, die in den wittelsbachischen Planstädten kerzengerade durchgeht und von der dann rechtwinklig die Seitenstraßen abzweigen. Somit entsteht ein Schachbrettmuster.“ Die geographischen Gegebenheiten in Friedberg machten aber eine derartige Planung unmöglich, so Strehle. Es sei äußerst schwierig gewesen, eine Trasse zu finden, um den Berg zu überwinden. Für die beladenen Fuhrwerke stellte der Anstieg eine enorme Herausforderung dar. Eine zusätzlich angebrachte Winde habe häufig geholfen, die Fuhrwerke heraufzuziehen. „Oberhalb des Lechrains wartete dann ein hügeliges Land. Die Hauptstraße musste sich gewissermaßen durchschlängeln. Eine gerade Streckenführung kam nicht in Frage“, beschreibt Strehle die Ausgangsbedingungen. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit war die Hauptstraße sehr wichtig für den Warentransport. Für den Stadtarchivar steht fest: Friedberg war zu damaligen Zeiten ein zentraler Knotenpunkt, der für den Handel mit Augsburg, München und Regensburg eine große Bedeutung besaß. Teilweise wurden die Waren in Friedberg noch umgeladen. Da die Friedberger am besten wussten, wie der Berg mit Fuhrwerken bewältigt werden konnte, entwickelte sich ein richtiges Transportwesen. Die wichtigste Straße in Friedberg wurde zunächst schlicht „Hauptstraße“ genannt. Erst ab 1910 bürgerte sich der Name „Ludwigstraße“ ein. Ob die Straße in Reminiszenz an Ludwig den Strengen oder Ludwig den Gebarteten diesen Namen erhielt, ist nicht eindeutig zu klären. Für beide Thesen gibt es Quellen, wobei Ludwig der Gebartete als der „zweite“ Stadtgründer sicher eine herausgehobene Position einnahm, sagt Manfred Strehle und verlässt unvermittelt seinen Platz. Er steuert auf eine Gedenktafel zu und deutet mit Verve auf eine Schrift, die für einen Laien nur schwer zu entziffern ist, aber von einem Geübten wie ihm scheinbar mühelos entschlüsselt werden kann. Das Dokument würdigt die großen Verdienste Herzog Ludwigs des Gebarteten um die Stadt Friedberg. Wer Manfred Strehles Ausführungen aufmerksam zuhört, merkt sehr schnell, dass er aus Berufung die Betreuung des Stadtarchivs übernommen hat. Wieder zurück am Tisch erzählt der ehemalige Deutschlehrer über die politischen Auseinandersetzungen zwischen Friedberg und der Freien Reichsstadt Augsburg: „Es ging immer wieder um den Zoll an der Lechbrücke. Friedberg gehörte zu den Städten mit den höchsten Zolleinnahmen. Das gönnten ihnen die Augsburger natürlich nicht.“ Auf der anderen Seite habe Friedberg in späteren Zeiten selbstverständlich von der Großstadt Augsburg und deren Arbeitsplatzangebot profitiert, bemüht sich Strehle, eine einseitige Bewertung des Nachbarschaftsverhältnisses zu vermeiden, um anschließend wieder in die Zeit Herzog Ludwigs des Gebarteten einzutauchen.
Salzhandel und Salztransport
Eine zentrale Rolle spielte damals der Salzhandel und Salztransport. Die Fuhrwerke transportierten Salz in großen Scheiben. Mit einem charakteristischen verschmitzten Lächeln fügt der Stadtarchivar hinzu: „Es war auch eine wichtige Weinstraße. Wo man einen Hang fand, der ein bisschen ‚südlich‘ lag, versuchte man, Wein anzubauen. Von welcher Qualität der Wein war, vermag ich nicht zu beurteilen.“
Napoleon war zu Gast
Doch nicht nur der Warentransport prägte die Geschichte der Ludwigstraße, sondern auch der Durchzug von Heeren. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Stadt schwer verwüstet und schließlich niedergebrannt. Die Soldaten brauchten Quartiere und mussten versorgt werden. Als Grenzstadt hatte Friedberg in dieser Hinsicht viel zu leiden. Im Verlauf der Geschichte zogen Schweden, Franzosen, Österreicher, Engländer und Amerikaner durch die Stadt. Die Franzosen rückten im Jahr 1805 mit sechs Divisionen und mindestens 60.000 Mann an. Napoleon soll am 24. Oktober 1805 im Wirtshaus „Hohes Glas“ übernachtet haben. Das Zimmer bekam den Namen Napoleon-Erker. Bettete der französische Kaiser tatsächlich sein Haupt auf Friedberger Kissen? „Ob Napoleon genau an dem in den Quellen angegebenen Tag im Hohen Glas übernachtete, können wir nicht mit letzter Gewissheit sagen. Aber an der Tatsache, dass der Kaiser mehrmals durch Friedberg gezogen ist, besteht kein Zweifel“, präzisiert Strehle auf Nachfrage. Die Liste der prominenten Friedberg-Besucher kann der Archivar mit weiteren Beispielen fortsetzen. John Churchill, Herzog von Marlborough, hielt sich im Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges 1704 in Friedberg auf. Und sogar ein Papst zog durch Friedberg. Pius VI. soll 1782 die Menschen am Marienplatz gesegnet haben.
„Moderne Zeiten“: Verkehr und Asphalt
Ein seltener Blick Manfred Strehles auf seinen Merkzettel führt zu einem Thema, das über all die Jahrhunderte hinweg ein konstanter „Dauerbrenner“ geblieben sei: die Pflasterung und die Verkehrsentwicklung in der Ludwigstraße. Seit dem 16. Jahrhundert gab es ein Kieselsteinpflaster. Die Bürger sammelten die Lechkiesel, transportierten sie nach Friedberg und erhielten dafür von der Stadt ein kleines Entgelt. Die Straße wurde immer wieder ausgebessert und neu gestaltet. Im Jahr 1889 kam das so genannte Granitgroßsteinpflaster und 1963 die Asphaltdecke. „Das Jahr 2008 war dann wieder ein Einschnitt. Im Rahmen der umfassenden Sanierungsmaßnahmen wurde in der Ludwigstraße wieder eine Pflasterung mit Granitsteinen durchgeführt“, so Strehle. Die ersten Autos gab es in Friedberg im Jahr 1920. Der Verkehr nahm im Lauf der Jahre stetig zu. Abschließend kommt Manfred Strehle noch auf die historische Einteilung der Ludwigstraße zu sprechen: „Wenn wir als Bezugspunkt den Friedberger Berg nehmen: Dort, wo die Stiege nach unten führt, stand in früheren Zeiten das Augsburger Tor. Die heutige Ludwigstraße beginnt mit der Blumenecke und Mode-Ecke. Dann verläuft die Innere Ludwigstraße bis zu der Engstelle bzw. Einmündung Schmiedgasse, wo früher das Münchner Tor seinen Standort hatte. Der Abschnitt ab diesem Punkt bis zur Tiefgarage Ost wird dann als Äußere Ludwigstraße bezeichnet. Das Münchner Tor war ein fünfstöckiger Torturm und ein herausragendes Bauwerk.“ Gleiches gelte für die Stadtpfarrkirche St. Jakob. Es ist spät geworden an diesem Vormittag. Draußen ist es diesig. Manfred Strehle macht sich wieder auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz, zu den Akten und historischen Dokumenten. Für ihn scheint es genau das richtige Gegenmittel zu sein, um dem tristen Wetter zu entfliehen. In seiner Welt ist kein Platz für Dunst. Historische Quellen verschaffen Klarheit.