Volksmusik braucht Bezüge zur Gegenwart
Freunde des scharfzüngigen Kabaretts und der geistreichen Sprachakrobatik kamen am 23. November 2006 voll auf ihre Kosten. Der bayerische Ausnahmekabarettist Gerhard Polt und die Kultband Biermösl Blosn traten mit ihrem aktuellen Programm in der Friedberger Stadthalle auf. Die Veranstaltung des Jugendclubs Friedberg war ausverkauft, das Publikum dankte die Darbietungen der Akteure mit lang anhaltenden Beifallskundgebungen. Unser Redakteur Joachim Meyer hatte kurz vor dem Auftritt die Gelegenheit, ein ausführliches Interview mit den Künstlern zu führen. Lesen Sie ein Gespräch über die Heile-Welt-Ideologie der volkstümlichen Musikbranche, die erzieherische Funktion des Kabaretts und das satirische Potenzial des bayerischen Ministerpräsidenten.
friedberger: Die Biermösl Blosn nehmen eine klare Standortbestimmung in Sachen Volksmusik vor. Die Gruppe grenzt sich dezidiert von der volkstümlichen Musik ab, die als "Musik mit Ersatzstoffen und Geschmacksverstärkern" bezeichnet wird. Zum anderen beklagen Sie aber auch das Austrocknen der echten klassischen bayerischen Volksmusik. Wo lässt sich die Gruppe Biermösl Blosn musikalisch verorten?
Biermösl Blosn: Die so genannte volkstümliche Musik ist ein reines Medienprodukt, das sich gut vermarkten lässt. Auf der anderen Seite ist die traditionelle bayerische Volksmusik von der Gefahr des Austrocknens bedroht. Die unzähligen Dreigesänge singen halt am liebsten weiter über Mägde und Knechte statt über zünftige Siemensler. Das völlige Ignorieren jeglicher Realität führte zum Museumszustand der Volksmusik - wenngleich dieser Zustand noch besser ist als die am Kommerz orientierte volkstümliche Musik. Interessant ist, dass sich in den 70er und 80er Jahren eine neue Volksmusik aus der Münchner Kleinkunstszene entwickelt hat. Wir sind der Meinung, dass man auch in der Volksmusik Bezüge zur Gegenwart herstellen sollte.
friedberger: Der volkstümlichen Musik wird zuweilen eine gewisse Oberflächlichkeit nachgesagt. Brisante Themen wie Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Kriege oder die Ausbeutung der Entwicklungsländer durch die Industrienationen bleiben weitgehend ausgeblendet. Kritiker sprechen von einer „keimfreien Scheinwelt“. Trotzdem verweisen Protagonisten der volkstümlichen Musikszene immer wieder darauf, dass eine derartige Form der Musik legitim sei. Hat eine solche Sichtweise nicht auch eine gewisse Berechtigung?
Biermösl Blosn: Man kann die Sache durchaus so sehen und der volkstümlichen Musik einen gewissen Grad an Legitimität zusprechen. Uns geht es aber darum, eine Standortbestimmung in eigener Sache vorzunehmen. Die Biermösl Blosn machen eine andere Art der Musik. Die volkstümliche Musik ist wie ein Tranquilizer beziehungsweise eine Droge, die hilft, in eine Scheinwelt zu fliehen. Es ist die perfekte Illusion. Die Medien spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, indem sie für mehr Verwirrung als Aufklärung sorgen. Volkstümliche Musik, volkstümlicher Schlager, Volksmusik - da kennt sich niemand mehr aus.
friedberger: Herr Polt, seit 30 Jahren sind Sie mittlerweile im Kabarettgeschäft. Mit der Sketchreihe "Fast wia im richtigen Leben" erreichten Sie in den 1980er Jahren Kultstatus. Der Titel der Serie deutete bereits an, dass auch der Alltag ungeahntes satirisches Potenzial birgt. Was halten Sie von dem Begriff "Realsatire"? Ist die Realität deutlich von der Satire als Kunstform zu unterscheiden oder verwischen sich manchmal die Grenzen?
Gerhard Polt: Ich halte den Begriff "Realsatire" für eine Tautologie wie "weißer Schimmel". Denn: Auf was anderes soll sich Satire beziehen als die Realität? Auf Goldfische vielleicht? Satire bezieht sich immer auf Menschen, Leben, Gesellschaft.
friedberger: Aber wenn Edmund Stoiber den Transrapid oder den Unterschied zwischen Normal-, Schad- und Problembär erklärt, hört sich das nach höchst professionell gemachter Satire an. Kann man das als Kabarettist noch übertreffen?
Gerhard Polt: Das ist sicherlich schwierig zu toppen. Die Medien spielen hier eine wichtige Rolle. Durch die Möglichkeit, alles in Sekundenschnelle zu senden, können Politiker schnell zu Satirikern wider Willen werden. Viele Menschen nehmen an der Medienwirklichkeit größeren Anteil als an der tatsächlichen Realität.
friedberger: Hat das Kabarett eine erzieherische Funktion oder stillt diese Kunstform in allererster Linie das Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung?
Gerhard Polt: Das ist eine schwierige Frage. Man müsste erst einmal definieren, was man unter Kabarett versteht. Das klassische Kabarett ist eigentlich eine "deutsche" Erfindung. Weder in Skandinavien noch in Italien hat es Vergleichbares gegeben. In Mainz gibt es ein großes "Kabarettarchiv", das über die Geschichte dieser Kunstform Auskunft gibt. Im deutschen Sprachraum etablierte sich das Kabarett zunächst nur in den Großstädten Wien, Berlin und München. Intellektuelle spielten in kleinen Zirkeln für Intellektuelle. Dabei wurden politische und soziale Themen satirisch behandelt. Mittlerweile herrscht ein Begriffswirrwarr. Die Unterscheidung zwischen Kleinkunst, Comedy und Kabarett fällt zunehmend schwer. Wenn wir vom politischen Kabarett sprechen, gilt: Jeder politische Kabarettist will sein Publikum über unterhaltende Inhalte erreichen.
friedberger: Mit Sketchen wie "Nikolausi" oder "Wo ist Vogi?" rückten Sie sich nahe an die Grenze zur Unsterblichkeit. Gab es für diese Sketche reale Vorbilder aus dem näheren Bekanntenkreis als Anschauungsbeispiele?
Gerhard Polt: Sagen wir mal so: Man wird ja Gott sei Dank ständig von seiner Umgebung stimuliert und lebt auf fruchtbarem Boden.
friedberger: Herr Polt, Herr Well, vielen Dank für dieses Gespräch.
Interview: Joachim Meyer u. Bilder: Bernd Aue
myheimat-Team:Joachim Meyer aus Friedberg |
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.