Das Zauberwort heißt Teilen - Ein Interview mit Andreas Reimann

3Bilder

friedberger: Herr Reimann, auf wessen Initiative geht die Gründung der „Friedberger Tafel“ zurück?
Andreas Reimann: Der Grund, eine derartige Einrichtung hier in Friedberg ins Leben zu rufen, lag darin, dass Friedberger - zum Teil mit dem Fahrrad - nach Aichach gefahren sind, um das Angebot der „Aichacher Tafel“ in Anspruch zu nehmen. Der Ansturm ist so groß geworden, dass wir ihn an einem Ort nicht mehr bewältigen konnten. In Friedberg fanden wir dann für unser Vorhaben einen geeigneten Kellerraum. Dort können die Bedürftigen jeden Mittwoch von 9 bis 11 Uhr Lebensmittel abholen.
friedberger: Welche Kriterien muss jemand erfüllen, um an einen „Ausweis“ zu kommen, der zur Nutzung der „Friedberger Tafel“ berechtigt? Sind die bürokratischen Hürden hoch?
Andreas Reimann: Es erhalten nur Personen einen Ausweis, die über ein entsprechend geringes Einkommen verfügen. Wir sind es den Geschäften, Bäckereien, Lebensmitteldiscountern und Metzgereien, von denen wir unsere Waren beziehen, schuldig, einen genauen Nachweis zu führen. Als Bezugspunkt, um die Bedürftigkeit festzustellen, dienen die Hartz IV Regelungen. Wer nicht mehr als 345 Euro im Monat zur Verfügung hat, kommt grundsätzlich für einen Berechtigungsausweis in Frage. In Ausnahmefällen können aber auch Personen, die einen geringfügig dotierten Job ausüben oder in einer akuten Notsituation sind, einen Berechtigungsausweis erhalten. Der Ausweis gilt zunächst maximal für ein halbes Jahr. Jeder, der das Angebot der „Friedberger Tafel“ nutzen will, muss die von der Arbeitsagentur ausgestellten Bescheide bzw. entsprechende Nachweise mitbringen. Der Caritasverband stellt dann die Ausweise aus.
friedberger: Wie viele ehrenamtliche Mitarbeiter sind bei der „Friedberger Tafel“ insgesamt im Einsatz?
Andreas Reimann: Wir haben hier in Friedberg 11 ehrenamtliche Helfer. Ohne deren wirklich großen Einsatz könnten wir dieses Angebot niemals machen. Die Essensausgabe selbst beansprucht gar nicht so viel Zeit. Die Hauptarbeit besteht im Abholen, Ein- bzw. Aussortieren und Stapeln der Waren. An dieser Stelle möchte ich auch betonen, dass die Kooperation mit der Friedberger Sozialstation hervorragend klappt. Wenn Not am Mann ist, bekommen wir von dieser Einrichtung einen Zivildienstleistenden abgestellt.
friedberger: Gemüse, Käse, Obst und Joghurt bezieht die „Friedberger Tafel“ von Lebensmitteldiscountern, Wurst wird von Metzgereien aus der Region gespendet. Kann man mit diesem Angebot die Nachfrage der Bedürftigen weitgehend abdecken?
Andreas Reimann: Bei Produkten wie Nudeln, Reis, Zucker und Öl treten schon häufiger „Versorgungsengpässe“ auf. Wir bekommen für unsere Tafel manchmal Geldspenden, sodass wir die genannten Waren teilweise zukaufen können. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass es sich bei der „Friedberger Tafel“ um ein ergänzendes Angebot handelt. Es geht darum, dass die Bedürftigen Geld, das sie beim „normalen“ Einkauf ausgeben würden, sparen können. Viele sind froh, wenn sie auf diese Weise 20 Euro weniger pro Woche für Lebensmittel ausgeben müssen. Damit können sie sich mal eine Fahrkarte leisten, um die Verwandten zu besuchen, die fällige Arztpraxisgebühr ausgleichen oder eine unvorhergesehene offene Rechnung begleichen. Die Bedürftigen bekommen bei uns nicht den kompletten Lebensmitteleinkauf ersetzt. Das können wir gar nicht leisten. Es ist also nicht
so, dass man hier seine Tüte mitLebensmitteln bekommt, die dann die ganze Woche reicht.
friedberger: Kommen wir abschließend zum christlichen Menschenbild und der katholischen Soziallehre. Der CDU-Politiker und Jesuitenschüler Heiner Geißler kritisierte unser Wirtschaftssystem mit folgenden Worten: „Der moderne Kapitalismus maßt sich an, über die Menschen zu herrschen. Der Börsenwert eines Unternehmens steigt umso höher, je mehr Leute entlassen und in ihrer wirtschaftlichen Existenz vernichtet werden. Ein solches Wirtschaftssystem ist pervers. Das Kapital hat den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt.“ Inwieweit kann eine soziale Organisation wie der Caritasverband durch prononcierte Stellungnahmen in die öffentliche Debatte eingreifen und damit quasi als Korrektiv zu diesem pervertierten Wirtschaftssystem fungieren?Andreas Reimann: Wir sind in verschiedenen Sozialgremien tätig. Im Internet werden wir immer wieder Stellungnahmen zu aktuellen Fragen abgeben. Das entscheidende Zauberwort heißt aber „Teilen“. Wir brauchen mehr Solidarität auch mit den Armen in unserem Land. In der päpstlichen Enzyklika „Deus caritas est“ werden genau diese Themen angesprochen.
friedberger: Herr Reimann, vielen Dank für dieses Gespräch.
Interview: Joachim Meyer
Bilder: Joachim Meyer u. Andreas Reimann

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

105 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.