Die Lokalzeitung ist (fast) so tot wie der Fisch, den man in sie einwickeln kann: Abgesang auf ein Medium von gestern
Die Frage stellt sich jeden Morgen aufs Neue: Brauchen wir eigentlich noch eine (gedruckte) Lokalzeitung? Da steckt selbige, mit etwas Glück, in aller Frühe im Briefkastenschlitz. Wenn man Pech hat, halt etwas später. Da kann man sich die neuesten, inzwischen längst überholten Nachrichten halt erst nach Feierabend reinziehen. Ein aufgeblasener Packen Papier, der, seines künstlichen, aus Prospekten und Beilagen bestehenden Umfangs beraubt, auf millimeterdünnes Normalmaß zusammen schrumpft. Äußerlich wie inhaltlich. Es ist ein sterbendes Medium. Ein Auslaufmodell. Ein sinkendes Schiff, an dessen Mast sich die Überlebenden eines einst angesehenen Berufsstandes trotzig-verzweifelt klammern: die Redakteure. Die Lokalzeitung in ihrer Printvariante ist tot. Sie weiß es nur noch nicht. Vielleicht ahnt sie es aber. So tot wie der Fisch, den man in sie einwickeln kann.
Unsere Kinder, junge Leute, Anfang, Mitte 20, also eine durchaus relevante, wichtige Zielgruppe der siechenden Verlagshäuser, haben die Eingangsfrage längst für sich beantwortet: Nein, brauchen wir nicht (mehr)!! Sie und ihre noch viel jüngeren Geschwister twittern, liken, surfen, mailen, whatsAppen und klicken sich durch die unendlichen Weiten des Webs – auf der Suche nach Inhalten und Informationen, die sie wirklich interessieren. Und dazu zählen, bei allem Respekt, die Landfrauen aus X-Dorf, die den Duisburger Zoo besucht haben, oder die Pappnasen des Karnevalsvereins „Blaue Funken“, die durch ihren Brachial-Humor die Wände des Dorfgemeinschaftshauses auf dem Westerwald fast zum Einstürzen gebracht hätten, nun mal nicht unbedingt. Auch nicht der gemischte Chor „Harmonie“, der sein Publikum, alle Jahre wieder, auf so unvergleichliche Weise auf Weihnachten eingestimmt hat. Das tun auch andere mit viel Esprit. Gefühlte 170 Mal war in den vergangenen Wochen in der Zeitung die Rede davon, dass irgendwo irgendein Chor stimmgewaltig und stimmungsvoll ein Advents-Licht in den Herzen seiner Zuhörer angezündet hat. Vor so viel weihnachtlicher Heimseligkeit wird’s einem ja ganz schwummerig.
Butterbrotpapier raschelt auch und hat mehr Gehalt
Und mindestens ebenso oft und bis zum Erbrechen wurde der geneigte Leser von entsprechend orientierten Basaren, Märkten oder Handarbeitsausstellungen in Kenntnis gesetzt. Das alles mal rausgerechnet, ebenso die ganze Zeitungsseiten füllenden Selbstinszenierungs-Orgien der Verlagshäuser, die sich an irgendeine (durchaus beispielhafte) Hilfsaktion drangehängt haben, oder „ihre“ Leser einladen, mit ihnen zu den exotischsten Traumzielen dieses Planeten zu reisen, bleibt unterm Strich nicht mehr viel an substantieller Information übrig, aus der sich ein Nutz- oder Mehrwert generieren ließe. Es sei denn, man/frau betrachtet die „Berichte“ mit den schwarzen Rändern als einen solchen. Und in der Tat nennen viele Abonnenten die Todesanzeigen als einen wichtigen (oft einzigen) Grund dafür, warum sie ihre Heimatzeitung nach wie vor beziehen. Aber auch dieser Punkt wird sich irgendwann und irgendwie erledigen –biologisch oder digital. Und es gibt tatsächlich noch Leser, die möchten morgens beim Frühstück etwas in der Hand halten, das raschelt. Das tut Butterbrotpapier allerdings auch - und ist meist inhaltlich sogar gehaltvoller.
Für all den sonstigen Printmüll Monat für Monat mehr als 30 Euronen für’s Abo hinzublättern, das sehen immer weniger Menschen ein. Entsprechend gesunken sind Auflagen und Reichweiten der lokalen Blätter in den vergangenen Jahren auch. Ebenso dramatisch brachen die Werbeerlöse ein. Der Kuchen, der konstant bei 20 Milliarden jährlich liegt, verteilt sich inzwischen anderweitig, nicht mehr nur auf Print, TV oder Rundfunk, sondern zunehmend auf diverse Internetplattformen. Lukrative Werbeplätze gibt es inzwischen auch bei Google oder Facebook.
Der Rückgang ist nicht nur rapide, sondern existentiell bedrohlich. Und was unternehmen die Manager in den Chefetagen der Verlagsunternehmen dagegen: Nicht viel. Und wenn, dann tun sie es allenfalls halbherzig. Oder sie tun das Verkehrte. Da werden Redakteursstellen gestrichen, Redaktionen personell so ausgedünnt, dass den verbliebenen Kollegen nicht mehr viel Zeit und Spielraum bleibt, einen anständigen Job so zu erledigen, wie man ihnen das einst beigebracht hat. Aber das ist nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen so. Die überregional und bundesweit agierenden Zeitungen und Magazine verfahren ähnlich – mit fatalen Folgen für sie selbst und das Produkt. So hat Gruner + Jahr jüngst bei Brigitte alle Stellen für die scheibende, festangestellte Zunft gestrichen. Auch bei Geo und dem Stern wird dahingehend wieder mit eisernem Besen ausgekehrt. Die FAZ will 200 von 900 Redakteursstellen abbauen, das Darmstädter Echo hat seine Belegschaft bereits halbiert.
Hauptsache, die Seiten sind gefüllt – egal wie und womit
Die Strategen setzen auf Synergieeffekte, Kooperationen, Tarifaustritte und freie Mitarbeiter, die immer schlechter (oder eben gar nicht) bezahlt werden, von Termin zu Termin hetzen und die Drecksarbeit an der Front machen. Da muss man sich nicht wundern, wenn da nichts Gescheites herauskommt. Wir im Lahn-Dill-Kreis stellen das jeden Tag fest, im Kreis Gießen oder Marburg-Biedenkopf dürfte das nicht anders sein. Die großen, lesenswerten Reportagen und gut recherchierten Geschichten, wo sind sie? Man muss sie mit der Lupe suchen. Statt die Aussagen von (Lokal)-Politikern und Wirtschaftsbossen kritisch zu hinterfragen staatsmännische Getue, Gestelze, Verlautbarungsjournalismus und große Langeweile. Die verbliebenen Redakteure, von denen viele längst die innere Kündigung eingereicht haben, haben genug damit zu tun, die Seiten, die ihnen vorgegeben werden, zu füllen. Egal wie und mit was.
Und deshalb lieben sie auch ihre Landfrauen, ihre Kaninchenzüchter, ihre Feuerwehren und ihre Kleingärtner so, weil bei denen immer irgendetwas los ist, vom Kaffen-Nachmittag angefangen, über die kollektive Kartoffelernte bis hin zur als Fortbildung getarnten Brauereibesichtigung. Es ist unbestritten, dass die erwähnten Organisationen und Vereine wichtige Komponenten unseres gesellschaftlichen Gefüges sind, die ihrerseits daraus aber auch den durchaus legitimen Anspruch ableiten, sich in der Zeitung wieder zu finden. Aber wenn sich journalistische Arbeit nur darin erschöpft, diesem Anspruchsdenken zu entsprechen und daneben sonst wenig bis nichts kommt, ist das einfach zu dünn –wie die Zeitung am Sonntag und Montag.
Spannende Alternativen im Netz
Die Zukunft des Journalismus, vor allem auch die deslokalen, liegt im Netz. Zu welchen (funktionierenden) Entgelt-bzw. Bezahl- Modellen man letztendlich auch immer finden mag. Schon heuer gibt es Beispiele genug, die belegen, was da für ein Potential schlummert. Das der „Krautreporter“ beispielsweise, um nur eines dieser hoffnungsvollen, innovativen (und, ja, auf Crowdfunding basierenden) Projekte zu benennen: http://www.krautreporter.de Die Reportagen, Analysen und Hintergrundberichte, die die Jungs (und Mädels) abliefern, sind vom Feinsten! Das Abo bzw. die Mitgliedschaft kostet 60 EUR im Jahr, und da ist keine Fehlinvestition. Journalistisch allemal tiefer und deutlich besser als die kostenlose Spiegel-online-Präsentation. Und da sind der zu Optimismus Anlass gebenden, vielversprechenden Start-Ups noch mehr. In Meck-Pom liefern http://www.dieschweriner.de einen innovativen, teils frechen Online-Lokaljournalismus ab. Im Kreis Mettmann ist http://www.taeglich.me die bessere im Web abrufbare Alternative zur etablierten Westdeutschen Zeitung.
Regional hingegen ist das Beispiel der Giessener Zeitung, hinter der die bundesweit operierende Mediengruppe Madsack, zu der auch die Oberhessische Presse in Marburg gehört, steht, ein interessantes Modell, in publizistischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht: http://www.giessener-zeitung.de In „Deutschlands erster Mitmachzeitung“ findet sich jeder User und Nutzer wieder und kann seine Präferenzen und das, was ihm wichtig erscheint, quasi in Echtzeit anderen vermitteln, ohne dass da irgendwelche hochnäsigen, oder behäbigen redaktionellen Elfenbeinturm-Bewohner mit der Zensurkeule um sich schlagen. Dass die Beiträge gegebenenfalls in der zweimal wöchentlich erscheinenden, Werbeeinnahmen generierenden (aber für die Empfänger kostenlosen) Printausgabe der GZ , die 125.000 Haushalte abdeckt, erscheinen, ist für die Autoren, denen es sowieso nicht ums Honorar geht, sogar ein angenehmer Nebeneffekt, weil ihren Beiträge so ein weiterer Verbreitungsweg erschlossen wird und sie gegebenenfalls auch jene erreichen, die eben noch nicht online unterwegs sind. Aber das werden immer weniger.
Es gibt noch viele andere Beispiele: myheimat.de, unserort.de oder belocal.de oder localxxl.com. Sie alle basieren mehr oder weniger auf dem Bürgerreporter-Prinzip, wobei die hier eingestellten Beiträge mitunter ebenfalls in Printmedien, denen der angeschlossenen Kooperationspartner und -verlage nerscheinen. Andere Plattformen werden von hauptberuflichen Journalisten gespeist, wie beispielsweise das erfrischend-aktuelle Portal WirSiegen.de. Letzteres gräbt den traditionellen Platzhirschen wie Siegener Zeitung oder Westfalenpost zunehmend das Wasser ab, ist aktueller, weniger verkrustet und erfrischend pointiert in Darstellung und Aufbereitung. Von dessen Klick-Zahlen her können die printbasierenden Großen der Krönchenstadt bei ihren eigenen Webauftritten nur träumen. Auf dem Westerwald gibt es beispielsweise den Westerwald-Kurier (http://www.ww-kurier.de/), eine ebenfalls recht ambitionierte, regional orientierte Online-Zeitung. Im selben Verlag erscheinen der NR-Kurier (Neuwied-Rhein-Kurier) und der Altenkirchener-Kurier. Diese professionell gestalteten und auch von Werbekunden längst entdeckten Internetzeitungen machen traditionelle Tageszeitungen wie die Rhein-Zeitung bzw. deren Westerwald-Ableger die „Westerwälder Zeitung“ eigentlich überflüssig. Zumal sie wesentlich schneller und somit aktueller als diese sind und zudem auch multimediale Inhalte wie Videos oder Audio-Sequenzen einbinden. Und für die Nachrichten aus der großen, weiten Welt gibt es ja längst andere und bessere Quellen als die „Mantelteile“ der überkommenen Abonnements-Blätter.
Das „Land der Könige“ gilt noch als weißer Fleck
Der Lahn-Dill-Kreis hingegen ist ein weißer Fleck auf der Landkarte des Online-Journalismus. Aber das muss ja nicht so bleiben. Da darf sich mittelhessen.de, die Internet-Präsenz der Zeitungsgruppe Lahn-Dill, momentan noch als einziger Player wähnen. Noch. Geld verdient das Verlagshaus aus Wetzlar mit diesem Auftritt freilich nicht. Aber man muss ja mit den Web-Wölfen heulen. Die Inhalte generieren sich ohne sonderliche Aufbereitung meist 1:1 aus den Artikeln der einzelnen Printausgaben.
Es ist also noch nicht aller Tage Abend. Es gibt Perspektiven und gute Aussichten, dass sich guter, digitaler Online-Journalismus mittelfristig durchsetzt und die überholten, längst auf den Müllhaufen der Mediengeschichte gehörenden Print-Methusalems den Stellenwert zuweisen, der ihnen inzwischen gebührt. Und deren Position findet sich ziemlich am untersten Ende der Skala!
Solange sich der Morgenmuffel nicht hinter seinem Tablet verstecken kann, bieten die Tageszeitungen noch ein Biotop. ;-)