Übersetzer-Phantasien

Gestern habe ich ein Buch zu Ende gelesen!

„Nanu“, werden Sie, meine lieben LeserInnen jetzt denken, „das ist doch nun wahrlich nichts Ungewöhnliches“. Stimmt, ist es nicht.

Das Buch heißt „Die roten Stiefeletten“ und wurde von Anne Perry geschrieben. „Nun“, werden Sie jetzt wieder denken, „auch das ist doch an sich nichts ungewöhnliches“. Stimmt, ist es eigentlich auch nicht.

Aber das Wort „eigentlich“ deutet schon darauf hin, dass es so gewöhnlich vielleicht doch nicht ist.

Damit Sie in etwa wissen, worum es in dem Buch geht: Ort und Zeit der Handlung sind die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts in der Stadt London/England. Ein Inspektor von Scotland Yard hat mit einem mysteriösen Todesfall zu tun, in dessen Zusammenhang mehrere bereits beerdigte Leichen wieder ausgegraben werden und an verschiedenen Orten auftauchen. Die Spur zum Täter führt schließlich in ein Edelbordell.

„So weit, so gut“ könnten Sie jetzt wieder ins Grübeln verfallen, „aber auch das ist ja nicht so ungewöhnlich.“ Und Sie haben wieder Recht.

Aber jetzt kommt’s: Das Buch heißt, wie bereits erwähnt, „Die roten Stiefeletten“. Nach diesen roten Stiefeletten sucht die Leserin/der Leser allerdings vergeblich. Die werden nicht mit dem kleinsten Hinweis erwähnt. In dem ganzen Buch taucht keine einzige Stiefellete, geschweige denn eine oder zwei rote, auf.

Jetzt sitze ich hier und frage mich, was die Macher dieses Titels sich dabei gedacht haben. Der Originaltitel hat nämlich auch nichts mit Stiefeletten zu tun, der heißt „Resurrection Row“, was man mit „Straße der Wiederauferstehung“ übersetzen kann. Diese Resurrection Row wird in dem Buch auch tatsächlich mehrmals erwähnt und in dem Buch geht es durch die ausgebuddelten Leichen ja auch um eine Art Wiederauferstehung.

Ich weiß ja nicht, ob der deutsche Verlag, der das Buch herausgebracht hat oder der Übersetzer sich den deutschen Titel ausgedachte, aber der Sinn erschließt sich mir nicht. Das ist ja so, als ob ein Spielfilm den Titel „Der Mörder schlug dreimal zu“ hieße und sich dann herausstellt, dass es sich um einen romantischen Liebesfilm handelt.

Bürgerreporter:in:

Horst-Peter Horn aus Erkrath

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