Totem und Tierseele
Bruder Löwe, Schwester Baum
Ein frei gelassenes Pferd
Nicht viel hat sich eingeprägt aus den Literaturbesprechungen des Deutschunterrichtes, viel zu langweilig meist und der nach echtem Heldentum suchenden pubertierend romantischen Seele viel zu fremd. Freilich gab es in den 60-ger Jahren noch keine interpretierenden Internetplatformen und man musste die ganzen Schmöker noch selber lesen. Auch wenn ich mich nicht mehr an den Namen des/der Autorin erinnere, ein Schlussbild hat sich aber eingeprägt: Da wird ein Aufständischer zur schlimmsten Todesstrafe verurteilt, die man kannte, nämlich Brechen der Knochen und Binden aufs Rad und seinem letzten Wunsche entsprechend wird sein Pferd in die Freiheit entlassen.
Meiner kindhaften Deutung nach, sah ich die Lebenskraft des hingerichteten Helden brechen und seine Augen, „seine Seele“ dem davon galoppierenden Pferde folgen. Natürlich war unter so hehren Deutsch-Klassisizisten und schreibenden Romantikern oder gar im verpflichtenden Religionsunterricht nie nix jemals die Rede von Schamanismus oder gar der psycho-analythischen Deutung von „Totem und Tabu“. Dabei bestimmen auch heute noch all unsere „archetypischen“ Erfahrungen, die um Hunderte Generationen versetzt, unsere „ungebildeten“ Vorfahren in der Steinzeit gemacht und damit viel besser in den für kollektive Erinnerung zuständigen Bereichen der Erbsubstanz eingespeichert haben als ich im Langzeitgedächtnis den dagegen wohl völlig unwichtigen Namen eines Schreiberlings aus der Romantik.
Der Löwenmann
Einen in viele Dutzend Splitterchen zerbrochene Teil eines Mammmutstosszahnes, den man in einer der von Steinzeitmenschen bewohnten Höhle in der Schwäbischen Alb gefunden hat, kann man heute in einer sehr interessant und aufschlussreich gemachten Ausstellung im Stadtmuseum Ulm bewundern. Im Gegenüber einer kleinen Menschenfigur mit umgehängtem Löwenfell und dem aufgesetztem Kopf des Löwen wird man rund um den „Löwenmann“, dem Schamanen der Steinzeit aus 40.tausend Jahren in die materielle Kultur und die potentielle Geisteswelt der Jäger und Sammler eingeführt. Zum Vergleich werden heutige schamanistische Praktiken von Völkern vor Allem aus Sibirien und Nordamerika herangezogen.
Im Gegensatz zu unserem vom Imperialismus der spätantiken Mittelmeerkulturen und sogar der Bibel („Machet Euch die Erde untertan“) wohl auch heute noch bestimmten Umgang mit Natur und Umwelt, sahen die vorgeschichtlichen Kulturen und die heutigen Naturvölker die Tiere und Pflanzen Ihrer Umgebung als beseelt und damit dem Menschen gleichwertig an. Man entnimmt dem umgebenden Kosmos nur, was man unbedingt zum Überleben braucht. Bei der Jagd wird alles in Achtung des großen Geschenkes, das man von den Tieren bekommt, in allen teilen verwendet.
Bei den Naturvölkern in Sibirien werden alle fein abgenagten Knöchelchen eines erlegten Tieres, das man vor der Jagd um Verständnis und danach um Verzeihung bittet, in einem Bündel in den Wald zurück gebracht. Dem oft wie ein Mensch hoch aufgerichteten und dabei auf zwei Beinen stehenden „Bruder Bär“ begegnet der Schamane, der Vermittler zwischen Menschengruppe und Tier, mit einem fast unterwürfigen Respekt. Angeregt vom psychedelischen Gift des Fliegenpilzes oder wildem auslaugendem Tanz erscheinen dem Schamanen in Trance Tiergeister, deren Hilfe er erbittet.
Initiation
Bei vielen vorgeschichtlichen und auch antiken Riten, aber auch noch heute bei vielen Naturvölkern, werden junge Menschen am Ende der Kindheit durch gefährliche oft auch lebensbedrohliche Drogen, große Anstrengung und außergewöhnlichen Schmerz in einen Zustand versetzt, in dem das Gehirn Wahnvorstellungen oder aufarbeitende Träume freisetzt. In der Antike suchte man dabei den Kontakt zu Verstorbenen oder Göttern, die dem Initianden mit gleichnishaftem Rat schwierige Lebenssituationen meistern helfen sollten. Der Initiand wird fit fürs Leben, wenn er z.B. bei den Mysterien der Persephone zu Eleusis oder den betäubenden Festen und Gelagen des Dionysoskultes u.A. von der „Vergiftung“ wieder genesen und aus den unterirdischen Meditationsräumen „auferstanden“ ist.
In animistischen Kulturen, die die Natur beseelt sehen, übernimmt der Initiand aus seinen durch Drogen oder Erschöpfung ausgelösten Träumen, seltener einen prägnant auftretenden Gegenstand, eher wohl ein Tier als Hilfs- und Schutzgeist. Dieses Tier, oder dieser Hilfsgeist mit anderen Fähigkeiten , ist dann eben aber auch eine zweite Form zur Existenz als Mensch fürs ganze Leben oder wie auch geglaubt wird, darüber hinaus: sein Totem oder seine Tierseele.
Das andere Ich als Tier ,Objekt oder sogar als Mensch mit besonderen anderen Fähigkeiten, das Alter Ego, wird heutzutage in Romanen wie Dr. Jekyll und Mr. Hide oder in positiver Richtung Superman für eher in sich zurück gezogene Individuen zum Projektionsbild, zum Wunschhelden. Alte Geschichten von Werwölfen, Berserkern(Bärenmenschen), Vampiren gehen ursprünglich wohl auf archetypische Träume von Totemtier und zweiter Tierseele zurück und verbinden uns mit der altehrwürdigen Welt der Schamanen.
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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