Von der Heilkraft des Ingwer - ein Totenlied, ein Liebeslied
Der alte Mann erhebt die Stimme, erst krächzend, unmelodiös und so als ob er sich noch nicht so sicher wäre, was er denn zu erzählen hätte, holpernd und immer wieder abbrechend und es aufs Neue versuchend. Mal scheint es, als triebe ihn die Freude und der Mut voran, dann wiederum scheint es, als würge ihm großer Schmerz die Kehle zu. Das, was er erzählt, im an- und abschwellenden Singsang stockend von sich gibt, klingt, obwohl ich die Sprache nicht verstehe, verständlich, plappernd als erzählte ein kleines Kind:
„Das ist Pidginenglisch! „ meint unser einheimischer Führer in einem nicht gerade wesentlich besser verständlichen Hochenglisch.“ So sprachen die englischen und deutschen Missionare im Norden Papua-Neuguineas mit ihren dunkelhäutigen Schützlingen. Hier im Hochland gibt es in jedem Dorf, in jedem abgeschlossenen Seitental eine voneinander völlig unabhängige andere Sprache. Man versteht nur die eigene Clansprache. Deswegen wurde als gemeinsame Sprache ohne grammatikalische Hürden Pidgin ein geführt„
Das wussten wir natürlich und sind mit einem Kauderwelschlexikon mit Bildsymbolen ausgerüstet. Etwas schmunzelnd haben wir darin geblättert: Da steht z.B. Laplap für Handtuch; Stoffstück ( Die deutschen Kolonisatoren haben wohl ihren Boys zugerufen: Nimm halt den Lappen zum Putzen! Hast jetzt gehört: den Lappen!! Aus der Wiederholung des Gewünschten entstand ein verständnisloses Laplap), licklick= klein für little, little stick oder trousers für ein von den Männern getragenes rübenförmiges und hohles Kleidungsstück, mit dem sie zumindest beim Kirchgang ihre strengste Blöße umhüllen mussten („no entry without trousers!!“)
Weil die Missionare ihre anscheinend zivilisatorisch zurück gebliebenen Schäflein als auch geistig zurückgeblieben einstuften, versucht sich die Sprache einem „kindgemäßen“ Brabbelniveau an zu passen.
Der alte Mann fühlt sich unverstanden und hat mittlerweile wieder zu Singen auf gehört. Unser Dolmetsch erklärt: „Der Alte hat seinen noch älteren Vater vor bereits mehr als drei Jahren verloren. Seine Frau ist erst vor einen halben Jahr von der Malaria hin gerafft worden. Beides drückt ihn schwer. Da aber die Männer alle im Männerhaus zusammenwohnen und man als Junge so fast nur von den alten männlichen Dorfbewohnern auf gezogen wird , ist die Bindung an den Vater und den Bruder der Mutter besonders stark und geht so weit, dass man einige Teile der verstorbenen Männer aufisst, damit sie von der Gemeinschaft verinnerlicht in den einzelnen Mitgliedern fortleben. Besonders wichtig ist es hierbei den beim Grillen des Fleisches erhitzten Schädel des Verstorbenen zu öffnen, das Hirn als Sitz des Bewusstseins mit Banane , Süsskartoffelbrei , Ingwer und Kokossaft zu vermischen und gemeinsam zu sich zu nehmen. Man meint in dieser schriftlosen Gesellschaft, so bleibt das Wissen der Alten erhalten. Die Kokosnuss entspricht dem menschlichen Schädel und muss in einer Zeit, wo Kopfjagd verboten ist, diesen auch teilweise ersetzen. Hier im Hochland kümmert das jedoch niemand, da Polizei und Militär von der Hauptstadt Port Moresby bis hierher zu Fuß durch den Dschungel Tage brauchen. Zur internen Besänftigung der Gemüter zweier verfeindeter Dörfer gibt es ohnedies die Möglichkeit durch Reparationszahlungen in Form von gezüchteten Schweinen Wiedergutmachung zu üben.
Der alte Mann hat mittlerweile aus einer Spalte im senkrecht ansteigenden Fels einen menschlichen Schädel geholt . Beim genaueren Hinsehen entdecken wir noch mehrere andere, die alle mit rotem Ocker in seltsamen Mustern bemalt sind. Er drückt den Schädel fest an die Brust bewegt sich hin und her wiegend und leise summend fast wie eine Frau , die ihrem Kinde ein Schlaflied vorsingt.
Wenn ihm zwischendurch eine Träne bis zum spärlichen Bart hinabrollt, hält er inne und wischt sie sich fast verschämt mit dem Handrücken ab. Trotzdem: Männer weinen hier schon.
Für manche andere Schädel wurde ein kleines Häuschen auf stabilen Pfählen gebaut. Wir entdecken neben dem Schädel darin Tabakblätter, einen alten Kugelschreiber, etwas Papier und wenige Ingwerknollen .
„Ingwer ist hier sehr wertvoll und gedeiht in dieser Höhenlage auch nicht so gut.“ erklärt der einheimische Guide.“ Der Geschmack ist hier scharf und bitter, aber er wärmt den Körper in diesem kühlen Klima. Man will den Toten etwas Gutes tun und bringt ihnen wertvolle Geschenke. Dadurch hofft man, den Rat der verstorbenen weisen Alten auch weiterhin in den Träumen zu erhalten.
Den Ingwer aus den kleinen „Vogel“häuschen holt man sich aber wieder, denn….:
Die Knollen haben die liebenden und beratenden Worte der Toten gehört, die nicht mehr gesagt werden können. Die Ingwerwurzel können das Unausgesprochene aber weiter erzählen. Nimmt man sie zu sich, erwärmen sie, wie ehedem die Worte der geliebten Menschen unsere Brust zunächst scharf und schmerzend. Doch bald durchströmt uns ein warmes Glücksgefühl; das klärt unseren Verstand und belebt dann unseren Körper. In unserem Tun wirken die Verstorbenen so also mit.
Weil in unserem Haus der Kulturen in Diedorf im Winter nicht geheizt wird, liegt immer ein wenig frischer kandierter Ingwer für unsere Gäste bereit.... nicht so scharf, aus kontrolliert heimischem Anbau: made in Thailand.
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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